Die Hölle - Inferno

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Wien in Angst

Genrefilme aus Deutschland sind rar und im deutschsprachigen Ausland sieht es meist nicht viel besser aus. Deshalb ist es überaus erfreulich, dass mit Die Hölle – Inferno nun ein Psychothriller von Stefan Ruzowitzky (Oscar für Die Fälscher) in die Kinos kommt, der in seinen besten Sequenzen auf Hitchcock- und Giallo-Pfaden wandelt.
Es ist Nacht in Wien. Die Taxifahrerin Özge (Violetta Schurawlow) ist unterwegs, es schein ein normaler Abend zu sein. Stoisch ignoriert sie Betrunkene, Streitigkeiten und Volllaberversuche. Als ihr zwei Typen eine Straße versperren, weil der eine im Auto sitzt, während er mit dem anderen spricht, wird sie stinkig. Die Kerle jedoch bewegen sich nicht, machen sich lustig, nehmen offensichtlich „das Mädchen“ hinter dem Steuer nicht ernst. Aber nicht mit Özge: Nachdem der Weg nach Hupen und verbalen Aufforderungen nicht freigemacht wurden, steigt sie aus, streckt den einen mit ein paar Kickbox-Schlägen nieder. Damit ist klar: Özge lässt sich nicht so leicht einschüchtern. Ihre Erlebnisse verbindet Stefan Ruzowitzky mit einer alltäglichen Nacht einer anderen Frau, einer Prostituierten, die mit einem Freier auf dem Zimmer ist, sich auszieht und plötzlich von ihm überwältigt wird. Atmosphärisch äußert dicht werden diese Bilder im Schnitt verbunden – und schließlich verbinden sich diese Stränge: Als Özge nach Feierabend in ihre Wohnung zurückkehrt, nimmt sie einen unangenehmen Geruch war und sucht die Ursache. Sie öffnet im Bad ein Fenster zu einem Lichtschacht – und sieht in einer der gegenüberliegenden Wohnungen die misshandelte, tote Prostituierte auf dem Boden ihres Zimmers liegen. Aber nicht nur das: im Schatten sind die Umrisse des Täters zu sehen – und er sieht, dass sie ihn sieht und blickt zurück. Fortan ist Özge überzeugt, dass er es auch auf sie abgesehen hat. Die Polizei glaubt ihr nicht, ihre Familie hilft ihr nicht, also ist sie auf sich allein gestellt.

In der Folge kommt es zu atemberaubend-spannenden Taxifahrten durch das nächtliche Wien, einer actiongeladenen U-Bahn-Fahrt und einem explosiven Showdown. Dabei umgibt Wien eine Düsterheit, Bedrohlichkeit und leise Melancholie, die die Stadt fast schon zu einer Noir-Kulisse werden lässt – aber eben nicht in Der-dritte-Mann-Weise, sondern auf der moderne, ästhetisch-flirrende Art. Hier bewegt sich Violetta Schurawlow als Özge mit so viel Stärke und Ausdruck, dass in jeder Sekunde zu erahnen ist, dass unter dieser ruhigen, gleichmütigen Oberfläche sehr viel Wut, aber auch Traurigkeit schlummert. Man spürt, dass sie Ausgrenzung und Vorurteile gewohnt ist – sei es bei der Arbeit, beim Kickboxen oder im Kontakt mit der Polizei – und daraus eine Sprachlosigkeit entstanden ist. Vielleicht weil ihr Reden in der Vergangenheit nicht geholfen hat. Auf der Flucht durch Wien landet sie dann schließlich mit dem Kind einer Verwandten in der Wohnung des Kommissars Steiner, von Tobias Moretti als müden, fast schon resignierten, politisch unkorrekten Wiener gespielt, und dessen dementem Vater (Friedrich von Thun) – und hier deutet sich schließlich in einer überraschenden Verbindung ein ganz anderer Ausweg für Özge an.

Stefan Ruzowitzky hat sich schon in der Vergangenheit mit Anatomie oder zuletzt Das radikal Böse als Experte für menschliche Abgründe erwiesen und er macht vieles sehr richtig in seinem Film, der in der Ausgangslage an wenig an Anne Goldmanns Roman Lichtschacht erinnert, in dem die Protagonistin ebenfalls einen (möglichen) Mord beobachtet und sich im Visier des Täters glaubt. Allerdings setzt der Film sehr deutlich stärker auf den thrill als die psychologische Spannung. Außerdem ist Özge auf den ersten Blick endlich mal eine weibliche Hauptfigur, die sich nicht aufgrund eigener Gewalterfahrungen und Traumatisierung zur Wehr setzt, sondern weil sie kein Opfer werden will und deshalb aufbegehrt. Jedoch unterläuft der Film dann mit einem unnötig dramatisierten biographischen Hintergrund der Figur dieser Einschätzung: Es wäre völlig ausreichend gewesen, wenn Özge gegen ihre türkische Familie rebellierte, hier hätten nicht noch sexuelle Übergriffe sein müssen. Zumal die durch Özge angesprochenen Themen – die Rebellion gegen Tradition und Patriarchat – diese Zuspitzung nicht benötigen. Dieser kleine Wermutstropfen wird dann am Ende noch ein wenig größer, wenn im allerletzten Moment auch Özge Hilfe von außen braucht.

Ohne diese emotionalisierend-dramatischen Hintergründe und Momente hätte Die Hölle – Inferno ein wirklich kompromissloser Thriller mit einer äußerst wehrhaften Protagonistin werden können. Aber auch mit diesen Abstrichen zeigt dieser Film, dass sogar im Serienkillerthriller Ansätze für eine Modernisierung stecken. Außerdem gibt es so viel Härte, Düsternis und Spannung im deutschsprachigen Kino auch nicht allzu oft zu sehen.

Die Hölle - Inferno

Genrefilme aus Deutschland sind rar und im deutschsprachigen Ausland sieht es meist nicht viel besser aus. Deshalb ist es überaus erfreulich, dass mit „Die Hölle – Inferno“ nun ein Psychothriller von Stefan Ruzowitzky (Oscar für „Die Fälscher“) in die Kinos kommt, der in seinen besten Sequenzen auf Hitchcock- und Giallo-Pfaden wandelt.
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Meinungen

ROSWITHA MAYER · 21.07.2022

Der Film hat mir ganz gut gefallen bis auf den Teil wo der Komisar den Hund Inn den Kofferraum gesperrt hat, fand ich voll Scheiß.