Die Vermissten

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Generationskonflikte nach Hausmacher Art

Die Vision einer Gesellschaft, in der die Konfliktlinien nicht mehr durch soziale Grenzen, sondern entlang der Generationen verlaufen, ist in den letzten Jahren immer wieder diskutiert und in Büchern wie Frank Schirrmachers Das Methusalem Komplott und Filmen wie dem Doku-Drama 2030 – Aufstand der Alten (2007) thematisiert worden. Beobachtet man allerdings die demographische Entwicklung in Deutschland und Westeuropa, kann man sich schon fragen, warum dieses Problem der Zukunft sich bislang recht selten in Filmen niederschlägt – insofern ist Jan Speckenbachs Debütfilm Die Vermissten durchaus ein Werk, das Pionierarbeit leistet. Das Ergebnis freilich ist angesichts des enormen Sprengstoffs, den das Thema beinhaltet, viel zu zerfahren und bruchstückhaft, um wirklich zu zünden.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der geschiedene Strahlenschutzexperte Lothar (André Hennicke), der eines Tages von seiner Exfrau verständigt wird, dass die gemeinsame 14-jährige Tochter Martha (Paula Kroh) verschwunden ist. Obwohl Lothar das Mädchen seit deren sechstem Lebensjahr nicht mehr gesehen hat, mutmaßt deren Mutter, sie könne sich auf dem Weg zu ihrem Vater befinden. Obwohl Lothar mit seiner früheren Familie eigentlich nichts mehr zu tun haben will (warum eigentlich?) und gerade dabei ist, ein neues Leben aufzubauen, macht er sich doch auf die unbestimmte Suche nach Martha und macht dabei die Entdeckung, dass ihr Verschwinden kein Einzelfall ist, sondern Teil einer größeren, vielleicht sogar gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die auf die Zuspitzung des Generationenkonfliktes hinausläuft. Als Lothar der zwölfjährigen Lou (Luzie Ahrens) begegnet und sich an ihre Fersen heftet, glaubt er endlich eine Spur zu haben. Doch was er dann entdeckt, stellt alles in den Schatten, was er erwartet hat…

Sowohl thematisch wie auch stilistisch erinnert Jan Speckenbachs Film Die Vermissten an einen beinahe vergessenen Underground-Klassiker des spanischen Horrorkinos – an Narciso Ibáñez Serradors Ein Kind zu töten aus dem Jahr 1976, der 2009 in Deutschland erstmals auf DVD erschien. Während in dem spanischen Film das Geschehen aber in einer isolierten Insellage stattfindet, setzt Speckenbach deutlich andere Akzente. Bei ihm wird aus dem Horrorszenario eine (zumindest dem ersten Anschein nach) ungleich realistischere Dystopie, deren Ursprünge er an manchen Stellen so geschickt platziert, dass man sich förmlich dabei ertappt, nach Indizien für solch eine Entwicklung im Hier und Jetzt zu suchen.

Leider krankt der Film – und dabei meint man fast die Interventionen eines betreuenden Fernsehredakteurs zu hören — an holprigen Dialogen, symbolistisch überdeterminierten Bildern, einem Übermaß an vorhersehbaren Erklärungen und kontrastierend dazu manchen logischen Brüchen, die niemals den Anschein machen, als würden sie souverän mit den Zuschauererwartungen spielen. Wenn Lothar beispielsweise mit dem Wagen liegen bleibt und wir ihn in der folgenden Szenen auf einen Traktor zugehen sehen, ist es schlichtweg unverständlich, warum er den Treckerfahrer nicht um Hilfe bittet, sondern nur nach dem Weg fragt. Merkwürdige Anschlüsse wie diese sind leider nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel, so dass der angestrebte Realismus des Films schnell ad absurdum geführt wird.

Wirklich bedrohlich wird das Ganze leider viel zu selten und vor allem am Ende, wenn man ahnt, was bei diesem Thema drin gewesen wäre und was der Film trotz guter Absichten lediglich zu streifen vermag. Dann erreichen die Bilder und die Atmosphäre eine Intensität, die wirklich unter die Haut geht. Bloß ist es da schon zu spät – für Lothar ebenso wie für den Zuschauer.

Die Vermissten

Die Vision einer Gesellschaft, in der die Konfliktlinien nicht mehr durch soziale Grenzen, sondern entlang der Generationen verlaufen, ist in den letzten Jahren immer wieder diskutiert und in Büchern wie Frank Schirrmachers „Das Methusalem Komplott“ und Filmen wie dem Doku-Drama „2030 – Aufstand der Alten“ (2007) thematisiert worden.
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Meinungen

wignanek-hp · 20.02.2012

Keine Frage, André Hennicke ist ein begnadeter Schauspieler und er trägt den Film über weite Strecken. Doch gegen die Logiklöcher kann auch er nicht anspielen. Dabei ist die Ausgangssituation durchaus reizvoll und hatte mich bewogen, den Film auf meinen Berlinale-Stundenplan zu setzen: Kinder verschwinden und es stellt sich heraus, dass sie unserem Leben den Rücken gekehrt haben. Und keiner bekommt das mit in der Republik? Das ist wenig glaubhaft. An Anfang vermutet man ja noch, es seien kleine Grüppchen, die nicht auffallen, aber als dann die Miliz auftaucht, bekommt das Ganze eine Dimension, die nicht länger im Verborgenen bleiben kann. Spätestens hier hätte es einer weiteren logischen Unterfütterung bedurft. So bleibt auch der Schluss wenig glaubhaft. Leider!