Die Stadt als Beute

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wem gehört die Stadt?

Berlin boomt nicht erst seit gestern. Dennoch war das Leben dort lange billig. Seit einigen Jahren gehen aber auch in der deutschen Kapitale die Mieten durch die Decke. Andreas Wilckes Dokumentarfilm Die Stadt als Beute, nicht zu verwechseln mit dem Episodenfilm Stadt als Beute, führt exemplarisch eine Entwicklung vor Augen, die längst viele Regionen (weltweit) betrifft.
Andreas Wilckes Film liegt im Trend. Das Thema Gentrifizierung, also grob gesagt die Verdrängung armer und der Zuzug wohlhabender Bevölkerungsgruppen, kursiert seit geraumer Zeit in den Medien. Zeitschriften widmen den explodierenden Miet- und Immobilienpreisen Titelgeschichten, im Fernsehen laufen Dokus, Ratgeber- und Verbrauchermagazine zu prominenter Sendezeit und mit Dokumentarfilmen wie etwa Göttliche Lage, Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung und jetzt auch Die Stadt als Beute sind Stadtplanung und Mietpreisentwicklung im Kino angekommen. Das scheint auch dringend nötig. Denn wer wie in Wilckes Film zum Teil bis zu 70 Prozent seines monatlichen Einkommens oder seiner Rente für ein Dach über dem Kopf ausgibt, für den ist die Frage nach erschwinglichem Wohnraum eine drängendere als die nach dem richtigen Strom aus der Steckdose oder einer ökologisch einwandfreien Ernährung. (Auch das treibt den Dokumentarfilm ja seit mehreren Jahren um.)

Wie eine Lösung des Problems aussehen könnte, zeigt aber auch Wilcke nicht. Nüchtern und sachlich dokumentiert er die aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt, lässt Mieter und Vermieter, Immobilienmakler, (potenzielle) Käufer und Investoren und Politiker vor seiner von ihm selbst geführten Kamera zu Wort kommen. Nur ab und an fragt er aus dem Off nach. Auf einen Kommentar verzichtet Die Stadt als Beute ganz, lässt stattdessen die Aussagen der Interviewpartner für sich selbst stehen.

Am offensten sind wie auch schon in Wem gehört die Stadt die Makler und Investoren. Unverblümt, ja beinahe schon unverfroren zeigen sie ihren potenziellen Kunden die Gewinnmargen auf, preisen die niedrigen Preise sowie Berlins Potenzial als kommender „kultureller Schmelztiegel Europas“ an. Wie die ganzen Künstler sich diese Stadt dann noch leisten sollen, beziehen sie in ihre Überlegungen nicht mit ein. Dass sozial Schwache immer weiter an den Rand gedrängt werden, rechtfertigen sie nicht nur, sondern brüsten sich teils gar damit. Berlin werde dadurch „schöner“, wenn die „Schmuddelecken“ aus dem Zentrum verschwänden. Dass es gerade diese Ecken sind, dass es die Vielfalt ist, die diese Stadt von vergleichbaren abhebt und so attraktiv macht, auch hier: geschenkt!

Die Politik gibt sich da deutlich bedeckter, verpackt ihre Position ganz diplomatisch verklausuliert. Klaus Wowereit, während der Dreharbeiten noch Berlins Regierender Bürgermeister und auf Wahlkampftour, appelliert an den Fortschrittsglauben seiner Mitbürger. Man könne schließlich keine Käseglocke über die Stadt stülpen, um deren morbiden Charme zu erhalten. Wie der Fortschritt unter Wowereit so läuft, wissen aufmerksame Flugreisende ja. Wowereits Nachfolger Michael Müller, zu Beginn des Films Senator für Stadtentwicklung, weiß wiederum schlicht keine Alternative. Ganz am Ende weist er Wilcke schroff ab. Nicht das einzige Mal, dass die Politiker reichlich hilf- und ratlos dreinblicken.

Zwei Dinge sind in Die Stadt als Beute evident. Erstens: Die Nerven liegen bei allen Beteiligten langsam, aber sicher blank. Mehr als einmal geraten die Parteien heftig, auch beleidigend aneinander. Und zweitens, so abgedroschen das auch klingt: Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo dazwischen. Selbstverständlich muss es auch weiterhin Neubauten, Sanierungen und Modernisierungen geben. In verfallenen Wohnungen in einer heruntergekommenen Stadt will keiner leben. Eine attraktive Stadt schafft auch Arbeitsplätze und Wohlstand. Die Frage bleibt aber stets: zu welchem Preis? Die Politik macht es sich zu einfach, ihre Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte nun auf die angeblich unveränderbaren Gesetze des freien Markts zu schieben. Und Investoren und Politiker sollten es tunlichst vermeiden, aufgebrachte Betroffene als wertkonservative Bewahrer, ewig gestrige Fortschrittsgegner oder Hartz-IV-Empfänger, die gern in bester Lage leben möchten, zu diskreditieren. Das ist ebenso populistischer Blödsinn wie manche Argumente der Gentrifizierungs-Gegner.

Das Menschenbild und Gesellschaftsverständnis nicht weniger Investoren entlarvt, worum es hier eigentlich geht: zunächst einmal um Profit. Und so verwundert es nicht, dass manche Interviewpartner der Meinung sind, es sei absurd, ja geradezu töricht, wenn sich eine Hauptstadt in ihrer Entwicklung an den Schwächsten der Gesellschaft orientiere. Dass es auch anders gehen könnte, dass man auch über Fortschritt und Wachstum nachdenken könnte, bei dem die Schwächsten nicht auf der Strecke bleiben, auf diese Idee kommt keiner. Ohne es direkt anzusprechen, stellt Andreas Wilcke in Die Stadt als Beute damit auch stets die Frage, in welcher Gesellschaft wir in Zukunft leben wollen.

Die Stadt als Beute

Berlin boomt nicht erst seit gestern. Dennoch war das Leben dort lange billig. Seit einigen Jahren gehen aber auch in der deutschen Kapitale die Mieten durch die Decke. Andreas Wilckes Dokumentarfilm Die Stadt als Beute, nicht zu verwechseln mit dem Episodenfilm Stadt als Beute, führt exemplarisch eine Entwicklung vor Augen, die längst viele Regionen (weltweit) betrifft.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen