Die Welt der Wunderlichs

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

"It's alright to be crazy"

Dani Levy hat ein Herz für schräge Figuren mit dysfunktionalen (Familien-)Beziehungen. Das zeigte der Filmemacher in seinem bis dato wohl größten Erfolg Alles auf Zucker! (2004) ebenso wie in seiner letzten Kinoarbeit Das Leben ist zu lang (2010) und der Fernsehkomödie Der Liebling des Himmels (2015). In seinem neusten Werk Die Welt der Wunderlichs klingt die Intention, in den Kosmos einer chaotischen Gruppe einzutauchen, bereits im Titel an. Levy schildert darin eine Geschichte im Stil des Indie-Hits Little Miss Sunshine, liefert aber nicht nur eine Kopie des in vieler Hinsicht sehr ‚(US-)amerikanischen‘ Vorbilds, sondern überträgt dessen Dramaturgie recht gelungen in ein deutsch-schweizerisches Erzähluniversum mit typischem Levy-Personal.
Im Mittelpunkt steht die alleinerziehende ehemalige Musikerin Mimi Wunderlich (Katharina Schüttler), die zu Beginn ihren Job in einem Elektronik-Fachmarkt verliert, da sie in die Grundschule ihres Sohnes Felix (Ernst Wilhelm Rodriguez) beordert wird. Dieser ist – nicht zum ersten Mal – durch einen Streich unangenehm aufgefallen. Doch Felix‘ Hyperaktivität ist nicht Mimis einziges Problem: Ihr Ex-Partner Johnny (Martin Feifel) kommt seinen Vaterpflichten nicht nach, weil er mit reichlich Alkohol und Drogen dem Möchtegern-Rockstar-Leben frönt; ihr eigener Vater Walter (Peter Simonischek) und ihre Mutter Liliane (Hannelore Elsner), die seit vielen Jahren getrennt leben, leiden unter bipolaren affektiven Störungen – und ihre Schwester Manuela (Christiane Paul) ist nicht bereit, ihren Teil zur familiären Krisenbewältigung beizutragen. Als Mimi dank Felix‘ heimlicher Anmeldung die Möglichkeit erhält, durch eine Mitwirkung an der TV-Wettbewerbsshow Second Chance ihre finanziellen Sorgen zu bekämpfen, fasst sie den Entschluss, an den Austragungsort Zürich zu reisen – und zwar ohne Begleitung. So leicht wird sie ihre Sippe allerdings nicht los.

Die Welt der Wunderlichs erzählt nicht nur vom Chaos, der Film ist auch selbst äußerst chaotisch. Einiges mutet holprig und unausgegoren an und ist irgendwie ein bisschen ‚drüber‘. Darin liegt jedoch zugleich der besondere Reiz des Werks. Die Figuren mögen in ihrem oftmals destruktiven Verhalten anstrengend sein und sind fraglos überzeichnet, es ist Levy aber hoch anzurechnen, dass er es dem Publikum nicht so leicht macht, diese Reisegruppe sympathisch zu finden: „Wir sind nicht interessant, wir sind Psychos!“, exklamiert Mimi in einem Moment der Verzweiflung. Während die Familie in der Dramödie Little Miss Sunshine zwar spleenig, doch letztlich ziemlich gefällig präsentiert wurde, stößt man sich in Die Welt der Wunderlichs an etlichen Ecken und Kanten, kann dabei aber zum einen viele originelle, mal absurd-komische, mal überraschend wahrhaftige Momente entdecken und zum anderen – wie bei Levy üblich – wunderbare Schauspielleistungen erleben. So überzeugt etwa Katharina Schüttler als emotionales Zentrum am Rande des nachvollziehbaren Nervenzusammenbruchs. Neben den Interaktionen mit Ernst Wilhelm Rodriguez und Peter Simonischek in den Mutter-Sohn- beziehungsweise Tochter-Vater-Passagen sind vor allem Schüttlers Szenen mit Steffen Groth herrlich, der Mimis vermeintliche Zufallsbekanntschaft Nico verkörpert: Die ungelenke Romanze, die sich hier zunächst zu entwickeln scheint, steht in bester screwball-comedy-Tradition. Nach Toni Erdmann gibt Simonischek als psychisch Kranker mit Spielsucht und Hang zur großen Lüge erneut einen unerwünscht präsenten Vater und sorgt für die bizarrsten Einlagen des Films; Hannelore Elsner demonstriert als „bipolare Horror-Mama“ (wie sich die Figur selbst beschreibt) abermals ihr humoristisches Talent. Auch Christiane Paul verleiht ihrem Part als Mimis selbstbezogene Schwester etwas Bestechendes.

Auf den heutigen Showbusiness-Wahn wirft Levy in Die Welt der Wunderlichs lediglich ein Streiflicht; er lässt die Promis Thomas Anders, Sabrina Setlur und Friedrich Liechtenstein als Jury-Mitglieder sowie Arabella Kiesbauer als Moderatorin des Fernsehwettbewerbs auftreten, blickt jedoch kaum hinter die Kulissen. Präziser ist die Milieudarstellung hingegen in Mimis Heimatstadt Mannheim. Die Unordnung in der kleinen Wohnung von Mimi und Felix wirkt nicht wie die hindrapierte Unordnung einer Filmwohnung, sondern authentisch. Zudem ist Mannheim als Schauplatz einer filmischen Erzählung noch angenehm unverbraucht; die Stadt wird nicht in Hochglanzbildern, sondern treffenden Aufnahmen eingefangen. Dies trägt dazu bei, dass aus Levys neuer Arbeit eine einfallsreiche Tragikomödie über das Gewirr des (Familien-)Lebens geworden ist.

Die Welt der Wunderlichs

Dani Levy hat ein Herz für schräge Figuren mit dysfunktionalen (Familien-)Beziehungen. Das zeigte der Filmemacher in seinem bis dato wohl größten Erfolg „Alles auf Zucker!“ (2004) ebenso wie in seiner letzten Kinoarbeit „Das Leben ist zu lang“ (2010) und der Fernsehkomödie „Der Liebling des Himmels“ (2015).
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Meinungen

wignanek-hp · 19.10.2016

Ein wunderbar schräger Film, der sich allein schon wegen der schauspielerischen Leistung des Ensembles lohnt. Die Geschichte ist sperrig, wie im richtigen Leben eben halt und nicht glattgebügelt fürs Kino. In so einer Horrorfamilie würde jeder am Rad drehen. Aber im Kinosessel dabei zuzuschauen, ist vergnüglich.