Fairness - Zum Verständnis von Gerechtigkeit (2017)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Wo beginnt Gerechtigkeit?

Warum akzeptieren wir Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheit? Wo liegen die Ursachen dafür? Und was ist überhaupt faires Verhalten? Diesen Fragen geht der britische Filmemacher Alex Gabbay in seinem Dokumentarfilm Fairness — Zum Verständnis von Gerechtigkeit nach. Es ist nicht das erste Mal, dass Gabbay sich mit den Ursachen des menschlichen Verhaltens auseinandersetzt. Bereits in The Just Trail and Error ging er dem menschlichen Bewusstsein aus Sicht von Wissenschaft und Kunst auf den Grund. Diesmal geht es nun also um Gerechtigkeit – und er beginnt seinen Film damit, dass diese sehr unterschiedlich wahrgenommen wird.

Im norwegischen Bergen erforscht das Choice Lab gerechtes Verhalten in wirtschaftlichen Zusammenhängen. Eine Übung, die die Professoren mit ihren Studenten durchführen, ist die Umverteilung von Geld an verschiedene Personen, die die gleiche Arbeit leisten. „Menschen fällt es leicht, Ungleichheit zu akzeptieren, solange sie als Resultat eines Wettbewerbs angesehen wird“, konstatiert der Forschungsleiter Alexander Cappele am Ende des Tests. Ungleichheit ist somit Grundlage unseres Wirtschaftssystems. Und hier kommt nach den ersten zehn Minuten kurz die Befürchtung auf, dass es sich bei Fairness einmal mehr um einen jener Dokumentarfilme handeln könnte, die nun über die nächste Stunde von den Tücken des Kapitalismus erzählen und anklagend den Finger erheben. Doch nicht bei Alex Gabbay: Er zieht den thematischen Zoom weiter auf und verflicht unterschiedlichste Sichtweisen und Forschungsansätze in einer fast schon essayhaften Erzählung miteinander. Alle Stränge werden von der unausgesprochenen Frage nach dem Warum des menschlichen Verhaltens zusammengehalten.

So geht es von Norwegen nach England, wo ein philanthropischer Lord mithilfe von Bürgern versucht, eine gerechtere Stadtverwaltung zu schaffen, und eine ehemalige Investmentbankerin von ihrem sozialen Engagement erzählt – sie lehrt Menschen an der Armutsgrenze, mit wenigen finanziellen Mitteln gesundes Essen zu kochen. In Vancouver zeigt eine Verhaltenspsychologin, dass selbst Kinder im Alter von drei bis sechs Monaten ein Gerechtigkeitsempfinden haben. Und in einer Forschungsstation für Primaten erklärt eine Forscherin, dass auch Kapuzineräffchen eine unterschiedliche Belohnung für die gleichen Aufgaben als ungerecht empfinden. Das äußert sich am Ende in einem Wutausbruch und der kompletten Arbeitsverweigerung des benachteiligten Äffchens. Auf Island wirft Gabbay einen Blick auf die politischen Folgen des Steuerhinterziehungsskandals des Premierministers. In Luxemburg trifft er den Whistleblower, der die große Steueraffäre LuxLeaks an die Öffentlichkeit gebracht hat und nun für seine Zusammenarbeit mit den Medien vor Gericht steht. Und das sind nur einige der Fäden, die Gabbay mit leichter Hand miteinander verwebt.

Obwohl Gabbay sich in Fairness wie schon in The Just Trail and Error zeitlich stark begrenzt – beide Filme sind nur knapp über eine Stunde lang – ist sein Erzählen sehr dicht. Der Filmemacher selbst bleibt dabei immer hinter der Kamera und tritt nicht in Erscheinung, weder als Voice-over noch als Interviewer – eine angenehme Entscheidung. Ebenso gelungen ist die Auswahl der Geschichten und Interviewpartner. Jeder einzelne von ihnen liefert neue Informationen und ein weiteres Puzzlestück beim Suchen nach den Ursachen für Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. So kann sich der Zuschauer wie auf einer sanften Welle von einer Geschichte zur nächsten tragen lassen. Dabei hat man manchmal das Gefühl, in den Stream of Consciousness des Regisseurs eingetaucht zu sein, der von einem Fairness-Teilaspekt zum nächsten gleitet, den Zuschauer aber nie mit einer Meinung oder einer Schlussfolgerung bevormundet, sondern vielmehr von ihm erwartet, sich selbst ein umfassendes Bild zu machen und die hier vorgetragenen Informationen als Denkanstöße zu nutzen. So schafft Fairness, was Dokumentarfilmen nicht immer gelingt: den Zuschauer über die Dauer des Films hinaus zum Nachdenken anzuregen.

Fairness - Zum Verständnis von Gerechtigkeit (2017)

Die faire Behandlung aller Menschen gehört eigentlich zu den grundliegenden Prinzipien unserer modernen Gesellschaft und sobald es hier zum Fehlverhalten kommt, wird aufgeschrien. Trotzdem sind mehr Menschen bereit Ungleichheit und soziale Ungerechtigkeit zu akzeptieren, als sie zugeben würden. Mit einer immer stärkeren Tendenz zu selbstsüchtigem Verhalten stellt sich die Frage, wie man Ungerechtigkeiten auf wirtschaftlicher, politischer und sozialer Eben entgegentreten kann.

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