Draußen ist Sommer

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Familienverfall

Draußen ist Sommer, aber drinnen ist mindestens Spätherbst. Der Apfel fällt vom Baum, Blätter fallen mit verneinender Gebärde, wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr – nun, immerhin das hat die fünfköpfige Familie, ein großes, neues Domizil in der Schweiz. Dort soll ein Neuanfang möglich sein, acht Zimmer, ein großer Garten, die neue Fassade soll Harmonie und Gemeinschaft bringen. Aber es liegt zu vieles im Argen, und wir folgen der 14-jährigen Wanda (Maria Dragus) in den schleichenden Verfallsprozess der Familie.
Wanda kann sich in der Schule nicht einfinden, die sprechen unverständliches Schwyzerdütsch und sind erstmal sowieso gemein zu ihr. Ihre Schwester Sofia findet immerhin eine Freundin, aber auch darin keinen emotionalen Halt. Der kleine Bruder spricht nicht und bekommt Haarausfall, essen will er auch nicht mehr. Der Vater (Wolfram Koch) arbeitet ständig, und die Mutter (Nicolette Krebitz) misstraut ihm, da war mal was mit Untreue, was noch immer und ständig an ihr nagt. Ein Miteinander gibt es nicht mehr, nur noch ein Nebeneinander, und auch das immer weniger, denn die Mutter legt sich depressiv ins Bett, der Vater übernachtet im Keller, und Wanda beobachtet die glückliche Nachbarsfamilie durch deren großes Panorama-Wohnzimmerfenster und synchronisiert deren Gespräche, legt die Dialoge einer liebevollen Familie über ihre Lippenbewegungen – die Simulation einer normalen Familiensituation, die sie nur noch vom Hörensagen kennt.

Friederike Jehn findet sich voll ein in diese verkorkste Familiensituation, kontrastiert die Kälte im Haus mit dem Sonnensommer, mit Freibad und Swimmingpool. Langsam und schleichend geht ihr Film unter die Haut: Die Versuche der Kinder, so etwas wie Harmonie und Familienfrieden wiederherzustellen, die plötzlichen Liebesbezeugungen der Eltern, die gleich darauf wieder durch Lügen gestraft werden, wenn wieder ein Streit ausbricht oder wenn abermals keiner dem anderen wirklich zuhört. Sehr klug und sehr genau sind die Protagonisten charakterisiert, die alle feststecken in einer Lebens- und Gefühlssituation, die die anderen ausschließt.

Dabei ist der Film überhaupt nicht depressiv, kein larmoyantes Anklagen, kein „Sozialdrama“ im negativen Sinn des Anklagend-Didaktischen. Draußen ist Sommer ist eine Zustandsbeschreibung, eine extreme vielleicht, aber eine, die sich latent bei jedem, vielleicht in jeder Beziehung, vielleicht in jeder Familie, finden ließe. Auf ganz vielen Ebenen spielt der Film: da ist die Pubertät und das Erwachsenwerden von Wanda, die für einen Gleichaltrigen schwärmt und eher zufällig an einen sehr seltsamen Nachbarn gerät, der irgendwie zurückgeblieben ist, zugleich fordernd und einfühlsam; da ist die rissige Elternbeziehung, die Vater und Mutter an der Oberfläche kitten wollen; da ist die Geschwisterbeziehung, nicht ohne Reibereien, aber einig darin, eine heile Familie zu wollen; da ist die Perspektive nach außen; da sind die Versuche, Anschluss an die neue Umgebung zu bekommen.

Die lebensechten Charaktere, die Konflikte, die der Film zeigt, ohne dass er auf ihnen herumreiten würde, die komplexe, nicht konstruiert wirkende Konstellation — alles zeugt von Jehns Gespür für Figuren und Film, und dafür, wie es ist, wenn die Sturmwinde durch die Familie brausen, während draußen so schöner Sommer herrscht.

Draußen ist Sommer

Draußen ist Sommer, aber drinnen ist mindestens Spätherbst. Der Apfel fällt vom Baum, Blätter fallen mit verneinender Gebärde, wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr – nun, immerhin das hat die fünfköpfige Familie, ein großes, neues Domizil in der Schweiz. Dort soll ein Neuanfang möglich sein, acht Zimmer, ein großer Garten, die neue Fassade soll Harmonie und Gemeinschaft bringen. Aber es liegt zu vieles im Argen, und wir folgen der 14-jährigen Wanda in den schleichenden Verfallsprozess der Familie.
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