Diamond Island (2016)

Eine Filmkritik von Olga Galicka

Der junge Mann und das Neon

Als Bora (Nuon Sobon) und sein Bruder Solei (Nov Cheanik) auf einem Motorrad über Diamond Island fahren, versinken die jungen Männer in blinkenden Neonlichtern der umliegenden Baustellen und Hotels. Wie große Tableaus wirken die Bilder, die Davy Chou in seinem Spielfilmdebüt Diamond Island konstruiert. Es sind kurze Stillleben und Landschaftsgemälde, die dem Zuschauer Boras Leben und gleichzeitig die Geschichte des modernen Kambodschas schildern. Die schnell fortschreitende Industrialisierung des Landes wird von Chou und Kameramann Thomas Favel in Kompositionen aus Neon und Metall abgebildet. 

Den Film bei Vimeo schauen:

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von Vimeo präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen

Bora zieht aus einem Dorf in der Provinz nach Koh Pich – Diamond Island genannt – in die Hauptstadt Phnom Penh, um dort auf der Baustelle zu arbeiten. Der Diamond Island ist von einem Luxushotelensemble in Las Vegas inspiriert, die Insel soll ein kommerzielles und touristisches Zentrum Kambodschas werden. Bora ist Teil eines männlichen Freundeskreises, stets treten die jungen Männer in einer Viererkonstellation auf. Tagsüber arbeiten sie auf der Baustelle, abends gehen sie aus. Zufällig trifft Bora auch seinen Bruder Solei auf Diamond Island wieder, den er seit fünf Jahren nicht gesehen hat. Dank eines amerikanischen Wohltäters ist Solei gesellschaftlich aufgestiegen. Er studiert und umgibt sich mit jungen Menschen der oberen Mittelschicht. Bora bewegt sich bald zwischen zwei gesellschaftlichen Kreisen und muss sich für einen Lebensstil entscheiden. Der eine bietet Komfort, der andere wertvolle Freundschaften. 

Davy Chou, der 2012 den Dokumentarfilm Golden Slumbers auf der Berlinale präsentiert hatte, hat in seinem ersten Langspielfilm eine Ästhetik entwickelt, die das artifizielle und gleichzeitig melancholische Klima Diamond Islands widerspiegelt. Hinzu mischt sich auch ein bisschen Nostalgie. Wenn die vier Freunde zu einer kambodschanischen Coverversion von Quando, quando, quando über einen Jahrmarkt streifen, dann glaubt man kurz, die Handlung würde in den 1960er Jahren spielen. Das liegt auch an dem aus der Zeit gefallenen Kleidungsstil des Freundeskreises – helle Jeans, Hemden mit Blumenmuster und toupierte Haare. Erst im Vergleich zu Solei und seinen Freunden merkt man, wie komisch die jungen Männer gekleidet sind. 

Chou betrachtet seine Charaktere meist aus der Ferne. Oft werden selbst Dialoge durch eine konstruierte kompositorische Rahmung eingefasst. Diese Distanz zwischen der Kamera und den Personen erlaubt zwar visuelle und optische Experimente; so werden Dialoge in lauten Clubs, in denen sonst geschrien werden muss, um sich zu verständigen, auf ein leises Flüstern reduziert. Die vielzähligen Tableaus und die Mischung aus atmosphärischen Tönen und Popmusik schaffen aber oftmals eine starke Atmosphäre, die Chou zumeist nicht aufrechterhalten kann. Denn Chous Distanz zu seinen Figuren verhindert ein Durchdringen zu ihnen. Oftmals verbleibt zwischen dem Zuschauer und den Charakteren eine artifizielle Membran. 

Die Schauspieler von Diamond Island sind Laien. Ihr Einsatz gibt dem Film eine gewisse Unschuld, die ihm an vielen Stellen zum Vorteil gereicht. An anderen Stellen hingegen scheitern die Dialoge. Die dominante Tableau-Ästhetik wirkt zwar stark in Aufnahmen, die soziale und architektonische Konstellationen einfangen sollen. Doch genau die gleiche Ästhetik erweist sich in komplexeren Dialogen erbarmungslos gegenüber den Darstellern. Auch die Inhalte der Dialoge und der eigentliche Plot zeigen Schwächen auf. Boras Entscheidung zwischen den beiden Lebensstilen scheint wenig relevant, der Konflikt zwischen Bora und seinen Freunden künstlich provoziert. 

Viel spannender wäre es zum Beispiel gewesen, auf den so oft erwähnten und bis zum Ende im Verborgenen verbliebenen „Sponsor“ Soleis einzugehen. Von vorne herein scheint die Geschichte, die Solei seinem Bruder erzählt, wenig glaubwürdig. Viel eher scheint es, dass Solei die Förderung als Gegenzahlung für seine sexuellen Dienste bekommt. Solei macht im Verlaufe des Films dazu vielzählige Andeutungen, doch werden sie allesamt von Bora ignoriert. Dabei gab es gerade hier Potenzial für einen echten Konflikt zwischen den Brüdern. Chou entschied sich stattdessen für eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, die allerdings aufgrund der vielen Schwächen und mangelnder Originalität nicht zu überzeugen vermag. 

Die Geschichte um Bora scheint viel eher bloß eine Ausrede, um die Gegend von Diamond Island ästhetisch in Szene zu setzen. Gerade in diesen Aufnahmen zeigt sich das Talent Chous als Dokumentar- und Essayfilmregisseur und hier hätte sich möglicherweise auch das politische Potenzial des Films entfalten können. Frei von künstlichen Dialogen wäre an dieser Stelle ein Diskurs über die soziale Ungleichheit in Kambodscha möglich gewesen. Diamond Island bleibt dennoch nicht zuletzt wegen der gelungen Komposition aus Bildern und Tonexperimenten ein Kinofilm. Auf die DVD zu warten, wäre in diesem Fall eine vertane Chance auf ein ästhetisches Kinoerlebnis.
 

Diamond Island (2016)

Als Bora (Nuon Sobon) und sein Bruder Solei (Nov Cheanik) auf einem Motorrad über Diamond Island fahren, versinken die jungen Männer in blinkenden Neonlichtern der umliegenden Baustellen und Hotels. Wie große Tableaus wirken die Bilder, die Davy Chou in seinem Spielfilmdebüt „Diamond Island“ konstruiert. Es sind kurze Stillleben und Landschaftsgemälde, die dem Zuschauer Boras Leben und gleichzeitig die Geschichte des modernen Kambodschas schildern.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen