Das Löwenmädchen (2016)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Menschen, Haare, Sentimentalitäten!

Seit einigen Jahren gibt es in der norwegischen Filmindustrie die Tendenz, der alten Hollywood-Regel zu folgen, dass man mehr Geld ausgeben müsse, um mehr Geld zu verdienen. Dadurch bewegt sich das norwegische Kino zusehends in Richtung seichter Unterhaltungsfilme mit mehr oder wenigen Effekten, zu sehen bereits in Max Manus (2008) und Kon-Tiki (2012), überdeutlich schließlich in The Wave (2015). Leider schließt Das Löwenmädchen nahtlos an diese Tendenz an und erzählt die vollkommen vorhersehbare, überlange Geschichte des Mädchens Eva Arcander, das im Jahr 1912 aufgrund eines genetischen Fehlers mit Ganzkörperbehaarung geboren wird.

Basierend auf der gleichnamigen Romanvorlage von Erik Fosnes Hansen gliedert sich der Film in vier Teile: die Geburt Evas, bei der ihre Mutter (Lisa Loven Kongsli) stirbt, ihr Vater Gustav (Rolf Lassgård) sie erst ablehnt („das Wiesel“), dann widerwillig aufnimmt, der Amme Hanna anvertraut, die immerhin durchsetzt, dass das von der Öffentlichkeit verborgene Kind auf einem abgeschirmten Bahngelände mit dem Mädchen spaziergehen darf. Im zweiten Teil ist Eva (Aurora Lindseth-Løkka) sieben Jahre alt, darf weiterhin die Wohnung nicht verlassen und verbringt ihre Zeit allein oder mit Hanna. Im dritten Teil reist die 14-jährige Eva (Mathilde Thomine Storm) mit ihrem Vater zu einem medizinischen Kongress nach Kopenhagen und ist erstmals verliebt. Und am Ende ist Eva (Ida Ursin-Holm) 23 Jahre alt und kehrt in ihre kleine Heimatstadt zurück.

Von der ersten bis zur letzten Minute ist offensichtlich, dass Das Löwenmädchen eine Romanverfilmung ist, die vor einer eigenständigen Interpretation zurückschreckt. Stattdessen finden sich Bilder und Szenen in diesem Film, die sich in das filmische Narrativ nicht einfügen, sondern Motive aus dem Roman abarbeiten. Beispielsweise entwickelt sich Evas Verliebtheit mit einem Jungen aus dem Ort im Roman über mehrere Jahre und geht deutlich weiter als bis zu einem scheuen Kuss, im Film tritt der Junge einmal als Kind, dann kurz als 13-Jähriger auf und plötzlich ist Eva in ihn verliebt – was man lediglich über eine Dialogzeile erfährt, da die Bilder der ersten Annäherung sehr keusch sind. Ohnehin wird sehr wenig über die Bilder erzählt: Dass Eva eine mathematische Hochbegabung hat, wird kurz durch umherfliegende Zahlen angedeutet – ebenfalls ein aus dem Roman übernommenes Motiv, das im Film fremd bleibt und zudem auf einfallslose Weise präsentiert wird –, dann rückt dieses Talent so in den Hintergrund, dass über eine Dialogzeile daran erinnert werden muss.

Stattdessen will Das Löwenmädchen anscheinend die Beziehung von Vater und Tochter in den Mittelpunkt stellen, aber abgesehen von dem üblich übertriebenen Habitus Rolf Lassgårds wiederholt sich seine Figur in ihren Gesten; ihr wird kaum eine Entwicklung, dafür aber sehr viel Leinwandzeit zugestanden. Dadurch fehlt wiederum in dem zwei Stunden langen Film Raum für Eva. Ihr Heranwachsen, ihre Entwicklung, das entstehende Bewusstsein, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen muss, wird in wenigen Szenen abgehandelt.

Allein schon deshalb ist die Entwicklung Evas kaum nachzuvollziehen, geschweige denn nachzuempfinden. Hinzu kommt aber, dass sich der Film verstörenden Einsichten oder Erlebnissen nahezu verweigert. Dass Eva sexuell missbraucht wird, dass ihr wiederholt Gewalt angetan wird, wird beiläufig gezeigt. Wenn sie beschließt, sich einem Zirkus anzuschließen, werden ihre Erfahrungen dort auf wenige Dialogzeilen reduziert, untermalt von einer penetranten Klaviermusik, die nahezu jedes Bild emotional aufladen soll. Hier soll plötzlich behauptet werden, dass es in dem Film um ein Mädchen geht, das darum kämpft, trotz ihrer Behaarung als ein Mensch wahrgenommen zu werden, der mit Respekt und Achtung behandelt werden sollte, der Gefühle und Ambitionen hat. Jedoch unterläuft dann das kitschige, allzu versöhnliche Ende diese Intention wieder: Hier sieht es so aus, als sei Evas gesamtes Streben darauf ausgerichtet, die Liebe ihres Vaters zu erringen – und es letztlich nur eine Frage des Geldes war, an der Sorbonne glücklich zu werden.

An der Musik, an dem Herausstellen des CGI der Körperbehaarung, die oftmals schlichtweg unecht aussieht, und der konventionellen Erzählweise zeigt sich die Nähe des norwegischen Films zum konventionellen Hollywoodfilm eindeutig. Dabei macht Das Löwenmädchen, was er der Gesellschaft vorwirft: Er reduziert Eva auf ihr Äußeres, auf den Sensationswert ihrer Erscheinung, anstatt sie wie einen Hauptcharakter in einem Film zu behandeln.

Das Löwenmädchen (2016)

Seit einigen Jahren gibt es in der norwegischen Filmindustrie die Tendenz, der alten Hollywood-Regel zu folgen, dass man mehr Geld ausgeben müsse, um mehr Geld zu verdienen. Dadurch bewegt sich das norwegische Kino zusehends in Richtung seichter Unterhaltungsfilme mit mehr oder wenigen Effekten, zu sehen bereits in „Max Manus“ (2008) und „Kon-Tiki“ (2012), überdeutlich schließlich in „The Wave“ (2015).

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Meinungen

Michael · 22.12.2019

mich hat der Film sehr berührt. :'-)

hiks · 23.05.2016

Ein sehr interessanter Film. Es geht um ein Kind - junge Frau die ihr Leben trotz großer Schwierigkeiten und Ablehnungen meistert. Sich überwindet in den Zirkus zu gehen. Sie möchte Geld verdienen damit sie später selber studieren und gegen seltene Krankheiten behandeln und forschen kann. Menschlich mit den betreffenden Personen umgehen. Nicht wie im Film / Buch gezeigt als Sie ins Klinikum kommt in der Hoffnung auf Hilfe und wird dort wie ein Tier behandelt. Sie ist ein Mensch.
Es ist eine spannende, lustige aber auch traurige Geschichte, die auf wahren Begebenheiten basiert.
Es ist ein erstaunlicher Film.