Do Not Resist

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Was macht der "War on Terror" mit einer Nation?

Alles beginnt in Ferguson, Missouri. August 2014, ein weißer Polizist schießt auf einen 18-Jährigen schwarzen Jungen. Mehrmals. Der Junge stirbt. Er hatte keine Waffe bei sich. Die Stadt gerät in einen Ausnahmezustand: Demonstrationen, Ausgangssperre, Tränengas, Festnahmen. An dieser Stelle setzt der Dokumentarfilm Do Not Resist von Craig Atkinson ein. Mit seiner Kamera steht er mittendrin, zwischen den Demonstranten, im Tränengasgranatenhagel der Polizei. Bilder, die man damals in den Nachrichten gesehen, aber nun schon fast vergessen hatte, kommen zurück. Da sind die Polizisten, die mit Brutalität gegen die Demonstranten vorgehen. Da sind die ausgebrannten Autos und zerstörten Läden. Da ist der Afroamerikaner mit der großen US-Fahne, der sich den Polizisten gegenüberstellt und sie stolz schwenkt – sie ist verkehrt herum aufgehängt, Stars and Stripes stehen Kopf, Symbol einer Nation, die aus den Fugen gerät.
Ein Symptom hierfür untersucht Atkinson in seinem Doku-Debüt: die zunehmende Militarisierung der Polizeikräfte den USA. Der Film trifft dort besonders den Nerv der Zeit, auf dem Tribeca Filmfestival 2016 wurde er mit dem Best Documentary Feature Award ausgezeichnet. Er ist eine Bestandsaufnahme, was 15 Jahre „War on Terror“ aus dem Land gemacht haben. Auf die Vorgänge in Ferguson wird er immer wieder zurückkommen. Die drei Gewaltwellen, die über die Stadt rollten, bilden den roten Faden des Films. Dazwischen verwebt Atkinson unterschiedlichste Aspekte zu einer großen Gesamtaufnahme des Status quo. Dafür zieht er den Fokus auf das Thema weit auf: Er interviewt Polizisten auf einer Tagung („All die Waffen, die wir einsetzen, haben wir, weil etwas in Amerika passiert ist, das ihren Einsatz rechtfertigt.“), dokumentiert die Rede des FBI-Chefs („Monster sind echt und deshalb brauchen wir Waffen.“) und ein Polizeitraining mit dem Motivationsberater Dave Grossmann („Ihr Polizisten seid die Superhelden, die die Stadt sicherer machen.“). Er ist bei Drogenrazzien mit dem Einsatzkommando der Polizei unterwegs und später bei der schwarzen Familien zuhause, deren Sohn man gerade wegen des Besitzes von 1,5 Gramm Marihuana festgenommen hat.

Bei all diesen Aufnahmen versucht Aktinson, komplett hinter der Kamera zu verschwinden. Doch kann man bei einem so hoch emotional aufgeladenen Thema überhaupt die Distanz wahren? Atkinsons Vater war 29 Jahre lang Polizist in Detroit, 13 Jahre davon in einem SWAT-Team. Als Kind nahm Atkinson als Statist an Polizeiübungen teil. Vielleicht ist es gerade dieser Hintergrund, der Atkinson antreibt, so viel Distanz wie möglich zwischen sich und das Thema zu bekommen. Er tritt nicht einmal als Interviewer auf, lässt allein die Bilder und Fakten für sich sprechen. Und die werden besonders gegen Ende des Films immer beunruhigender, wenn er einen Blick auf die Technik wirft, die Polizeikräften in Zukunft zur Verfügung stehen könnte. Denn sie wirkt wie aus den Dystopien von Minority Report bis Terminator entsprungen. Ein Experte erläutert die Weiterentwicklung der Drohnenüberwachung und stellt verschiedene Datenverarbeitungssysteme vor. Eines davon berechnet anhand von Hintergrunddaten wie Familienstruktur, sozialer Herkunft und Bildungsgrad, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Mensch ein Gewaltverbrechen begeht. Auch Hautfarbe spiele dabei eine Rolle, sagt er, wenn man der strengen Logik der Daten folge. „Wenn wir alle zugänglichen Daten zusammennehmen, können wir bereits für ein ungeborenes Baby vorhersagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es vor seinem 18. Lebensjahr jemanden umbringt“, sagt der Experte.

Was fängt eine Gesellschaft mit dieser Information an? Will man einer Mutter sagen, dass ihr ungeborenes Kind mit 80 Prozent Wahrscheinlichkeit einen Mord begehen wird? Glauben wir, dass Menschen von Natur aus böse sind? Oder gut? Wollen wir eine durch Technik optimierte Gesellschaft? Und wo hören wir mit dem Optimieren auf? Atkinson muss die Fragen nicht stellen. Sie drängen sich automatisch auf, wenn der Vorhang fällt.

Do Not Resist

Alles beginnt in Ferguson, Missouri. August 2014, ein weißer Polizist schießt auf einen 18-Jährigen schwarzen Jungen. Mehrmals. Der Junge stirbt. Er hatte keine Waffe bei sich. Die Stadt gerät in einen Ausnahmezustand: Demonstrationen, Ausgangssperre, Tränengas, Festnahmen. An dieser Stelle setzt der Dokumentarfilm „Do Not Resist“ von Craig Atkinson ein.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen