Continuity (2016)

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Rätselhafte Erinnerungsschleifen

Man fühlt sich nicht wohl in diesem Film, nie. Niemand tut das, weder die Zuschauenden noch die Figuren innerhalb der Geschichte. In Continuity von Omer Fast herrscht eine nicht nachlassende Spannung, eine ständige, subtile Irritation, die niemanden mehr von der Leinwand wegschauen lässt. Mit kühlem, fast klinisch interessiertem Auge beobachtet die Kamera Torsten (André Hennicke) und Katja (Iris Böhm), die mehrmals hintereinander, wie in einem seltsamen Loop gefangen, undurchsichtige Aktionen durchführen: das verheiratete Paar mittleren Alters holt immer wieder junge Soldaten in Bundeswehruniform vom Flughafen ab – und bei jedem Mal ist es ein anderer Kriegsheimkehrer, den sie mitnehmen und bei sich zu Hause festlichen, wenn auch etwas unbeholfenen Empfang bereiten.
Die beiden verarbeiten einen persönlichen Verlust. Eindeutig klar wird das aber an keiner Stelle. Wahrscheinlich ist ihr Sohn in Afghanistan gestorben, worauf der kurze Prolog hindeutet, in dem ein junger Soldat in der Wüste vom Truppenkonvoi flieht und dann buchstäblich vom sogleich folgenden, drastischen Schnitt zerfetzt wird: wir sehen ihn als verstümmelten Körper, seine Augen blinzeln noch. Ein Detail, das wiederkehren wird. Überhaupt: die clevere Handhabe von Kleinigkeiten, kombiniert mit minimalistisch-nüchterner Inszenierung, in der alles seinen Platz zu haben scheint, und dramaturgischer Raffinesse sind bei Continuity nur schwer von der Hand zu weisen. Die aufeinander folgenden Loops, die variierten Episoden der Abholungsfahrten bilden das Skelett der Erzählung, das zusammen gehalten wird vom Zentrum, zu dem die Handlung immer wieder zurückkehrt: an den Esszimmertisch der Familie zum Abendessen. Am Weihnachtsabend bei Rotkohl, Klößen, Braten steigert die gemäldehaft gediegener Ausleuchtung der Bilder die befremdliche Wirkung der Gespräche mit den Ersatz-Söhnen noch. Eines davon driftet in Richtung eines verschiedene Zeiten verschränkendes, halluzinogen-surrealen Intermezzos: die in jenem Moment erzählte Geschichte wird nicht nur parallel montiert, sondern sie findet simultan im selben Bildraum statt, wird von den Figuren allerdings nicht wahrgenommen. Die Vergangenheit passiert in der Gegenwart der Erzählung erneut, ähnlich der Wiederholungsschleife eines Erinnerungsprozesses. Alles ist in diesem Moment gleichzeitig da, Gewesenes und Aktuelles.

Wiederholungen finden in Continuity auf dreifache Weise statt: auf Erzählebene im Verhalten der Eltern, in den gerade genannten Simultanmontagen und auf konnotativer Ebene mittels Vor- und Rückgriffen in der Aufladung mit Bedeutung von bestimmten Aussagen und Dingen. Der Gestus ist dabei immer der des Nach-etwas-Greifens, des Wieder-Holens. Dadurch etabliert der Film seine eigene, ineinander verschlungene Zeitlichkeit. Die wird vor allem im Verhältnis des Sohnes zur Mutter ausgiebig ausgespielt. Kurze Bemerkungen aus seiner Jugend von ihr zu ihm wie „Du stinkst.“ oder „Hast du geraucht?“ kehren an pointierten Stellen in Gesprächen mit den verschiedenen Soldaten-Ersatzsöhnen wieder. Einmal sprechen Torsten und Katja darüber, dass sie Haschisch im Schuh des Sohnes gefunden hätten, nachdem er bereits weggegangen war in den Krieg. Später, als wir in einer Rückblende den Sohn kurz vor seinem Weggang sehen, sehen wir, wie er nicht Haschisch, sondern Marihuana in seinem Schuh versteckt. Der sich erinnernden Mutter kann also nur bedingt getraut werden, stellt sich spät im Film heraus. Dieses geschickte, dramaturgische Spiel mit dem versetzten Streuen und Wiederaufnehmen von Informationen beherrscht der Film aufs Beste. Aber durch irritierende Effekte wie eine nicht ganz haargenau korrekte Erinnerung oder überraschende, nirgends aus der Handlung zu antizipierenden Volten in den Handlungsweisen von Figuren geht Continuity gegen ein fest verschnürtes Netz an temporären Schlaufen, das er anlegt und im Laufe des Films auch immer enger schnürt. So bleibt für Zuschauende und Figuren immer noch ein Spalt Hoffnung bestehen, der in den Film hinein scheint, ein Spalt Hoffnung, bevor der nächste Handlungsloop beginnt.

Continuity ist die forschende, in seinem Gehalt nicht vollends aufzulösende Beobachtung eines Klammergriffs persönlicher Hoffnung – basierend auf einer individuellen Erinnerung, die gegen eine alles zu verschlingend drohende Trauer ankämpft. Auch wenn das vielleicht naiv oder in seiner entwaffnenden Irrationalität unheimlich anmuten mag. Die Hoffnung transzendiert jede Zeitlichkeit oder: die Kraft der Hoffnung schafft eine eigene wellenartige Form von stetem Neubeginn, eine Welt jenseits chronologischer Zeitlichkeit. Die Geschichte funktioniert auf einer universalen Ebene, in Wellen gegen die Wiederkehr des Verdrängten. Die Irritationen in den Wiederholungen, die Variationen der einzelnen Erinnerungen sind die Schlupflöcher, die den Motor der Geschichte bilden: sich deren nicht bewusst, kann Katja in sie ihren Sohn hinein projizieren, immer wieder neu. „Ich sehe ihn jeden Tag. Jeden Tag kurz bevor ich aufwache. Er ist immer so jung. Genauso, wie er war. Dann verschwindet er wieder. Für immer so jung“, sagt sie an einer Stelle. An anderer Stelle sehen wir mit ihr alle Ersatzsöhne wieder, an einem Ort jenseits aller Orte, fast so wie sie waren. Fast, denn: blinzeln tut dann von ihnen keiner mehr.

Continuity (2016)

Man fühlt sich nicht wohl in diesem Film, nie. Niemand tut das, weder die Zuschauenden noch die Figuren innerhalb der Geschichte. In „Continuity“ von Omer Fast herrscht eine nicht nachlassende Spannung, eine ständige, subtile Irritation, die niemanden mehr von der Leinwand wegschauen lässt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen