Log Line

25 Jahre nach seinem Dokumentarfilm „Compassion in Exile“ hat Mickey Lemle Tenzin Gyatso erneut vor seine Kamera gebeten und den mittlerweile über 80-Jährigen zu seiner Nachfolge befragt. Wird er der letzte Dalai-Lama sein?

Der letzte Dalai Lama? (2016)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Ein einfacher Mönch, ein einfacher Mensch?

Der Buddhismus ist unweigerlich mit dem Gesicht des 14. Dalai-Lama verbunden. Dabei ist Tenzin Gyatso, so sein bürgerlicher Name, lediglich der Vertreter einer von vielen Schulen dieser Religion. Dass ausgerechnet er es zu weltumspannender Bekanntheit gebracht hat, hat viel mit seiner turbulenten Biografie und prominenten Fürsprechern zu tun. Ein Vierteljahrhundert nach seinem Dokumentarfilm „Compassion in Exile“ kehrt Regisseur Mickey Lemle noch einmal zu „Seiner Heiligkeit“ zurück, fördert allerdings wenig Neues zutage.

Vordergründig geht es Lemle um das Erbe des 14. Dalai-Lama, um dessen spirituelles Vermächtnis, aber auch ganz konkret um dessen Nachfolge. So formuliert es der Titel, so steigt Lemle ein. Neben Bilder von der Feier zum 80. Geburtstag des Geistlichen stellt er eine Interviewpassage aus seinem 1993 gedrehten Film und macht so zweierlei deutlich: Die Lage der Tibeter hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eher verschlechtert als verbessert. Nicht zuletzt durch chinesische Interessen ist die Nachfolgeregelung längst eine politische und angesichts des Alters des amtierenden Dalai-Lama eine umso dringlichere Frage geworden.

Alsbald verliert der Regisseur diese Fragestellung aber aus den Augen. Er blickt hierhin und dorthin, ohne richtig zu fokussieren. Mal galoppiert er durch die Geschichte Tibets, mal streift er Kindheit und Jugend des Dalai-Lama, mal begleitet er ihn zu öffentlichen Veranstaltungen und privaten Treffen, die sein Denken und Wirken veranschaulichen sollen. Wie und wovon das Religionsoberhaupt lebt, interessiert Lemle ebenso wenig wie die spannenderen Aspekte seiner Persönlichkeit, wenn er etwa selig lächelnd von seinem Jähzorn spricht. Denn im Grunde, das wird schnell klar, geht es Lemle um Heldenverehrung.

Also reiht er unzählige talking heads aneinander, die allesamt von der unbegreiflichen, weil nicht recht greifbaren Aura des Dalai-Lama schwärmen – egal ob Wissenschaftler, christliche Kollegen oder Komponist Philip Glass, der während einer Ausstellung in New Yorks Cathedral of Saint John the Divine in die Orgeltasten haut. Allein, eben diese Aura lässt sich schlecht auf Film bannen. Statt Erleuchtung garantiert Lemles Doku lediglich einen bescheidenen, einfachen, aufgeweckten alten Mann, der schelmisch in die Kamera grinst. Wenn im letzten Akt der kein bisschen bescheidene, aber nicht minder schelmisch grinsende Ex-Präsident George W. Bush hinzutritt und vor einem von ihm gemalten Porträt des Dalai-Lama über dessen Friedfertigkeit referiert, gerät Lemles Film unfreiwillig zur Realsatire.

Bushs Auftritt ist einer der stärksten Momente, weil er dem allzu glatten Porträt zumindest, wenn auch unbeabsichtigt, eine kleine Ecke und Kante verleiht. Was all diese Menschen, inklusive des Regisseurs selbst, am Dalai-Lama fasziniert, ist nachvollziehbar. Dessen spirituelle Quintessenz ist so alt wie der Buddhismus selbst: Nur ein gesunder, ruhiger, ja beruhigter Geist führe zu einem gesunden Körper. Und zur Ruhe könne der Geist nur durch Warmherzigkeit und Anteilnahme, nicht aber durch Angst, Misstrauen, Wut und Eifersucht gelangen. Angesichts der derzeitigen Welt- und Wirtschaftslage scheint dessen simple Lehre für viele sinnvoller denn je. Im hektischen Alltag bietet sie Orientierung und Struktur.

Deutlich mehr Struktur hätte auch Lemles Film gutgetan. Letztlich ist Der letzte Dalai Lama? eine unausgewogene Mischung aus Porträt, Geschichtsstunde und Religionsunterricht. Wie wenig Neues der Regisseur zu berichten hat, lässt schon der Anteil an Archivmaterial erahnen. Was die Interviews von Angesicht zu Angesicht betrifft, stammen die spannendsten Aussagen allesamt aus Compassion in Exile. Der Eindruck, dass der Filmemacher hier aus wenig (zu) viel machen wollte, verfestigt sich auf der formalen Ebene. Ähnlich unstrukturiert wie die Narration mischt Lemle hier munter verschiedene Techniken. Im besten Fall sieht das wie eine Fernsehdoku, im schlimmsten wie eine am Heimcomputer erstellte, mit Musik unterlegte Diashow aus. Für die große Leinwand und die großen Fragen ist das zu wenig.

Der letzte Dalai Lama? (2016)

Wird er der letzte Dalai Lama sein oder wird es einen Nachfolger geben? „In seinem Film „Der letzte Dalai Lama?“ begleitet Mickey Lemle den mittlerweile fast 83-jährigen Tenzin Gyatso, den 14. Dalai Lama, der sich immer noch auf seiner geistigen Höhe befindet, gleichwohl ihm die Endlichkeit seines Lebens völlig bewusst ist. Und damit stellt sich eben auch die Frage nach einem Nachfolge als Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, obwohl Tenzin Gyatso sich bereits geäußert hatte, dass er aus Protest gegen die Besetzung Tibets durch China die Traditionslinie abbrechen lassen will. Doch will er das wirklich?

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen