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Nanouk Leopold hat ein eindringliches Portrait eines fünfzehnjährigen Heimkindes gedreht, fern von Klischees und moralischen Zeigefingern. Es gibt Hoffnung, vielleicht.

Cobain (2018)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Cobain sucht eine Heimat

Die Kamera, immer in Bewegung, dicht an ihrem Protagonisten, unserem Protagonisten. Immerzu in Unruhe: Jede Einstellung verrät Heimatlosigkeit, Suchen und einen Hauch von Verzweiflung; bis zum Schluss werden sie das nicht ganz ablegen, die Kamera und ihr Protagonist.

„Cobain“ hat seine Mutter ihn genannt, nach einem Musiker, von dem er nicht viel weiß, was soll denn das? Von seiner Mutter weiß er auch nicht allzu viel, jetzt hat das Jugendheim eine Pflegefamilie für den 15-Jährigen gefunden, „Weißt du eigentlich, wie schwierig das in deinem Alter ist?“ Cobain (Bas Keizer) wird das versuchen, einen ganzen Tag lang. Die Pflegeeltern wirken ernsthaft, offen, liebevoll – die Mutter möchte ihn einladen, ein wenig im Garten mitzuarbeiten, der Vater ist vielleicht ein wenig zu robust umarmend. Die Söhne der Familie spielen Gitarre und können nicht viel mit Cobain anfangen, der nichts weiß von dem Mann, nach dem er benannt wurde.

Nachts nimmt er dann seine Sachen, etwas Geld aus dem Portemonnaie, das herumliegt, und verschwindet schon wieder. Zurück in die Stadt, ein bisschen was klauen, die Leute suchen, die er so kennt. Er fragt sich durch zu seiner Mutter Mia (Naomi Velissariou), sie nimmt immer noch Drogen, trinkt, raucht und ist wieder schwanger. Sie schleppt ihn einen Tag lang mit sich herum, bevor sie ihn genervt wieder wegschickt. Er schlüpft bei dem Zuhälter Wickmayer (Wim Opbrouck) unter, noch so eine Bekanntschaft, und lässt sich für alle möglichen kleinen Dienste von ihm anheuern. Er wohnt bei Wickmayers Prostituierten, die den jungen Mann ein wenig umsorgen, ein wenig bemitleiden. Bei Adele (Dana Marineci) findet er später Geld, das ihr nicht zusteht, und als Preis für sein Schweigen schläft sie mit ihm, immer wieder.

Kein unschuldiges Kind aus schwierigen Verhältnissen also, sondern ein Junge, der sich einrichtet, der seinen Weg sucht und eigentlich rechts und links keinen Halt findet. Aber eben vor allem ein Suchender: „War’s diesmal besser?“, will er einmal von Adele nach dem Sex wissen – ja, ja, beruhigt sie ihn, wie man ein unruhiges Schoßhündchen beruhigen würde.

Bas Keizer ist fast in jedem Moment des Films zu sehen, und der junge Schauspieler gibt seinem Cobain diesen immer unsteten Blick von Unsicherheit und Verletzlichkeit, Verärgerung und Zuneigung; Frank van den Eedens Kameraführung unterstreicht das noch. Regisseurin Nanouk Leopold schaut ja immer genau hin, aber in Brownian Movement, der 2011 auch auf der Berlinale zu sehen war, ließ sie Sandra Hüllers Protagonistin über weite Strecken in starr kadrierten Bildern beobachten, die nur gelegentlich ganz geringe, kaum spürbare – eben fast Brownsche – Bewegungen machten. In Cobain ist eigentlich immer alles in Bewegung: Suchend, aber nicht zielgerichtet, irrlichternd. Man würde es flirrend nennen wollen, aber die ihrer Farbe weitgehend entsättigten Bilder erlauben das Wort nicht, dafür scheint die Welt zu sehr in immer gleicher Hoffnungslosigkeit zu ertrinken.

Cobain aber schwimmt weiter und sucht für sich nach etwas, das festzuhalten lohnt; er findet es schließlich in der Mutter, die ihn nie festhalten konnte, und von der ihm alle sagen, sie sei es nicht wert: „Die kommt doch eh wieder auf die schiefe Bahn.“ Und in seinem ungeborenen Geschwisterkind, dem er nun mit Entschlossenheit auf die Welt helfen will. Es lässt sich anfangs nur erahnen, wie ernst es ihm dabei ist; und es ist ein kleines Wunder, welche Momente zwischen Mia und Cobain es deshalb geben wird.

Cobain aber behält seine Ambivalenz bei; hier ist keine heile Welt. In der 83. Minute des Films kulminiert das dann in einem unerwarteten Moment, von solch emotionaler und magenumdrehender Wucht, er wird womöglich viele Zuschauer aus dem Kino treiben. Ein Happy End gibt uns Leopold dann aber immer noch nicht; aber wer weiß, wozu dieser junge Mann noch in der Lage sein wird.

Cobain (2018)

Der 15jährige Cobain versucht, seine schwangere Mutter von ihrem selbstzerstörerischen Lebenswandel abzubringen und ihr Leben zu ordnen. Als sie ablehnt, ergreift er die Initiative.

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