Der unsichtbare Gast (2016)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Hinter verschlossenen Türen

Das locked-room mystery, also das Geheimnis eines Mordes, der in einem verschlossenen Raum durchgeführt wird, gehört zu den Konventionen der Kriminal- und Thrillerliteratur. Seit Edgar Allen Poes Der Doppelmord in der Rue Morgue aus dem Jahre 1841, der zugleich die Tradition der Detektivromane begründete, versuchen sich immer wieder Schriftsteller und später auch Filmemacher an Versuchsanordnungen dieser besonderen Art und eigentlich müsste man annehmen, dass das Subgenre bereits hinlänglich abgearbeitet und dementsprechend auserzählt ist. Der spanische Thriller Der unsichtbare Gast freilich beweist auf gelungene Weise, dass es tatsächlich immer noch Varianten und Twists gibt, die auch heute noch für Spannung sorgen.

Der erfolgreiche Geschäftsmann Adrián Doria (Mario Casas) steht unter Verdacht, seine Geliebte erschlagen zu haben — jedenfalls deuten alle Indizien auf ihn hin, denn er wurde mit einer leichten Kopfverletzung in einem abgeschlossenen Hotelzimmer gefunden, in dem sich außer ihm und der Leiche niemand befand und aus dem es offensichtlich auch keine Möglichkeit zu entfliehen gab. Und dann gibt es da auch noch am Vorabend der Gerichtsverhandlung Gerüchte über einen Zeugen, dessen Identität niemand weiß, der aber Licht ins Dunkel bringen könnte: Dementsprechend angespannt ist Adrián also, als zum Glück die sich eigentlich schon im Ruhestand befindliche Anwältin Virginia Goodman (Ana Wagener) bei ihm auftaucht, um seine Version der Ereignisse noch einmal auf Herz und Nieren zu prüfen und einem ähnlichen Kreuzverhör zu unterziehen, wie dies auch vor Gericht zu erwarten ist. Der Unternehmer steht schon vor den Trümmern seiner Existenz, denn seine Ehefrau hat ihn mitsamt der Tochter bereits verlassen und auch sonst scheint ihm, dem untreuen Ehemann und mutmaßlichen Mörder, niemand Glauben zu schenken. Und durch die bohrenden Fragen der Staranwältin, die noch nie einen Fall verloren hat, enthüllt sich Stück für Stück die ganze Wahrheit, bis Perspektivwechsel das soeben Rekonstruierte wieder ins Wanken bringen.

Es ist faszinierend, wie Oriol Paulo in seinem Film, für den er auch das clevere Drehbuch schrieb, immer wieder den Blickwinkel des Zuschauers zu verändern versteht und neue Perspektiven auf das Rätsel einflicht, ohne dabei an Plausibilität und Nachvollziehbarkeit zu verlieren. Obgleich die Ausgangssituation denkbar einfach erscheint, versehen die Wendungen und Twists die Story mit doppelten Böden, Falltüren und Sackgassen, in die man als Zuschauer leicht hineingerät, die aber dennoch nicht das schale Gefühl hinterlassen, einem faulen Zauber aufgesessen zu sein. Der unsichtbare Gast erfordert die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers, lädt förmlich dazu ein und versteht es am Ende doch, der Geschichte trotz aller Andeutungen und Hinweise einen Haken zu geben, den man so nicht ahnte.

Mit Der unsichtbare Gast (spanischer Originaltitel Contratiempo, was „Unannehmlichkeit“ oder „Missgeschick“ bedeutet) ist dem Genrespezialisten Orio Paulo (The Body / El Cuerpo) abermals ein meisterlicher Film gelungen, der ihn in den Rang eines legitimen Erben von Größen wie Brian De Palma oder Alfred Hitchcock erhebt, ohne dass der Filmemacher in bloßes Epigonentum abgleiten würde. Mit viel Zug, interessanten Wendungen und hinreißenden Plottwists, unterstützt von einem exzellent aufspielenden Ensemble und der treibenden Musik von Fernando Velázquez entwickelt sich ein ebenso kluger wie spannender Thriller, der einen wünschen lässt, dass es auch hierzulande Regisseure und Autoren gäbe, die dieses Spiel der Illusionen gleichermaßen beherrschen, und der zudem die Lust weckt, solche Filme auch abseits von Veranstaltungen wie dem Fantasy Filmfest auf der großen Leinwand zu sehen. Bislang freilich bleibt dies ein frommer Wunsch, Oriol Paulo erweist sich aber dennoch als einer, auf den man in Zukunft wird achten müssen.
 

Der unsichtbare Gast (2016)

Das „locked-room mystery“, also das Geheimnis eines Mordes, der in einem verschlossenen Raum durchgeführt wird, gehört zu den Konventionen der Kriminal- und Thrillerliteratur. Seit Edgar Allen Poes „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ aus dem Jahre 1841, der zugleich die Tradition der Detektivromane begründete, versuchen sich immer wieder Schriftsteller und später auch Filmemacher an Versuchsanordnungen dieser besonderen Art und eigentlich müsste man annehmen, dass das Subgenre bereits hinlänglich abgearbeitet und dementsprechend auserzählt ist.

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Meinungen

Martin Zopick · 09.02.2020

Einer der packendsten Thriller der letzten Jahre. Adrian und Laura, beide verheiratet verbringen ein Wochenende in den Bergen. Bei einem Unfall kommt Daniel, der Fahrer des anderen Fahrzeugs ums Leben. Sie begehen Fahrerflucht. Ein Erpresser lockt sie in ein Hotelzimmer mit dem verlangten Geld. Hier geschieht ein Mord. Täter? Problem, wie konnte er aus dem verschlossenen Zimmer entfliehen? Von den Eltern des Toten wird Lauras Auto repariert.
Adrian erzählt seiner Verteidigerin Virginia Goodman (Ana Wagener) erst nur einen Teil der Wahrheit, dann tischt er ihr weitere Märchen auf.
Regisseur Oriol Paulo erzählt wie nacheinander nicht nur weitere Details als Tageslicht kommen, sondern auch die Täter wechseln. So wird auch seine Geliebte verdächtigt. Anwältin Goodman entlockt ihm nacheinander vollkommen logische aber verschiedene Tathergänge. Bis der unsichtbare Gast, Daniels Vater (José Coronado) immer mehr ins Blickfeld tritt.
Wechselnde Aspekte von Tat und Täter bestechen mit der Logik von Ermittlern und Verteidigung. Keine Leere, keine Pause, immer ganz nah am Ball der Untat. Es gibt keine echten Wiederholungen! Toll!