Der Fangschuss

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine kühle Geschichte um abgewiesene Liebe

Dieser Film von Volker Schlöndorff aus dem Jahre 1976 erzählt vor dem Hintergrund des Russischen Bürgerkriegs die Geschichte einer Frau, die sich so sehr in die aussichtslose Liebe zu einem Mann versteigt, dass sie sich völlig verändert. Das Drehbuch zum Film, an dem neben Jutta Brückner und Geneviève Dormann auch Hauptdarstellerin Margarethe von Trotta mitwirkte, entstand nach der Novelle Le Coup de Grâce / Der Fangschuss der belgisch-französischen Schriftstellerin Marguerite Yourcenar, deren Biographen von einigen unerfüllten Lieben in ihrem Leben berichten.
Winter 1919/1920 im Baltikum: Mit ihrem Freikorps finden sich der preußische Offizier Erich von Lhomond (Matthias Habich) und sein Freund Konrad von Reval (Rüdiger Kirschstein) im Schloss von Konrads Tante (schlichtweg superb: Valeska Gert) ein, das bereits von den Soldaten der Roten Armee beschossen wird. Dort freut sich besonders Konrads Schwester Sophie (Margarethe von Trotta) über die Rückkehr der Männer, denn sie kennt auch Erich bereits aus Kindertagen. Trotz ihrer privilegierten Stellung als Adelige und ihres militärischen Bruders, der gegen die Bolschewiken kämpft, sympathisiert Sophie mit den Kommunisten, beschäftigt sich mit der politischen Literatur und pflegt weiterhin ihre Freundschaft zu einem untergetauchten Aktivisten, ohne sich entschließen zu können, ihr Leben im Schloss aufzugeben und auf die andere Seite des politischen Abgrunds zu wechseln.

Doch mit Erichs Einzug ins Schloss gerät Sophies Gedanken- und Gefühlswelt aus der gewohnten, nüchternen Beherrschtheit, denn sie verliebt sich heftig in den Offizier, der nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch so sehr an dem Rest seiner schwindenden militärischen Machtausübung hängt, dass er alles daran setzt, um die ohnehin verlorene Stellung noch so lange wie möglich zu halten. Sophies Geständnis, sich in ihn verliebt zu haben, weist er sie zunächst damit zurück, dass er ihr nichts bieten könne und kein Mann für sie sei. Obwohl ihr seine militärischen Aktionen wie die Ermordung von gefangenen Kommunisten missfällt, nimmt die Zuneigung der nicht mehr ganz jungen Frau rapide zu, und sie bleibt hartnäckig, bis ihre zunehmenden Provokationen zu einer vernichtenden Aussage Erichs führen: „Wenn mir jemals nach einer Frau zumute wäre, wären Sie die letzte, an die ich denken würde.“

Sophie flüchtet sich demonstrativ in die Arme anderer Liebhaber, und ihr mitunter exaltiertes Verhalten bleibt bei Erich nicht ohne Wirkung, dessen sonst kühle Zurückhaltung sich schließlich in offene Wut verwandelt. Als Sophie erfährt, dass der Offizier in einer erotischen Beziehung zu ihrem Bruder Konrad steht, wendet sie sich angewidert von ihm ab und verlässt das Schloss um bei jenen zu leben, deren politische Überzeugung sie teilt. Doch die finale Konfrontation zwischen Erich und seiner abgewiesenen Verehrerin steht noch aus …

Der Fangschuss / Le Coup de Grâce, der 1977 mit dem Filmband in Gold ausgezeichnet wurde, legt allein schon in sprachlicher Hinsicht viel Wert auf die Nähe zur literarischen Vorlage, denn einzelne Dialogsequenzen erscheinen ganz natürlich auf Französisch. Dennoch war die Autorin der Novelle höchst unzufrieden mit der Verfilmung ihrer Geschichte, was sie auch ausführlich in einem Brief an den Regisseur zum Ausdruck brachte. Diese und weitere interessante Informationen zu den Hintergründen des Films sind im Bonus-Material der DVD enthalten, darunter auch Auszüge aus dem Drehbuch – ein erfreulicher Trend, der sich neuerdings häufiger beobachten lässt und dieses Element des Filmschaffens stärker in den Fokus rückt, was vor allem für eine präzise Analyse der Inszenierung sehr wertvoll ist und zudem die überwiegend unsichtbare Arbeit der Verfasser würdigt.

In der schwarzweißen Winterlandschaft und rauen Männergesellschaft ereignet sich eine vielschichtige, nur angedeutete Entwicklung der Hauptfigur Sophie, die sich zwar an der unerwiderten Liebe zum stets pflichtbewussten Offizier wetzt, aber im Grunde um einiges tiefer geht und auch die Geschichte einer persönlichen wie politischen Emanzipation darstellt. Und das drastische Ende, an dem der titelgebende Fangschuss als Hinrichtung einer bereits heftig verletzten Kreatur erscheint, zeugt von einer geradezu heroischen Konsequenz, die nicht mehr Liebe einfordert, sondern Respekt.

Der Fangschuss

Dieser Film von Volker Schlöndorff aus dem Jahre 1976 erzählt vor dem Hintergrund des Russischen Bürgerkriegs die Geschichte einer Frau, die sich so sehr in die aussichtslose Liebe zu einem Mann versteigt, dass sie sich völlig verändert.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen