Einfach das Ende der Welt (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Emotionale Achterbahnfahrt eines Glückskindes

Bisher kannte die noch junge Karriere von Xavier Dolan stets nur eine Richtung. Von Film zu Film ging es immer nur steil nach oben, was 2014 schließlich im Gewinn des Preises der Jury (ex aequo mit keinem Geringeren als Jean-Luc Godard) für Mommy mündete. Sein neues Werk Einfach das Ende der Welt ist zumindest von den Ambitionen her so angelegt, diesen Weg weiterzuführen; immerhin versammelt der Frankokanadier mit Nathalie Baye, Vincent Cassel, Léa Seydoux und Marion Cotillard gleich vier Hochkaräter vor der Kamera, was vor allem die französische Presse bei der Premiere des Films beim Festival in Cannes entzückte.

Einfach das Ende der Welt basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Jean-Luc Lagarce und erzählt von dem Schriftsteller Louis (Gaspard Ulliel), der vor zwölf Jahren mit seiner Familie brach und in die Fremde zog, wo er es zu Ruhm und Ansehen gebracht hat. Nun kehrt er zurück für eine Aussöhnung, sofern sie möglich sein sollte, und für einen Abschied. Denn Louis ist schwer erkrankt und wird nicht mehr lange leben. Die Krankheit wird niemals genauer benannt, auch wird nicht erwähnt, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Leidet er an Krebs wie sein einstiger Liebhaber Pierre, der verstorben ist? Auch über die Gründe für die Distanzierung von der Familie kann man nur spekulieren; gut möglich, dass seine Homosexualität nicht in das Wertesystem des zwar unkonventionellen, aber doch konservativen Clans und kleinen Städtchens passte, in dem er aufwuchs. Doch schon die Begrüßung bei der Rückkehr gerät zu einem kleinen Fiasko. Die grell geschminkte Martine (Nathalie Baye) ist eine weitere Variation aus dem Dolanschen Kosmos der Monstermütter, sein Bruder Antoine (Vincent Cassel) erweist sich als emotionaler Vulkan, der sich permanent kurz vor oder mitten in der Eruption befindet, dessen Frau Catherine (Marion Cotillard) ist ein sanftes Wesen, das natürlich unter den Ausbrüchen des Göttergatten leidet. Louis’ kleine Schwester Suzanne (Léa Seydoux) hat unter dem Weggang des Bruders am meisten gelitten, weil sie noch zu klein war, um zu verstehen, was passierte.

Der Film beginnt durchaus vielversprechend: Die Ankunft von Louis und die Fahrt zum Zuhause, sinnigerweise unterlegt von Camilles Song Home is where it hurts, verfügt über eine große imaginative Kraft und verspricht einiges, was der Film im Anschluss nicht einzulösen weiß. Denn sobald Louis zuhause ankommt, verstummt der begleitende Voice-over-Erzähler, erstarren die Bilder, verkrusten die Verhältnisse. Die Familiendynamiken, die sich nun entspinnen, werden vornehmlich durch die Lautstärke der Dialoge, weniger aber durch deren Inhalt oder die Art der Inszenierung angezeigt. Der todkranke und immer ein wenig waidwund dreinblickende Dichter hält Einzelaudienzen ab (fast immer als halbnahe bis nahe Schuss-Gegenschuss-Montagen aufgelöst) und begibt sich auf eine sentimental journey in die Vergangenheit, stets mit dem finalen Trumpf des eigenen tragischen Schicksals in der Hinterhand. Auf die Dauer nivellieren sich die permanenten High-Energy-Dialoge, die zudem häufig aus Gestammeltem, gegenseitigen Unterbrechungen und immer nur Halbgesagten (weil wieder mal ein anderer dazwischen quatscht) bestehen, dadurch wird jegliche Emotionalität und wirkliches Interesse für die gegenseitigen Verletzungen oftmals unmöglich gemacht. Fast wähnt man sich gelegentlich in einer entsetzlich übertriebenen (und zugegebenermaßen grandios besetzten) Folge eines beliebigen Reality-Formats einschlägiger Privatsender gefangen.

Und so zeigt sich, dass Dolans Laufbahn doch noch andere Richtungen einschlagen kann. Im Falle von Einfach das Ende der Welt bedeutet das: nach unten. Hoffen wir, dass es eine Delle bleibt. Das Glück in Cannes blieb dem Filmemacher indes dennoch hold: Obwohl Einfach das Ende der Welt nach Meinung vieler Kritiker Dolans bislang schwächster Film ist, bescherte ihm die Jury dennoch einen Preis — und zwar den Grand Prix der Jury. Da solle noch einmal jemand sagen, der Mann sei kein Glückskind.

Einfach das Ende der Welt (2016)

Bisher kannte die noch junge Karriere von Xavier Dolan stets nur eine Richtung. Von Film zu Film ging es immer nur steil nach oben, was 2014 schließlich im Gewinn des Preises der Jury (ex aequo mit keinem Geringeren als Jean-Luc Godard) für „Mommy“ mündete.

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