Das Fischkind

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Liebe mit Hindernissen

Lala (Inés Efrón) gehört zur wohlhabenden Schicht in Buenos Aires, denn ihr Vater (Pep Munné) ist erfolgreicher Rechtsanwalt, der zur Zeit an seinen Memoiren schreibt. Trotz Ehefrau frischt dieser sein Leben durch eine Beziehung zu seiner Hausangestellten La Guayi (Mariela Vitale) ein wenig auf, wobei er mit seiner Begierde nicht der einzige ist, denn Lala ist der 20-Jährigen ebenfalls verfallen. Nur erhält sie von La Guayi die Liebe sozusagen gratis, während dem Patriarchen die sexuellen Dienste nur gezwungenermaßen entgegengebracht werden. Dass das nicht ohne Folgen bleibt, liegt auf der Hand, und nachdem La Guayi sich jahrelang sexuell vom Rechtsanwalt hat missbrauchen lassen, ist die Grenze für die beiden jungen Frauen bald erreicht – mit tödlichem Ausgang. Während Lala die Flucht nach Paraguay antritt, und dort eine Begegnung mit der traditionellen Sagengestalt des Fischkindes hat, bleibt La Guayi in Buenos Aires und wird von der Polizei verhaftet, da alle Indizien dafür sprechen, dass sie den Tod ihres Arbeitgebers verschuldet hat. Als Lala von der Festnahme ihrer Liebsten erfährt, reist sie mit dem nächsten Bus zurück und versucht sie aus dem Knast herauszuholen. Aber ihre Liebe wird auf eine harte Probe gestellt, denn La Guayi wird zusätzlich zur Prostitution gezwungen, und Lala muss nun ihren Kampf gegen macht- und sexbesessene Männer austragen, der in einem Blutbad endet …
Wenn Literatur verfilmt wird, dann haben Regisseure meist eine andere Vorstellung davon als die Autoren. Bei Das Fischkind, nach XXY der zweite Film von Puenzo, verschmelzen nun beide Personen in einer, und das wohl erstaunlichste bei der Umsetzung ist, dass Puenzo ganz massiv in ihre Romanvorlage eingegriffen hat. Geblieben sind der Hauptplot um die unmögliche Liebe zwischen Lala und La Guayi und der tragische Ausgang. Vieles, was den Roman lesenswert gemacht hat, wurde gestrichen oder deutlich verändert. Beispielsweise fehlt bei der Verfilmung der bitter-böse Humor, der im Buch vor allem von der Hauptfigur des Hundes Serafin transportiert wurde. Zwar erscheint Serafin auch im Film, aber eben nur als Randerscheinung. Auch die Figur des Vaters von Lala erhält ganz neue Züge, denn während er in der Vorlage als dickwanstiger und suizidgefährdeter Schriftsteller sein Unwesen treibt, erscheint er nun als sportlicher und durchgestylter Advokat. Auch die Liebesbeziehung zwischen Lala und La Guayi wird auf Zelluloid kaum sexuell dargestellt sondern erhält lediglich eine zärtliche Komponente. Aber trotz dieser fehlenden Aspekte ist der Film sehenswerter als es das Buch lesenswert ist. Puenzo arbeitet dafür nicht mehr chronologisch, sondern lässt Lala auf der Flucht nach Paraguay Erinnerungsfetzen aus der Vergangenheit heraufbeschwören, wodurch sich dem Zuschauer erst im Laufe der Zeit die Geschichte erklärt. Wer den Roman nicht kennt, könnte Schwierigkeiten haben dem Plot zu folgen, aber dennoch ist dies keine unlösbare Aufgabe. Das Fischkind beeindruckt gerade durch diese episodenhafte Erzählweise, durch die bleierne Schwere, die mit wunderschönen Bildern konträr nachgezeichnet wird und vor allem durch die schauspielerische Leistung von Inés Efrón in der Rolle der Lala. Die wohl beeindruckendste Szene ist denn auch die, in der sich Lala in der Badewanne die Haare abschneidet, und der Zuschauer mit jedem Schnitt die unglaubliche Verzweiflung und Wut Lalas nachempfinden kann. Das ist großes und wahnsinnig emotionales Kino!

(Sylvie Pommerenke)

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Nicht nur der Wettbewerb der Berlinale, sondern auch die Nebensektionen Panorama, Forum und Perspektive Deutsches Kino werden dieses Jahr von Liebesfilmen und Beziehungsdramen dominiert. Auch der argentinische Film El niño pez / The Fish Child von Lucía Puenzo, die auch den gleichnamigen Roman verfasst hat, handelt von einer hoffnungslosen Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Mädchen, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammen. Aus Not und Verzweiflung begehen sie ein fatales Verbrechen.

Es geht um die Liebe zwischen Lala (Inés Efron), Tochter aus reichem Elternhaus in Buenos Aires und deren 20-jährigen Haushälterin Guayi aus Paraguay (Mariela Vitale). Beide träumen von einem neuen gemeinsamen Leben in einem Haus am See in der Heimat von der Guayi. Um diesen Traum zu verwirklichen, brauchen sie Geld, das sie sich im Elternhaus von Lala peu à peu zusammenrauben. Als sie endlich soweit sind und fliehen wollen, müssen sie über eine Leiche gehen, die ihnen zum Verhängnis wird.

In Rückblenden erzählt der Film wie es zu dem gemeinsamen Vorhaben gekommen ist und wie die Liebe der beiden über die Jahre hinweg gewachsen ist. Diese verbotene Liebe wird auf eine große Herausforderung gestellt, als die geplante Flucht scheitert und die Guayi im Gefängnis landet. Lala erfährt nach und nach von der dunklen Vergangenheit ihrer Freundin und was es mit der geheimnisvollen Legende des titelgebenden Fischkindes auf sich hat.

Bereits Lucía Puenzos von der Kritik hochgelobter Debütfilm XXY, der letztes Jahr bei uns im Kino lief, beeindruckte mit seiner eindringlichen und schwermütigen Thematik. Auch El niño pez / The Fish Child ist starker, fesselnder Tobak. Von der ersten bis zur letzten Minute herrscht Spannung. Lala und ihre Freundin leben von Anfang an in einem Gefängnis, weil sie ihre Liebe nicht offen ausleben können. Auf sehr eindringliche und bewegende Art zeigt die Kamera von Rodrigo Pulpeiro das Begehren und die Sehnsucht nach Freiheit der beiden Mädchen. Es scheint unwirklich und verträumt, man glaubt nicht daran, dass das gemeinsame Ziel realisiert wird. Erst als die Guayi im richtigen Gefängnis landet und Lala vorhält, dies sei das wahre Leben, von dem sie immer geträumt hat, öffnet Lala das die Augen. Und wenn Lala vor Wut und Verzweiflung ihre Haare in der Badewanne abschneitet, erinnert das schon sehr an den jugendlichen Trotz von Alex in XXY.

XXY erhielt beim Festival von Cannes den großen Preis in der Sektion Semaine de la Critique und etliche andere wichtige Festivalpreise. Vor Lucía Puenzo scheint eine vielversprechende Filmkarriere zu liegen. Auf jede Fall eine, die man im Auge behalten sollte.

Das Fischkind

Der Debütroman der argentinischen Autorin Lucía Puenzo sorgte im Frühjahr 2009 für etlichen Wirbel in der Literaturkritik. Nun hat sie ihren eigenen Roman verfilmt, und es stellt sich die Frage, wie weit die Regisseurin ihre schriftlichen Ideen in einem Film umzusetzen weiß. Fazit: Puenzo ist eine bessere Filmemacherin als Autorin.
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