Der Nachtmahr (2015)

German/Teenage/Angst/Lust

Auf den ersten Blick – und nur auf diesen – mutet Der Nachtmahr wie ein seltsamer Filmtitel an. Er gemahnt natürlich an das gleichnamige Gemälde von Johann Heinrich Füssli aus dem Jahre 1790, das im Frankfurter Goethe-Haus zu sehen ist und als vielleicht bildhafteste Illustration des kunst- und literaturhistorischen Terminus „Schwarze Romantik“ gilt. Zugleich fühlt man sich an jene Phase des deutschen Kinos erinnert, die am Anfang stand und sich mit Werken wie Der Student von Prag, Das Cabinet des Dr. Caligari, Der müde Tod und Der Golem düsteren, mythologischen aufgeladenen Bilderwelten zuwandte, um womöglich die Schrecken des Sterbens auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges zu bannen. Passt all dieser kulturhistorische Ballast überhaupt noch in unsere hektische, entmythologisierte Welt? Passt all das zu einem Film, der in Berlin spielt, der in Techno-Tempel und Clubs voller Stroboskopgewitter und hämmernder Technobeats abtaucht und dabei eine Geschichte vom Heranwachsen und den damit verbundenen Ängsten und Unsicherheiten erzählt? Um es kurz zu machen: Es passt nicht nur bestens zusammen, sondern ergänzt und befruchtet sich in selten gesehener Weise.

Im Mittelpunkt des Films von AKIZ (bürgerlicher Name Achim Bornhak) steht die 17-jährige Tina (Carolyn Genzkow): Wir folgen ihr durch die Nächte, die sie gerne in einem der Berliner Clubs durchtanzt, bis sie eines Nachts von Visionen geplagt wird und zusammenbricht. Was zunächst wie die Folge zu exzessiven Feierns erscheint, erweist sich zunehmend als ganz konkretes und sehr unmittelbares Problem: Plötzlich sieht sie sich mit einem gefräßigen, aber stummen Wesen konfrontiert, das nur sie sehen kann und ihr nun Nacht für Nacht erscheint. Ihre Eltern haben (natürlich) keinerlei Verständnis für die Phantastereien ihrer Tochter und schicken sie zu einem Psychiater, der aber gleichfalls keine Linderung bringt. Bis Tina ihre Abscheu entwickelt und beginnt, sich dem Nachtmahr anzunähern …

Der Nachtmahr wirkt so, als habe sich einer der eingangs erwähnten klassischen Regisseure, beispielsweise ein Robert Wiene, in die Jetztzeit hinübergerettet und – fasziniert von der Welt der nächtlichen Clubkultur – einen ganz und gar gegenwärtigen Film gemacht, der dennoch die Traditionen des schwarzromantischen Gruselkinos der Weimarer Republik nicht verleugnet. Der Film ist auf vergleichsweise altmodische Weise spannend, das Monster schaurig und liebenswert zugleich (und sehr haptisch in seiner Gestaltung), die Figurenkonstellationen und -zeichnungen sind treffend, aber auch so allgemein gehalten, dass man die beabsichtigte Zeitdiagnostik, die in diesem Werk schlummert, stets mitdenkt und mitsieht. Das alles birgt zwar einige Fallstricke, doch AKIZ versteht sich darauf, nahezu alle Klippen souverän und mitreißend zu meistern.

Auch wenn es sich vielfach auf diversen Fanseiten und in verschiedenen Blogs anders liest: Das neu erwachte deutsche Genrekino wird den deutschen Film und dessen Misere nicht retten. Dazu sind Werke wie Till Kleinerts Der Samurai, der Omnibus-Film German Angst und nun eben Der Nachtmahr noch zu sehr in jenem genrefeindlichen Klima gefangen, das den deutschen Film seit dem Bruch mit den glorreichen Anfängen in den 1910er und 1920er Jahren und auch durch die überwiegende Genrefeindlichkeit des Neuen Deutschen Films nach Oberhausen fest im Würgegriff hat. Aber: Diese Filme fügen der recht stumpf gewordenen Farbpalette des entweder tristen oder grellen deutschen Kinos kräftige neue Schattierungen hinzu: Blutrot wie etwa bei Andreas Marschall (The Tears of Kali und Masks) und nun eben auch Neonschwarz. Es mehren sich die Anzeichen, dass dieses zart sprießende Pflänzchen einer Genre-Renaissance erfolgreich sein kann und sein wird. Vielleicht noch nicht jetzt, aber in absehbarer Zukunft. Die Zeiten eines Schattendaseins im Underground sind hoffentlich bald Geschichte; schon jetzt kann man erfreut feststellen, dass das Interesse am bisher apokryphen deutschen Kino spürbar steigt, zumal dieser bisher marginalisierte Teil der eigenen Filmhistorie leidenschaftliche Verfechter wie beispielsweise Dominik Graf, aber auch umtriebige Restauratoren, Kuratoren und Programmmacher hat, die sich diesem Teil vergessener und verdrängter Filmhistorie mit großen Leidenschaft und viel Liebe widmen.

Erst wenn es gelingt, dass sich das deutsche Kino wieder der ganzen Bandbreite seiner Möglichkeiten bewusst wird, wenn Produzenten und Regisseure, Festivalmacher, Drehbuchautoren, Filmförderer und nicht zuletzt das Publikum nicht mehr die verhängnisvolle Unterscheidung treffen zwischen angeblichem Kunstfilm, seichter Unterhaltungskost und beleumundeter Schmuddelware, dann (und erst dann) kann das deutsche Kino selbstbewusst und optimistisch in die Zukunft blicken. Der Nachtmahr ist eines jener Werke, die wir später einmal, wenn dieser Weg vollendet ist, als Meilensteine anerkennen werden. Momentan ist er allerdings vor allem eines: ein Hoffnungsschimmer. In Neonschwarz.

(Joachim Kurz)

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Stroboskopeffekte; isochronische Tonwellen; binaurale Frequenzen: Der Nachtmahr wickelt einen visuell und akustisch ganz schön ein, das Hirn soll per Sinneseinwirkungen durchgeschüttelt werden, und der Film sollte, laut Vorspann, unbedingt laut abgespielt werden.

Von Anfang an sind wir in ein Psycho-Horror-Universum versetzt, eine Mädelsclique in der Nacht, eine Technoparty im nächtlichen Freibad, harte Beats und harte Lichter; und dazu auf dem Handy Fotos vom Biounterricht: bucklige Freaks, eingemacht in Formaldehydgläsern, ziemlich gruslig. Noch heftiger ist ein Snuff-Video, das ein Typ auf der Party rumreicht: Eine kauernde Gestalt, die von einem rasenden Auto wie aus dem Nichts überfahren wird. Das ist ein richtig cooler Effekt, der kurze Zeit später noch eine Rolle spielt, wenn Zeit und Raum kopfzustehen scheinen – der aber dann auch wieder dadurch abgeschwächt ist, dass dieser Typ mit dem Snuffvideo gerade im Freibadbecken steht und offenbar sein Phone in der Badehose (!) beim Schwimmen (!) dabei hatte.

Das ist das Schicksal des Films: Dass er in weiten Teilen so cool, so heftig, so psycho rüberkommt, und in einigen anderen Teilen dann das Make Believe, das der Horror beim Zuschauer einfordert, hintenrum wieder einreißt.

Wir erleben Tina, 17 Jahre, ein Partygirl, die mit ihren Freundinnen abends um die Häuser zieht, die mit Klassenkameraden abhängt, die ihren Schwarm Adam anhimmelt. Und die beim Pinkeln während der Freibadparty ein Schockerlebnis hat: Im Gebüsch, da ist etwas. Etwas Schlimmes. Ein Freak. Eine missgestaltete, halbentwickelte Embryokreatur, die nachts in der Küche rumraschelt – aber weg ist, wenn Tina ihre Eltern alarmiert. Ein Wesen, das den Film in die Bereiche des psychologischen Es-Horror drücken, die außerkörperliche Erscheinung innerer psychischer Vorgänge; schrecklich real nichtsdestotrotz.

Man muss sich etwas gewöhnen an den schnellen Rhythmus der einzelnen Szenen, zwischen denen ungekennzeichnet größere Zeitsprünge liegen – so ist Tina alsbald in psychiatrischer Behandlung; so hat sich bald – so gut es geht – dieses Ding in ihrem Zimmer eingelebt. Wie die Stroboskoplichter bei den Parties, so sind auch die einzelnen Sequenzen abgehackt nebeneinander gestellt, der Film springt von Station zu Station bei Tinas Psychopassion.

Das ist durchaus reizvoll – wären da nicht diese kleinen ungewollten Störfaktoren. Sobald Tina das Zimmer verlässt, um jemand anderem dieses seltsame Wesen zu zeigen, ist es auch schon wieder weg – wie oft muss es noch heißen „Gerade war es noch da?“, bis Tina lernt, es im Auge zu behalten? Wenn keiner Tina glaubt, dass es diese Kreatur wirklich gibt und sie sowieso dauernd mit ihrem Smartphone rumspielt – warum macht sie kein Foto von dem Ding? Oder die Eltern – etwas stereotype Karikaturen, die sich kaum um Tina kümmern –: Bei einem wichtigen Geschäftsessen des Papas haben sie nichts anderes zu tun, als Tinas Psychoprobleme auszubreiten (wer tut denn so was?), hinterher nörgelt Vati rum, dass die Businesspartner sich gelangweilt hätten. Wer hätte das gedacht?

Regisseur AKIZ: Das ist der Künstlername von Achim Bornhak, der zuletzt als Regisseur Das wilde Leben ins Kino gebracht hat, die allzu oberflächliche Uschi-Obermayer-Biographie von 2007. Der Nachtmahr ist dagegen sicherlich eine Steigerung – verliert sich aber leider in seinen kleinen, aber allzu vielen Fehlern. Allerdings: Ein paar Lynch-Momente erfreuen das Herz, ein ziemlich genauer Blick auf das Partymilieu, in dem sich Tina bewegt, irgendwo zwischen Realismus und filmischem Over-the-Top; Alexander Scheer gibt einen schön oberflächlich zugewandten, eigentlich aber gelangweilt-gönnerhaften Psychologen; ein paar schöne Traumsequenzen fließen in die Realität ein.

Und das Nachtmahr-Wesen, das kann man richtig genießen: halb Gollum, halb E.T. hat Bornhak/AKIZ diese Kreatur schon 2001 geschaffen, als Skulptur zunächst, um dann eine bewegliche Puppe zu basteln, anhand dieser Modellier-Arbeit entstand dann auch das Drehbuch… Ein liebenswerter Dämon, der all die Nöte des Teenager-Daseins veranschaulicht – entschlüsselt könnte es beispielsweise Essstörung ebenso bedeuten wie ungewollte Schwangerschaft; aber wer will die Seele eines Horrorfilms schon entschlüsseln…

Und, das ist auch keine geringe Leistung: AKIZ schafft es, dass Wilson Gonzalez Ochsenknecht, der den angeschwärmten Adam spielt, nicht nervt. Als eine Art unbewegter und unbeweglicher Buddha hat er hier seine Rolle gefunden.

(Festivalkritik Filmfest München 2015 von Harald Mühlbeyer)

Der Nachtmahr (2015)

Auf den ersten Blick – und nur auf diesen – mutet „Der Nachtmahr“ wie ein seltsamer Filmtitel an. Er gemahnt natürlich an das gleichnamige Gemälde von Johann Heinrich Füssli aus dem Jahre 1790, das im Frankfurter Goethe-Haus zu sehen ist und als vielleicht bildhafteste Illustration des kunst- und literaturhistorischen Terminus „Schwarze Romantik“ gilt.

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