Ein Sommer in Haifa

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Vielschichtiges Zeitporträt

Sommer 1968: In der ganzen Welt bricht die Jugend auf zu neuen Ufern. In der ganzen Welt? Nein, in Israel wünschen sich männliche Teenager nichts sehnlicher, als endlich zur Armee zu gehen. Doch der „Sommer der Liebe“ macht auch vor dem Nahen Osten nicht halt, wie Regisseur Avi Nesher in seiner anrührenden Tragikomödie Sommer in Haifa“ / „The Matchmaker“ erzählt. Auf der Basis eines melancholischen Grundtons komponiert der Israeli ein heiteres, vielschichtiges Sittenporträt einer Zeit, in der die junge Generation hier wie dort unbequeme Fragen stellte.
Auf den ersten Blick verblüfft die Parallele: Ähnlich wie im Berlin, München oder Hamburg des Jahres 1968 spricht in der Hafenstadt Haifa niemand über den Holocaust. Die Opfer schämen sich offensichtlich, weil sie im Gegensatz zu Millionen Leidensgenossen überlebt haben. Und sie könnten unmöglich ihr neues Leben durchstehen, wenn sie das Erlebte nicht verdrängen würden. Für die junge Generation hat das ähnliche Konsequenzen wie im Deutschland der Täter: überall nur Schweigen und abwehrende Gesten, wo doch mit Händen zu greifen ist, dass etwas nicht stimmt.

Auch Arik (Tuval Shafir) möchte mehr über die Vergangenheit wissen, zumal ihn Gerüchte quälen, dass jeder, der den Nazi-Terror überlebt hat, Schuld auf sich geladen haben soll, um seine Haut zu retten. Weil er von seinem Vater nichts erfährt, ist Arik umso neugieriger, als er Yankele Braid (Adir Miller) kennenlernt, einen rätselhaften Ehevermittler, der seine Geschäfte in einem zwielichtigen Viertel betreibt, mitten unter Schwarzhändlern, Prostituierten, Spielern und einem Kino, das von einer Liliputaner-Familie betrieben wird. Yankele kennt Ariks Vater aus Kindertagen und ist nach dem Holocaust ebenfalls in den Nahen Osten ausgewandert. Er bietet dem Sohn einen Job als „Detektiv“ an. Arik soll potenzielle Ehekandidaten ausspionieren und herausfinden, ob sie es auch wirklich ernst mit der Liebe meinen. Das eröffnet dem jungen Mann eine völlig neue Welt, in dem er zwar nur wenig über den Holocaust, dafür aber vieles über die Liebe, das Leben und das Erwachsenwerden erfährt.

Yankele und seine nicht weniger mysteriöse Bekannte Clara (Maya Dagan) sind faszinierende Persönlichkeiten, komplex und widersprüchlich, ebenso geschäftstüchtig wie hoffnungslos romantisch, ebenso warmherzig wie innerlich zerrissen. Großartig verkörpert von Adir Miller und Maya Dagan, verleihen diese Charaktere dem Film eine Dimension, die über das bloße „Coming-of-Age“ des jungen Arik hinausreicht. Sie unterlegen die heiteren, charmanten Sommerszenen, die harmlosen Geplänkel und lustigen Verwicklungen der Liebesverwirrungen mit dem Kampf um einen Neuanfang, der weniger beschwingt daherkommt als das Bad im Brunnen, das an die berühmte Szene in „La Dolce Vita“ anspielt.

Umso bemerkenswerter ist es, wie Ein Sommer in Haifa / The Matchmaker seine schwereren Themen sozusagen hineinschmuggelt in eine schwerelose Hommage an das Lebensgefühl einer Jugend, die die Schatten der Vergangenheit endlich hinter sich lassen wollte. „Mach’ Happy End“, sagt Yankele einmal zu Arik, der seine Detektivarbeit mit ersten schriftstellerischen Versuchen verbindet. Das versucht auch der Film und ist damit über weite Strecken sehr erfolgreich. Aber ganz so leicht ist das Leben von Arik dann doch nicht, nicht einmal im Sommer 1968.

Ein Sommer in Haifa

Sommer 1968: In der ganzen Welt bricht die Jugend auf zu neuen Ufern. In der ganzen Welt? Nein, in Israel wünschen sich männliche Teenager nichts sehnlicher, als endlich zur Armee zu gehen. Doch der „Sommer der Liebe“ macht auch vor dem Nahen Osten nicht halt, wie Regisseur Avi Nesher in seiner anrührenden Tragikomödie Sommer in Haifa“ / „The Matchmaker“ erzählt.
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