Der Tod von Ludwig XIV. (2016)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Der Tod der Repräsentation

Albert Serra ist ein Filmemacher wiederkehrender Obsessionen. In seinem In seinem Werk Der Tod von Ludwig XIV. betrifft diese die Fragen der Sterblichkeit und der Ikonen. Beiden begegnet er mit der größtmöglichen Banalität. In der Rolle des titelgebenden Sonnenkönigs lebt Jean-Pierre Léaud, dessen Filmkarriere als rennendes Kind begann, das Milch in einem Zug aus Flaschen leerte, und der hier an sein Bett gefesselt kaum einen Bissen von seinen Silberlöffeln hinunter bekommt.

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Der Tod von Ludwig XIV. ist also auch ein Film über Jean-Pierre Léaud und damit das Kino. Genauso unberührbar und magisch wie der König. Der Film fesselt sich mit Léaud in ein fensterloses Zimmer ohne Ausweg im Sommer 1715. Zunächst war das Projekt als Performance geplant, in der man wirklich Wochen Léaud, der fünf Jahre jünger ist als der König war, beim Sterben zusieht. Es ist ein Film geworden und damit auch ein Werk der Vergegenwärtigung des Todes.

Man beobachtet die Versuche von allerhand exquisit kostümierten Ärzten, Bediensteten und Verwandten des Königs, diesen zurück ins Leben zu bringen, seinen Tod zu verhindern. Dabei geht es auch um die Ohnmacht der Medizin, die keine Lösungen kennt. Statt wie in seinem hypnotischen und magischen Història de la meva mort zwischen Leben und Tod zu schweben, saugt Serra hier einfach das Leben aus seiner Figur. Es gibt kein Aufbegehren, kein Drama, nur die schleichende Erschlaffung eines Unberührbaren. Ein wenig erinnert der Film gar an Die Machtergreifung Ludwigs XIV von Roberto Rossellini, einem nüchtern-didaktischen Porträt. Statt Expressionismus also minimalistischer Realismus. In diesem Vorgehen verstecken sich philosophische Gedanken genauso wie plötzliche Gefühle. Quellen für den Film sind die Memoiren des Duc Saint-Simon und jene des Marquis de Dangeau.

Zum ersten Mal handelt es sich für Serra dabei um eine Figur, die zwar nicht frei von Fiktionen ist, deren Leben wir aber nicht primär aus der (fiktionalen) Literatur kennen: der Sonnenkönig Frankreichs, Louis XIV., Vertreter des höfischen Absolutismus, ist eine historische Figur. Was ihn mit den Heiligen Drei Königen, Don Quixote, Casanova oder Dracula eint, die Serra bislang in seinen Filmen zu Protagonisten machte, ist sein Status als Ikone. Serra macht sich erneut auf, diesen zu brechen, wenn auch deutlich behutsamer als in seinen vorherigen Filmen. Zwischen Tod und Leben arbeitet bei Serra oft die Unschuld als ästhetisches und inhaltliches Element. Im Fall von Léaud/Louis XIV. bekommt die Unschuld den Drive einer Kindlichkeit. Im Gegenüber mit dem durch Wundbrand verursachten körperlichen Zerfall samt schmerzvoller Schreie entfaltet sich so jene Absurdität, die bei Serra immer auch als Angriff gemeint ist. Zum Beispiel, wenn der König einen kleinen Biss Eiweiß zu sich nimmt und ihm deshalb applaudiert wird. Hier ist es ein Angriff auf die höfische Etikette, auf die Infantilisierung des absoluten Herrschers, die einhergeht mit einer Handlungsohnmacht von Bediensteten, Ärzten und sonstigen Wunderheilern. Verknappt und zu kurz gegriffen könnte man sagen: auf die Albernheit von Despoten.

In den Gesichtern und Gesten von König und Dienstpersonal erkennt man die wunderhübsch aufgetragenen Masken einer Unfähigkeit, bei sich selbst zu sein, zu handeln. Dadurch entsteht das merkwürdige Gefühl einer unsichtbaren Krankheit, einer eingebildeten Krankheit, nicht umsonst wird Molière erwähnt, als es um den Beruf der Ärzte geht. Man denkt ein wenig an Cristi Puius Anti-Hymne auf Hypochondrie: Der Tod des Herrn Lazarescu. Jedoch ist der Humor von Puiu eine Panik und jener von Serra ein Ersticken.

Immer wieder konzentriert sich Serra auf die leichten Verformungen in den Gesichtern, die durch eine gewisse Anstrengung und Stumpfheit verursacht werden. Eine merkwürdige Ambivalenz stellt sich ein, denn die Besorgnis ist irgendwie auch ein Rollenspiel, wenngleich dieses sehr ernst gemeint ist. Serra vermag es, uns diese völlig andere Zeit in großer Konsequenz zu zeigen. Schließlich ist Der Tod von Ludwig XIV. auch ein Film über das Ende eines Systems und einer Weltordnung. Nicht nur in der gewohnten Betonung von zeitlichen Abläufen bei Serra, dem Fokus auf existenzielle Handlungen wie das Essen, der Reduzierung auf mehr oder weniger eine Location, sondern auch in dieser inhaltlichen Komponente ähnelt der Film Béla Tarrs A Torinói ló / The Turin Horse. Es sind Filme über einen Sonnenuntergang, eine Sonnenfinsternis. Dieser dahinsiechende, bewegungslose Körper ist der letzte Glanz des Königreichs. Man versucht so lange es geht zu verstecken, dass er stirbt. Allerdings gibt es eine Szene, in der Louis XIV. seinem Sohn und späteren Nachfolger einige Ratschläge gibt für eine friedlichere Welt. Ein etwas vereinfachtes oder ironisches Licht am Ende des Tunnels, da Louis XIV. den Weg, den sein Urgroßvater für ihn vorsah, nicht annähernd gehen konnte. Vielmehr warteten die ersten Schritte in Richtung Französische Revolution.

Im Kern dreht sich der Film um die Gelehrten, die nach Lösungen für eine mögliche Heilung suchen und daran scheitern, dass sie zum einen keine Handlungsfreiheit haben und zum anderen medizinische Sicherheiten fehlen. Es gibt einen Konkurrenzkampf, den Druck einer Verantwortung und eine enorme Ratlosigkeit. Als Vicenç Altaió, der den Casanova in Història de la meva mort spielte, als Mystiker und Wunderheiler erscheint, erkennt man auch einen Konflikt zwischen Glauben und Wissenschaft. Pikant dabei ist natürlich, dass der Herrscher, um dessen Leben es geht, durch Gottes Gnade bestimmt wurde. Manchmal forciert Serra diesen Konflikt etwas zu sehr. Zudem agieren die Mediziner fast mehr als Träger einiger narrativer und philosophischer Ideen von Serra statt als typische Figuren in seinem Universum. Man könnte sagen, dass sie kaum gebrochen werden.

Dabei bleibt Serra einer der wenigen Filmemacher, die so viel Respekt vor Ikonographie haben, dass die Frage, was man von einem König zeigen darf (sein Leiden, seinen verfaulten Fuß etc.), für ihn tatsächlich und auf großartige Weise entscheidend ist, obwohl sie es in der echten Welt bedenklicherweise schon lange nicht mehr ist. Serra, der nach einem Setbesuch bei Sokurovs Moloch auch einen sehr spannenden Text über die Darstellung Hitlers geschrieben hat, erinnert uns an die Macht von Bildern. Statt den einfachen Weg der Bloßstellung zu gehen, balanciert er aber auch hier zwischen der Würde seiner Figur und seines Darstellers und dessen Körperlichkeit. Vielleicht liegt es daran, dass der Einsatz von Mozarts Großer Messe in C-moll etwas unpassend wirkt und kaum die Wirkung der entfernten Trommeln im Film oder etwa dem Einsatz der Musik von Pau Casals in El cant dels ocells erreicht.

Man darf nicht vergessen, dass Serra sehr bewusst mit dem Kunstmarkt spielt. Er ist ein Filmemacher, der keineswegs versteckt, dass es immer auch ein wenig um seine Rolle als Künstler geht. Verschiedene Motive, das Spiel mit den Erwartungen, die Arbeit an einem Gesamtprojekt, das alles gehört dazu. Um so erstaunlicher, dass er sich hier so sehr zurücknehmen kann und doch auch ein wenig einen Liebesbrief an Jean-Pierre Léaud schreibt und für die Ewigkeit dessen alternden Körper archiviert. Ein wenig verbündet sich der Film gar mit dem Starren von Léaud, aus dessen Augenwinkeln immer wieder das kurze Feuer einer Anerkennung, Arroganz oder Hilfesuche aufflammt. Léaud scheint gegen jede Dekonstruktion immun zu sein. Der Film ist ein klares Bekenntnis zur Unfuckability (Serra bezeichnete seinen Història de la meva mort als „unfuckable“) des großen Schauspielers, dessen Blicke immer auch uns gelten. In einer Szene verlangt er nach einem Hut, nur um einige Damen, deren Gesellschaft er ausgeschlagen hat, zu grüßen. In einer solchen Szene finden sich Serra und Léaud. Hier die Albernheit, Unangemessenheit dieser Szene, dort der Charme, das Augenzwinkern, die Größe dieser Szene. Am Ende ist es schlicht die Präsenz des Schauspielers in einer höfischen Welt der Repräsentation. Was bleibt in diesem Film ist die Präsenz, was stirbt ist die Repräsentation.
 

Der Tod von Ludwig XIV. (2016)

Albert Serra ist ein Filmemacher wiederkehrender Obsessionen. In seinem Werk „Der Tod von Ludwig XIV.“ betrifft diese die Fragen der Sterblichkeit und der Ikonen. Beiden begegnet er mit der größtmöglichen Banalität. In der Rolle des titelgebenden Sonnenkönigs lebt Jean-Pierre Léaud, dessen Filmkarriere als rennendes Kind begann, das Milch in einem Zug aus Flaschen leerte, und der hier an sein Bett gefesselt kaum einen Bissen von seinen Silberlöffeln hinunter bekommt.

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