Die Liebhaberin (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Nackten und die Toten

Zunächst namenlos ist die Reihe der Frauen, die zu Beginn von Lukas Valenta Rinners Die Liebhaberin auftreten. Von der Arbeitsvermittlerin, deren Platz die Kamera einnimmt, werden die Frauen unterschiedlichen Alters vom blinden Fleck des Betrachters aus nach ihrem Wohnort, ihren Referenzen und Erfahrungen befragt, die sie für den zu vergebenden Job als Haushälterin vorzuweisen haben. Warum ausgerechnet die schüchterne Belen (Iride Mockert) schlussendlich den Job bekommt, erschließt sich nicht notwendigerweise auf den ersten Blick, doch das ist bereits ein erster Hinweis darauf, was Die Liebhaberin antreibt: Nicht Psychologismus hat sich der Film auf die Fahne geschrieben, sondern vielmehr ein formalistisches Spiel mit Erwartungen und überraschenden Wendungen, die die menschlichen Verhaltensweisen nicht plump nachahmen, sondern tollkühn gegeneinander montieren, so dass erst die Gesamtschau ein mehr oder minder schlüssiges Bild ergibt. Denn Die Liebhaberin ist kein Film, der vordergründig auf fein austarierte Zwischentöne und Abstufungen setzt, diese entstehen vielmehr durch Kontrastierung und die Konfrontation von Extremen, was sich allein schon zu Beginn und am Ende des Films zeigt: Los decentes heißt der Film im Original. Am Ende, wenn die beiden Welten, die dezente der Bourgeoisie und die weniger dezente der Nudisten, aufeinandergeprallt sind, steht im Abspann ein anderer Titel: Los indecentes.

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Jedenfalls bekommt Belen den Job bei der reichen Familie, die sich in einer gated community außerhalb der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires eingerichtet hat: Mit genau parzellierten Grundstücken und menschenleeren Straßen in einer faden und völlig eintönigen Anlage, die irgendwo zwischen amerikanischer Vorstadt und Feriendorf angesiedelt ist, führt die Oberschicht des Landes ein Leben, in dem es nicht um die Sorgen des Alltags geht, sondern allein um die eigene Behaglichkeit und vielleicht noch die sportliche Karriere des Sohnemanns (dargestellt vom Co-Autoren Martin Shanly) als Tennisprofi. Die Herrin des Hauses (Andrea Strenitz) lässt bei aller Freundlichkeit keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie die neue Angestellte als persönliches Eigentum betrachtet, das man gerne auch mal um 2 Uhr nachts aufscheuchen kann, wenn man selbst keinen Schlaf findet. Eigentlich eine Anstellung, aus der man am liebsten sofort davonlaufen möchte, wenn man nicht eben auf den Job und das Geld angewiesen wäre. Doch dann entdeckt die zurückhaltende und verschüchterte Belen nebenan ein Nudistencamp, das sie magisch anzieht. Hier stößt sie auf Zuneigung, entdeckt wie Botticellis schaumgeborene Venus (auf dieses Gemälde verweist explizit eine Einstellung) ihren Körper und die eigene Schönheit und gibt sich den Vergnügungen von gemeinsam praktiziertem Tantra-Sex sowie Gedichtrezitationen und der Jagd auf Papageien hin. Eigentlich der ideale Ausgleich für die abweisende Welt der Reichen und Schönen, doch das Nebeneinander von freier Liebe und elitärem Gehabe geht nicht lange gut und so wird die Auseinandersetzung zwischen den beiden Welten zunehmend gewalttätiger …

Immer wieder fühlt man sich in den Bildfindungen, der Konstruktion sowie der Figurenzeichnung und nicht zuletzt auch wegen des satirischen, durch Entfremdungseffekte verstärkten Tonfalls von Die Liebhaberin an die Filme von Yorgos Lanthimos erinnert. Das liegt nicht nur daran, dass sowohl in Dogtooth als auch in Die Liebhaberin die Abgeschlossenheit eines geschützten Raumes (lediglich die Größe und der personelle Umfang der gated community unterscheidet sich) zur mikrokosmischen Bühne gesellschaftlicher Versuchsanordnungen gerät. Frappierend, ohne dabei als plumpes Plagiat zu erscheinen, ist auch die Wahl der wundervollen Hauptdarstellerin: Iride Mockert könnte rein physiognomisch durchaus eine Schwester von Angeliki Papoulia sein, die immer wieder in den Filmen der New Greek Wave eine wichtige Rolle spielt und zuletzt auch in Lanthimos’ The Lobster neben internationalen Stars wie Colin Farrell und Rachel Weisz zu sehen war.

Doch es wäre falsch, in Lukas Valenta Rinner allein einen Seelenverwandten der neuen griechischen Welle zu sehen; auch in Österreich selbst gibt es Referenzen, neben Daniel Hoesl (Soldat Jeanette, WinWin) sind es vor allem die Spielfilme Ulrichs Seidls, an die man sich bei Die Liebhaberin erinnert fühlt. Mit Sicherheit ist Rinner einer der innovativsten und spannendsten jungen Regisseure, dessen weitere Entwicklung man mit großem Interesse weiterverfolgen sollte.
 

Die Liebhaberin (2016)

Zunächst namenlos ist die Reihe der Frauen, die zu Beginn von Lukas Valenta Rinners „Die Liebhaberin“ auftreten. Von der Arbeitsvermittlerin, deren Platz die Kamera einnimmt, werden die Frauen unterschiedlichen Alters vom blinden Fleck des Betrachters aus nach ihrem Wohnort, ihren Referenzen und Erfahrungen befragt, die sie für den zu vergebenden Job als Haushälterin vorzuweisen haben.

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Meinungen

Friedrich Bode · 12.11.2017

Ich fand den Film einfältig, langweilig und ohne jeden Tiefgrund.
Schade um die verlorene Zeit im Kino.