Closet Monster

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Die Monster verlieren ihren Schrecken

Stephen Dunns Debütfilm Closet Monster ist eine wunderbare Singularität im Meer der mal mehr, mal weniger guten, aber stets ähnlichen Coming-Out/Coming-of-Age-Filme. Zwar teilt er sich mit ihnen die Grundprämisse – ein Junge entdeckt seine Homosexualität und muss mit sich und seiner Umwelt zurande kommen und sich emanzipieren –, doch da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf.
Closet Monster ist weder Drama noch Komödie, sondern verortet sich zwischen David Cronenbergs psychosomatischem Körperhorror, Gregg Arakis Nonkonformität und einem Kinderfilm mit einem sprechenden Hamster namens Buffy. Allerdings mit einem, dem die große Isabella Rossellini ihre Stimme leiht. Ja, das ist eine sehr unerwartete Kombination und man mag gar nicht glauben, dass sie funktionieren kann. Tut sie aber. Und zwar ganz brillant.

Oscar (Jack Fulton/Connor Jessup) lebt in Neufundland mit seinem unorthodoxen und manchmal mit fehlender Impulskontrolle ausgestatteten Vater und seiner emotional leicht entrückten Mutter, die alsbald die Familie verlässt. Zur Scheidungsmeldung bekommt er einen Hamster geschenkt, mit dem er fortan seine Gedanken teilt. Ungefähr zur gleichen Zeit beobachtet der Junge ein Hassverbrechen an einem schwulen Jungen, der mit einer Stahlstange anal penetriert wird und querschnittsgelähmt zurückbleibt. Diese Szene hinterlässt in Oscar nachbleibenden Eindruck, denn auch er ist homosexuell. Diese Ahnung hat er schon als kleiner Junge und sie verfestigt sich in späteren Jahren, als Oscar in einem Baumarkt jobbt, dort Wilder (Aliocha Schneider) trifft und sich verliebt. Aber er kann seiner aufblühenden Liebe nicht vorbehaltlos nachgehen, denn sie bringt die traumatischen Ereignisse seiner Kindheit wieder hoch. Die Schmetterlinge im Bauch verwandeln sich in eine Stahlstange, die ihn aufzuspießen droht. Und auch sein Vater, der die Scheidung nie so recht überwunden hat, lässt seinen Sohn spüren, dass es nur eine Art von Männlichkeit gibt, die in seinem Haus erlaubt ist.

Closet Monster könnte mühelos eine konventionelle Coming-Out-Geschichte sein. Doch statt den üblichen Weg des Dramatischen zu gehen, wählt Regisseur Dunn einen viel fantasievolleren Weg. Mit Hilfe seines bunten Genremixes vermag er der Problematik des Coming-Outs gerecht zu werden und sie eindrucksvoll zu visualisieren, ohne sie in ein sonst recht typisches Drama zu kanalisieren oder zu einem großen, schrecklichen „Anderen“ zu machen. Ja, es ist schwer, vor allem unter den gegebenen Bedingungen, aber, und das ist das fast schon Revolutionäre an diesem Film, es ist nicht fatal. Ganz ähnlich wie Die Mitte der Welt verweigert sich der Film, den üblichen heteronormativen Weg für das homosexuelle Erwachen zu gehen. Es wird endlich mal keine schwule Figur leiden ohne Ende oder gar sterben (freiwillig oder nachgeholfen), weil das Elend der „Perversion“ zu groß ist. Nein, Oscar ist schwul. Die Umwelt macht es ihm nicht leicht, das Trauma erschwert die Dinge, aber er wird leben. Und lieben. Und klarkommen. Er ist nicht das „Andere“, er ist einfach Oscar.

Externen Inhalt ansehen?

An dieser Stelle möchten wir Ihnen ein externes Video von YouTube präsentieren. Dafür benötigen wir Ihre Zustimmung in die damit verbundene Datenverarbeitung. Details in unseren Angaben zum Datenschutz.

Zustimmen und ansehen



Und genau dieses Normalisieren, ohne zu trivialisieren, ist das, was das Kino, was unsere Gesellschaft vor allem in diesen Zeiten braucht. Die Attacken von Orlando, die wieder aufkeimende und immer offener präsentierte Homophobie braucht eine Gegenbewegung. Es braucht viele Filme wie Closet Monster, die den Schrank öffnen, ja regelrecht zertrümmern, um zu zeigen, dass es die Monster gar nicht gibt. Nur ganz normale Menschen.

Closet Monster

Stephen Dunns Debütfilm „Closet Monster“ ist eine wunderbare Singularität im Meer der mal mehr, mal weniger guten, aber stets ähnlichen Coming-Out/Coming-of-Age-Filme. Zwar teilt er sich mit ihnen die Grundprämisse – ein Junge entdeckt seine Homosexualität und muss mit sich und seiner Umwelt zurande kommen und sich emanzipieren –, doch da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen