Die Unsichtbaren - Wir wollen leben (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Historie als Hybrid

Im Oktober 1941 leben noch 160.000 Juden in Berlin. 7000 davon widersetzen sich der Deportation und tauchen unter. Claus Räfles Die Unsichtbaren – Wir wollen leben erzählt die Geschichten von Vieren von ihnen in einer Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm.

Mal ist es Chuzpe, mal Mimikry, mal schlicht jugendliche Unschuld, stets gepaart mit dem Mut helfender Hände und einer gehörigen Portion Glück, die die vier Porträtierten überleben lassen. Für seinen jüngsten Film hat sich Regisseur und Koautor Claus Räfle eines Themas angenommen, das in der Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich bislang eher ein Schattendasein fristete: untergetauchte Juden im nationalsozialistischen Berlin. Auf den Stoff ist Räfle bereits vor einem Jahrzehnt bei den Dreharbeiten zu seiner Fernsehdokumentation über das berühmt-berüchtigte Bordell Salon Kitty gestoßen. An dem Ort in der Giesebrechtstraße in Berlin-Charlottenburg, an dem das Regime große Namen des öffentlichen Lebens, Diplomaten und ranghohe Militärs abhörte, versteckte sich auch eine Jüdin mit falschen Papieren. Das machte Räfle neugierig und er wiederum Überlebende ausfindig.

Da ist der 1922 geborene Cioma Schönhaus, der sich erst dreist seine Unabkömmlichkeit als Zwangsarbeiter erschwindelt, dann als angeblicher Einberufener von Unterkunft zu Unterkunft mogelt und sich schließlich als Ausweisfälscher über Wasser hält. Da ist die ebenfalls 1922 geborene Ruth Gumpel, die mit ihrer ganzen Familie an getrennten Orten untertaucht, Eltern und Geschwister nur selten sieht und später mit einer Freundin bei einem hochrangigen Nazi als Haushaltshilfe anheuert. Da ist der 1926 geborene Eugen Friede, der als Einziger aus seiner Familie den gelben Stern tragen muss und von Helfer zu Helfer gereicht wird. Und da ist die 1924 geborene Hanni Lévy, die sich die Haare blond färbt und mit ihrem Namen auch einen Teil ihrer Persönlichkeit ablegt. Claus Räfle hat sich lange und intensiv mit ihnen unterhalten und die Gespräche mit einer Spielhandlung zu einem vielschichtigen Erzählteppich verknüpft. Die Stimmen der Befragten greifen als Voice-over auf das Geschehen über, wo sie sich als Erzählstimmen der Schauspieler fortsetzen. Als roter Faden zieht sich die gemeinsame Erfahrung von Ausgrenzung, trickreicher Anpassung und Mangel durch das dichte narrative Gewebe.

Räfle selbst nennt Die Unsichtbaren einen „Hybrid“. Er habe die Mischform aus Dokumentar- und Spielfilm gewählt, um „die Geschichten dieser vier Menschen so glaubwürdig, authentisch und wahrhaftig wie möglich“ zu erzählen. „Die kurzen Statements der echten Protagonisten geben der Handlung zusätzliche Kraft, Wahrhaftigkeit und auch Tempo“, konkretisiert der Regisseur. In diesen Formulierungen steckt die ganze Problematik. Der Wahrhaftigkeit eines Spielfilms hat Räfle anscheinend misstraut, aber auch nicht an die Kraft eines Dokumentarfilms geglaubt. Dabei sind viele Aussagen der Interviewten, wie vom Regisseur treffend beschrieben, viel lebendiger und anschaulicher, als es die Bilder der Spielfilmhandlung sein können. Etwa wenn Cioma Schönhaus von der Reichshauptstadt spricht, die ihm in jenen Tagen vorgekommen sei „wie ein riesiger Verschiebebahnhof von Männern, die zu ihren Regimentern einrücken müssen und für ein paar Nächte ein Zimmer suchen“.

Die Schauspieler, die in die Haut der vier Überlebenden schlüpfen, machen einen souveränen Job, auch wenn sie bis auf Ruby O. Fee allesamt viel zu alt für ihre Rollen sind. Jörg Widmers Aufnahmen und Jörg Hauschilds und Julia Oehrings Montage können sich sehen lassen und besitzen internationale Qualität. Das hebt die Produktion weit über vergleichbare, aus dem Fernsehen gewohnte Histotainment-Formate hinaus, an die Die Unsichtbaren zwangsläufig erinnert. Durch den zwar leisen, aber beständigen Einsatz von Matthias Kleins Musik läuft der Film wiederum stets Gefahr, ins Pathetische abzurutschen. Den Eindruck, einen faszinierenden, aber auch etwas zu faserigen Stoff zu betrachten, wird man letztlich nie ganz los.
 

Die Unsichtbaren - Wir wollen leben (2017)

Im Oktober 1941 leben noch 160.000 Juden in Berlin. 7000 davon widersetzen sich der Deportation und tauchen unter. Claus Räfles „Die Unsichtbaren – Wir wollen leben“ erzählt die Geschichten von Vieren von ihnen in einer Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm.

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Meinungen

Walter Cikan · 03.11.2017

Bin von diesem Film sehr beeindruckt und möchte ihn gerne einem Freund schenken.
Teilen sie mir bitte mit, ob und wann er auf DVD erhältlich ist.

Danke
Walter Cikan