Die Hannas (2016)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Harmonische Paar-Symbiose trifft auf Krisen-Schwestern

Wer kennt sie nicht, die eigenen geliebten und bei anderen belächelten bis verspotteten, albernen kleinen Intimitäten auf der Paarebene, die im Zuge einer vertrauten Zweisamkeit gewachsen sind? Debil anmutende Kosenamen, schmatzrotzende Zärtlichkeiten, Rülpser-Rituale und andere Codes sind Zeichen einer eingespielten Beziehung, die – beabsichtigt oder nicht – mitunter auch nach außen dringen. Bei Anna (Anna König) und Hans (Till Butterbach) hält zusätzlich die ausführliche Futterei Leiber und Seelen zusammen, und das putzige Pärchen in den Dreißigern gilt als Symbiose „Die Hannas“ offiziell als stabilst harmonisch, während hintenherum Wetten darüber abgeschlossen werden, wer wen eines Tages verlassen wird.

Die beiden selbst allerdings sind sichtbar zufrieden, und als Anna von ihrem kürzlich installierten Therapeuten gefragt wird, was denn ihr Ziel der Sitzungen sei, nennt sie den Wunsch, authentischer zu sein. Für den nächsten Urlaub haben sich Anna und Hans jeweils eigene sportliche Herausforderungen gesetzt, für die sie nunmehr trainieren: Hans rennt und Anna schwimmt. Dass sich trotz gepflegter, alltagserprobter und zugeneigter Verbindung dann doch untreue Abwegigkeiten anbahnen, ereignet sich im Zuge neuer Bekanntschaften mit ganz drastischen Charakteren. Die Physiotherapeutin Anna begegnet der emotional aufgekratzten Patientin Nicola (Ines Marie Westernströer), die sie allmählich erotisiert, während Hans auf die wendige, brutalistische Personal Trainerin Kim (Julia Becker) trifft. Die strenge Motivationsaktivistin scheucht seine leicht bekleidete Laufgruppe erst martialisch durch den Wald und veranstaltet später düster-lüsterne (Fessel-)Spiele mit Hans, der hierbei nicht widerstehen kann. Ein Aufeinandertreffen der Protagonist_innen und das Aufbrechen der Heimlichkeiten führen schließlich zur allseitigen Überraschung, dass Kim und Nicola Schwestern sind sowie Anna und Hans ein Paar – eine Konstellation, die tragische Entwicklungen auslöst …

Funktioniert Die Hannas auch eine gute Weile als angenehm schräge, sperrig-komische und witzig gewürzte Komödie der naturalistischen Sorte, die mit scheinbar spontan gesprochener Alltagssprache gegen die dialogische Eloquenz des deutschen Mainstream-Kinos rebelliert, knickt diese satirische Stimmung mit den Enthüllungen ein. Dies liegt nicht an der Aufdeckung an sich, sondern vorwiegend an den schwerlastigen Themen, die nun hinzukommen und die Komik ersticken, der die offensichtlich beabsichtigte Rückkehr gegen Ende des Films kaum gelingt, auch wenn manche Bilder wiederum dahin tendieren. Doch auch wenn die filigrane Balance einer Tragikomödie hier ihre Holprigkeiten erfährt, bleibt Julia Kaisers frisch-freche Geschichte, die beim Filmfest München 2016 uraufgeführt und 2017 bei achtung berlin mehrfach prämiert wurde, doch ein markantes Argument für junges deutsches Kino jenseits der ausgetrampelten Pfade.

Konsequent konstruierte Charaktere, eine lebendige bis manchmal allzu dynamische Kameraführung, eine schnörkellose Ästhetik und ein paar fesche Lieder umgeben die Figuren mit einem unprätentiösen, authentisch wirkenden Ambiente. Das harmonische Paar ebenso wie die seit ihrer Kindheit arg angegriffenen Schwestern finden Aufregung und Lust in einer antagonistischen Affäre, die sozusagen schon zum gewöhnlichen Erfahrungsspektrum des 21. Jahrhunderts gehört. Auch wenn Die Hannas in vielerlei Hinsicht leichtgängig einen urbanen Zeitgeist widerspiegelt, der weniger moralische als pragmatische Grenzen berührt, installiert Julia Kaiser mit dem Trauma der Schwestern doch eine Dimension, die keine Satire verträgt. Damit kehrt sie bedauerlicherweise auch auf eine konventionelle Ebene zurück, die sie mit dem starken Auftakt des Films treffsicher verlassen hatte. Ob die Distanz, die dadurch entsteht, beabsichtigt oder aber schlichtweg aus dem Verlauf der Dramaturgie erwachsen ist, bleibt dem Publikum verborgen.

Die Hannas (2016)

Wer kennt sie nicht, die eigenen geliebten und bei anderen belächelten bis verspotteten, albernen kleinen Intimitäten auf der Paarebene, die im Zuge einer vertrauten Zweisamkeit gewachsen sind? Debil anmutende Kosenamen, schmatzrotzende Zärtlichkeiten, Rülpser-Rituale und andere Codes sind Zeichen einer eingespielten Beziehung, die – beabsichtigt oder nicht – mitunter auch nach außen dringen.

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