Der Sommer mit Mamã

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Eine gute Seele im Kampf gegen die Regeln

Die Eiscreme aus dem kleinen, braunen Pappbecher gehört den Hausherren, vom Eis aus der weißen Plastikbox darf auch die Haushälterin nehmen, wenn sie möchte. Ins Wohnzimmer darf sie nur zum Saubermachen, oder wenn sie gerufen wird. In den Pool hat sie während der 13 Jahre ihrer Dienstzeit nicht einmal einen Fuß hineingesetzt. Es gibt klare Regeln in diesem Haus am Rande von São Paulo, so klar, dass sie ungeschrieben sind. Sie gelten seit Jahrzehnten, womöglich seit Jahrhunderten. Und als System funktionieren sie gut, das Zusammenleben ist gar ein harmonisches — solange die Hausangestellte ihre Rolle nicht hinterfragt. Der Sommer mit Mamã von Anna Muylaert zeigt genau diesen Moment, in dem mit dem häuslichen Machtverhältnis gebrochen wird. Damit ist der Film ein sozialer und sehr aktueller Film, spiegelt er die sozialen Umbrüche in Brasilien gut wider. Gleichzeitig ist er ein wunderbar unterhaltsamer Film mit einer charismatischen Hauptdarstellerin, eine Komödie, die den Zugang zum Thema leicht und Spaß macht.
Haushälterin Val (herzerwärmend gespielt von Regina Casé) hat ihre Tochter Jéssica bei der Familie in Pernambuco, im Nordosten des Landes, gelassen, um in São Paulo Geld zu verdienen. Sie hat Arbeit im Haus von Carlos und Bárbara gefunden und ist seitdem die gute Seele des Anwesens, vor allem aber die liebevolle Nanny von Sohn Fabinho (Michel Joelsas). Sie arbeitet gewissenhaft und wird von allen Familienmitgliedern geschätzt, und deshalb ist es auch selbstverständlich für Dona Bárbara (Karine Teles), Jéssica (Camila Márdila) für ein paar Tage bei sich aufzunehmen, als diese ihr Kommen ankündigt, weil sie die Aufnahmeprüfungen für ein Architekturstudium in São Paulo machen möchte. Zehn Jahre hat Val ihre Tochter nicht gesehen und ist entsprechend aufgeregt.

Doch der Besuch der Tochter der Haushälterin entwickelt sich zur Katastrophe, denn er bringt das bisherige Mächtegleichgewicht gehörig durcheinander. Beim Rundgang durch das Haus wird Jéssica auch das Gästezimmer gezeigt, und sie lädt sich kurzerhand selbst dorthinein ein. Val ist außer sich und schämt sich für ihre Tochter, sie hätte doch bei ihr im Bedienstetenzimmer schlafen sollen. Jéssica rüttelt alle Hausbewohner auf mit ihrer jungen, ambitionierten und charmanten Art: Carlos (Lourenço Mutarelli) ist fasziniert von ihr, Bárbara aber fühlt sich mehr und mehr in die Ecke gedrängt, und Val schaut kopfschüttelnd und sorgenvoll zu und mahnt das Mädchen immer wieder in ihre Schranken. Jéssica aber setzt sich weiterhin zu Carlos an den Esstisch, lässt sich von Bárbara das Frühstück machen, tollt mit Fabinho im Pool herum und isst von dessen Eiscreme — solange bis für Bárbara das Maß voll ist.

Der Zuschauer nimmt häufig Vals Perspektive, also die des Hauspersonals ein: Die vollständige Sicht ins Esszimmer bleibt ihm dann verborgen, die Kamera bleibt beharrlich vor der Küchentür und lässt nur einen begrenzten Blick zu. Im Bild zu sehen ist dann meist Val, wie sie den Gesprächen lauscht und gleichzeitig parat steht für all die Wünsche, die die Herrschaften am Tisch haben könnten. Val ist die Sympathieträgerin des Films, es ist ihre Sichtweise, die in Der Sommer mit Mamã erzählt wird und mit der sich der Zuschauer schnell identifiziert. Denn um ihr Dilemma geht es letztendlich: das Paradox, dass eine Mutter ihr eigenes Kind verlassen muss, um ein anderes Kind zu versorgen. Anna Muylaert aber löst es auf in der Komödie, und das tut dem Film gut. Der Regisseurin gelingt die Mischung aus sozialem und unterhaltsamem Kino. Der Sommer mit Mamã hat alles, was man sich für einen guten Publikumsfilm wünscht: Witz, Tragik und Tränen, auch Spannung, vor allem aber eine Herzenswärme, die man mit nach Hause nimmt.

Der Sommer mit Mamã

Die Eiscreme aus dem kleinen, braunen Pappbecher gehört den Hausherren, vom Eis aus der weißen Plastikbox darf auch die Haushälterin nehmen, wenn sie möchte. Ins Wohnzimmer darf sie nur zum Saubermachen, oder wenn sie gerufen wird. In den Pool hat sie während der 13 Jahre ihrer Dienstzeit nicht einmal einen Fuß hineingesetzt. Es gibt klare Regeln in diesem Haus am Rande von São Paulo, so klar, dass sie ungeschrieben sind. Sie gelten seit Jahrzehnten, womöglich seit Jahrhunderten.
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