Ein russischer Sommer

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mit Leo Tolstoi durch "Sexy-Anhalt"

Ein alter Mann schläft. Ganz ruhig liegt er da und man bekommt eine Ahnung davon, wie dieser Mann aussehen könnte, wenn er tot ist. Vielleicht liegt das an seinem Alter, an dem weißen Bart, der sein Gesicht umrahmt oder an der Stille, die von seinem Anblick ausgeht. Dann legt sich eine Frau neben ihn, legt ihm die Hand auf die Brust und wir spüren die innige Verbundenheit zwischen diesen beiden Menschen. Ein Bild des Friedens und der Harmonie – ein wahres Bild. Und ein trügerisches. Denn es erzählt nur einen Teil der Geschichte dieses Paares.
Es ist eine Szene ohne Worte zu Beginn des Films, die einen auf eigenartige Weise in ihren Bann zieht und die den Ton dieses Films vorgibt, die Gefühle vorgibt, auf die wir als Zuschauer vertrauen können – auch wenn es uns manchmal schwer fällt, auf die Stabilität dieser Emotionen zu vertrauen. Obwohl sie ganz leise daherkommt, drückt sie viel mehr aus als mancher wortreiche Dialog und gibt eine leise Vorahnung auf das, was am Ende dieses Filmes kommen wird.

Das Paar, von dem Michael Hoffman in seinem Film Ein russischer Sommer erzählt, ist der weltberühmte Schriftsteller Leo Tolstoi (Christopher Plummer) und seine Frau Sofia (Helen Mirren), die zu dem Zeitpunkt, als die Erzählung einsetzt, seit 48 Jahren verheiratet sind. Trotz der trügerischen Harmonie, mit der das Paar eingeführt wird, herrscht im Hause des Schriftstellers, der über 80 Jahre alt ist, ein erbitterter Kleinkrieg um die Gunst Tolstois. Denn der ist längst nicht mehr nur ein Schriftsteller von Weltrang, sondern im korrupten und moribunden Zarenreich auch eine Art moralische Instanz. Sein radikaler Anarchismus und Pazifismus machten ihn in unruhigen Zeiten zu einem geistigen Führer, dem viele Menschen folgten. Diese Bewegung, der Tolstojanismus, wurde von Wladimir Tschertkow (Paul Giamatti) angeführt, der sich im letzten Lebensjahr des Schriftstellers eine erbitterte Schlacht mit Tolstois Gattin um das Vermächtnis des großen Vordenkers lieferte.

Auch hiervon erzählt der Film und lässt die unruhigen Zeiten des Niedergangs des Zarenreiches und die vielfältigen Träume und Utopien auf eine bessere Zukunft lebendig werden. Zwischen den Ansprüchen von Tolstois Frau und den Vereinnahmungen seiner Jünger hat Michael Hoffman – historisch weitgehend korrekt – den jungen Privatsekretär Walentin Bulgakow (James McAvoy) platziert, der von beiden Seiten für die jeweilige Sache eingespannt werden soll und der sich zwischen allen Stühlen sitzend in die hinreißende Tolsojanerin (Kerry Condon) verliebt, die auf die Ideale des zölibatären Lebens pfeift und den schüchternen Vegetarier in die Freuden der fleischlich-leiblichen Genüsse einführt.

Dem alten Schriftsteller selbst sind die Streitereien um sein Erbe bald zuwider und so flieht er von seinem Landgut, um auf einer Reise die Ruhe zu finden, derer er so dringend bedarf. Denn Tolstoi spürt, dass ihm nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, um sein Werk zu vollenden. Es wird seine letzte Reise werden, die letzte Station seines Lebensweges.

Die zwar alte, aber nicht minder heftige Leidenschaft eines Paares, das nicht miteinander kann, aber auch nicht ohne einander, ist nur eine Facette dieses wundervoll inszenierten Filmes von Michael Hoffman, bei dem wirklich alles stimmt. Angefangen von einem vielschichtigen Drehbuch voller Doppelungen und sich ergänzender Aspekte, die wie ein Rädchen ins andere greifen, über die durch die Bank großartigen Schauspielern bis hin zu den herrlichen Landschaftsaufnahmen, die zu einem gehörigen Teil in Sachsen-Anhalt („Sexy-Anhalt“ meinte Helen Mirren bei einer Pressekonferenz) entstanden – hier stimmt wirklich alles. Man weiß eigentlich gar nicht, was man an diesem Film zuerst loben soll – das kluge und detailreiche Drehbuch, die erstklassige Regiearbeit, die gelungene Ausstattung oder den hochkarätigen Cast, der kaum vermuten lässt, dass es sich bei diesem Film um in Deutschland produziertes Werk handelt. So nah an Hollywood – und zwar im besten Sinne – war in Deutschland produziertes Kino mit internationaler Besetzung nur ganz selten.

Neben der Freude über einen gelungenen Film weckt Ein russischer Sommer eine nahezu unbändige Lust darauf, sich den nächst besten Tolstoi-Roman zu schnappen und sich eingehender mit dem Werk und dem Leben dieses wahrhaft großen Künstlers zu beschäftigen. Abgesehen von 112 höchst unterhaltsamen Minuten im Kino ist dies ein weiterer beachtlicher Nebeneffekt dieses Films, der mit Leichtigkeit Literatur- und Weltgeschichte, die Biographie eines großen Mannes und eine Liebesbeziehung voller Höhen und Tiefen miteinander verbindet.

Ein russischer Sommer

Ein alter Mann schläft. Ganz ruhig liegt er da und man bekommt eine Ahnung davon, wie dieser Mann aussehen könnte, wenn er tot ist. Vielleicht liegt das an seinem Alter, an dem weißen Bart, der sein Gesicht umrahmt oder an der Stille, die von seinem Anblick ausgeht. Dann legt sich eine Frau neben ihn, legt ihm die Hand auf die Brust und wir spüren die innige Verbundenheit zwischen diesen beiden Menschen.
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Meinungen

Olena · 02.06.2012

Der Film ist wirklich sehr grosse Enttäuschung! Amerkanere können kein Rissische Filme machen. Sie zeigen nur eigene amerikanische, primitive Kultur und Gedanken.
Die Darstellungen der russischen Charaktere, Helden (russischen Frauen, Männer, Sozialisten) waren nicht richtig,es war total Falsch. Diese Mascha ist keine russische Frau. Diese Gespräche über sex und vulgäre Sache waren unmöglich in dieser Zeit!!! Das weiss und versteht jeder, der aus Russland ist order Tolstois Werke gelesen hat. Aus der Film geht hervor, dass sie wissen nichts über Russland und sie möchten nicht wissen. Sie beobachten nur eigene arme, vulgär Verfassung über das Leben.
Es gab nur die Bilder, keine Seele, keine Liebe. Die Geschichte war zu arm. Und sie versuchte viele Episode mit Streiten (bzw. mit der Pistole), schönen Bilder der Natur zu zeigen. Aber das ist nicht genug.
Ich empfehle diesem Film nicht zu glauben.
Das tut mir sehr Leid.

Joe · 05.12.2009

Sehr schöner Film, werd ich mir auf jeden Fall ansehen..