Die innere Zone

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Schmalspur-Tarkowski

Wenn ein Film anfängt mit Metallicas Nothing Else Matters in der Streicher-Version von Apocalyptica, kann er gar nicht so schlecht sein, sollte man denken. Wenn dann Jeanette Hain sinniert, wie vor sieben Tagen ihr Sohn verschwunden ist, vor zwei Jahren das Aurora-Projekt beendet und sie sechs Monate im Sanatorium war, wie sie über die Beeinträchtigung des autobiographischen Gedächtnisses forscht und selbst am Erinnerungssensor hing – dann ist auch gleich zu Anfang eine genügend rätselhafte Atmosphäre geschaffen, die im Zuschauer eine interessierte Spannung erzeugt.
Tatsächlich beginnt nun auch eine Handlung, gepackt in seltsame Bilder der Verlorenheit – ein Kontrollraum mit dem Flair altmodischer 70er-Jahre-Armaturen, in dem lediglich ein Männchen einsam den Boden wischt. Ein evakuiertes Tal in der Schweiz mit einem segelohrigen, albinohaften Jungen, steife Bewegungen, entsozialisiertes Verhalten. Und ein geheimnisvoller Tunnel, in dem vielleicht seltsame Experimente zu merkwürdigem Verhalten zwischen Paranoia und Halluzination führen.

Nur ist es leider so, dass diese Geheimnistuerei im weiteren Verlauf nicht aufhört. Hain streift durch die Bilder mit einem Blick zwischen Melancholie und Neugier, doch woher diese Gefühle kommen, wohin sie zielen – mehr als kryptische Andeutungen von Biosphärenexperimenten, sauerstoffentsättigter Luft, Echos der Erinnerung und dem obskuren Auroraprojekt gönnt der Film seinen Zuschauern nicht. Die sich dementsprechend irgendwann auch nicht mehr interessieren für irgendwelche Bedeutungen, auf die sich das merkwürdige Verhalten und die seltsamen Begrifflichkeiten beziehen könnten.

Fosco Dubini schwelgt in einem Konglomerat aus Ideen, zusammengesetzt aus Motiven des zurückhaltenden, kritischen, auch hochkünstlerischen Science-Fiction-Films; speziell Tarkowski ist ein deutliches Vorbild. Doch wo dessen Rätselhaftigkeit sich aus einem Genie speist und in einer Philosophie mündet, ist aus Dubinis Film nur das Offensichtliche herauszuholen: Es geht um den vielfältigen Verfall des Planeten – im Film pars pro toto angedeutet etwa durch Änderung des Binnenklimas, Biosphärenprojekte, Reaktorunfall und Rückzug ins Tunnel – sowie um die Bewahrung der eigenen Identität, um Erinnerungslücken, Halluzinationen, die Anpassung des eigenen Lebensgedächtnisses etc. Diese Außen- und Innendystopien werden miteinander verwoben, und es ergibt sich dabei eben kein klares Bild. Sondern eine wilde Collage, der der ordnende Geist fehlt.

Da sind durchaus lustige Momente – aus dem unheimlichen Tunnel, einem immensen Bergwerksstollen mit Autowracks und herumliegenden Badewannen, könnten auch Orks um die Ecke biegen und irgendwelche Tiefendämonen; und die Erforschung von Steinmikroben in den Felsritzen, deren Bewegungen Sphärenmusik erzeugen, das könnte natürlich auch Loriots Steinlaus meinen.

Aber erst am Ende, viel zu spät, um uns noch aufzurütteln, erhalten wir so richtig eine Auflösung dessen, was sich Dubini mit seinem Film gedacht hat, dargelegt von einem blaugekleideten, gelbblonden Herrn mit Fönfrisur in einem weißen Raum mit Bullaugenfenstern. Und das könnte fast die heimelig-unheimliche Atmosphäre des Traumschiffs sein, aus der freilich kein Happy End, sondern melancholische Verzweiflung erwächst.

Die innere Zone

Wenn ein Film anfängt mit Metallicas „Nothing Else Matters“ in der Streicher-Version von Apocalyptica, kann er gar nicht so schlecht sein, sollte man denken. Wenn dann Jeanette Hain sinniert, wie vor sieben Tagen ihr Sohn verschwunden ist, vor zwei Jahren das Aurora-Projekt beendet und sie sechs Monate im Sanatorium war, wie sie über die Beeinträchtigung des autobiographischen Gedächtnisses forscht und selbst am Erinnerungssensor hing – dann ist auch gleich zu Anfang eine genügend rätselhafte Atmosphäre geschaffen, die im Zuschauer eine interessierte Spannung erzeugt.
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