Class Enemy

Eine Filmkritik von Ulf Lepelmeier

Schule im 21. Jahrhundert: Kuschelpädagogik vs. autoritäre Erziehung

Klassenkampf mal ganz wörtlich auf den schulischen Mikrokosmos bezogen: Eine Oberstufenklasse in Slowenien begehrt, von einem tragischen Ereignis ausgehend, gegen die Lehrerschaft und das gesamte Bildungssystem auf. Class Enemy ist damit der nachdenklich stimmende Gegenentwurf zu all den ermutigenden Schulfilmen, in denen ein engagierter Lehrer in der Lage ist seine Schüler zu einer besonderen Leistung anzutreiben und ungeahnte Stärken in ihnen zu wecken. Regisseur Rok Biček zeichnet dabei eine Jugend, die nicht weiß, was sie will oder wie sie mit ihren Möglichkeiten und Grenzen umgehen soll.
Deutschlehrerin Nusa (Masa Derganc) stellt ihrer Lieblingsklasse ihre Schwangerschaftsvertretung Robert Zupan (Igor Samobar) vor. Sofort ist klar, dass der mit distanziert- strengem Duktus seine Schüler ansprechende Lehrer ein anderes Pädagogikverständnis aufweist, als seine warmherzig- nette Vorgängerin. Das nun um einiges höhere Anspruchsniveau und die Strenge des neuen Lehrers stoßen bei den Schülern umgehend auf Unverständnis und Ablehnung. Einige Tage später muss der unbeliebte Lehrer seine Klasse über den tragischen Selbstmord der zurückhaltenden Sabina (Dasa Cupevski) unterrichten. Sogleich kommen wilde Spekulationen über die Gründe ihrer Verzweiflungstat in Umlauf, hatten doch einige Mitschüler mitbekommen, wie Sabina am vorherigen Schultag weinend aus Herrn Zupans Besprechungszimmer stürzte. Mutmaßungen und Anschuldigungen ziehen ihre Kreise und schon bald ist für die aufgedrehten Schüler der passende Sündenbock in Person des scheinbar herzlosen Deutschlehrers ausgemacht…

Regisseur Rok Biček gelingt in Class Enemy ein multiperspektivischer Blick auf die Institution Schule und die in ihr zusammentreffenden Interessengruppen aus Schülern, Lehrkörpern und Elternschaft. Dabei wird der in statischen Bildern festgehaltene Schulunterricht als permanente verbale Auseinandersetzung um Aufmerksamkeit und Wertevermittlung mit einer Schülergeneration gezeichnet, die ihre Lehrer nicht mehr als gegebene Autoritätspersonen ansieht. Mit welcher pädagogischen Herangehensweise man dieser neuen Grundkonstellation des Schulalltags begegnen soll, ist alles andere als klar und wird in Class Enemy anhand von unterschiedlichen Unterrichtsstrategien durchgespielt. So versucht Nusa ihre Klasse mit emotionaler Nähe und Verständnis ruhig zu halten, während ein pragmatischer Kollege rät, den Stoff einfach durchzuspulen und den Schülern durch gute Noten und weitgehendes Stillhalten keine Angriffsfläche zu bieten. Der strenge Robert Zupan hat hingegen noch den Anspruch seine Schüler für das Leben vorzubereiten und fordert einen respektvollen Umgang innerhalb seines anspruchsvollen Unterrichts strikt ein. Auch wenn er mit seiner unterkühlten Art eine Teilnahmslosigkeit ausstrahlt, ist es ihm ein wirkliches Anliegen, seine Schutzbefohlenen zu selbstständig denkenden und diszipliniert handelnden jungen Erwachsenen zu formen.

Wie in Die Klasse spielt sich auch das Geschehen in Class Enemy komplett in den Mauern eines Schulgebäudes ab, so dass alle außerhalb des Gymnasiums stattfindenden Ereignisse, wie auch der Selbstmord Sabinas, nur als Echos in den Räumen widerhallen und dann gewisse Dynamiken ins Rollen bringen. Auch wenn die von Laien verkörperten Schüler dabei gängigen Typisierungen, vom Streber bis zum Rebellen, entsprechen und somit nur ein grobes individuelles Psychologiegerüst aufweisen, erhalten die Figuren durch ihre jeweiligen Haltungen innerhalb der Gruppenausrichtung des Klassenverbundes zunehmend Konturen. Letztlich nutzen die Jugendlichen die Tragödie um ihre Mitschülerin schlicht als Ausgangspunkt für ihre Rebellion: So wird der verhasste Deutschlehrer von den von Trauer, Unzufriedenheit und Aggressionen geleiteten Schülern nur zu gern unreflektiert als Südenbock an den Pranger gestellt. Auf Unterstellungen folgen verletzende Worte und großangelegte Diffamierungsversuche, so dass sich die allgemein erhitzte Grundstimmung gegen Herrn Zupan bald zum Revolutionsstreben gegen die Lehrerschaft und das gesamte Schulsystem hochschaukelt und eine gefährliche Gruppendynamik ihren Lauf nimmt. Dabei ist es interessant zu beobachten, wie mühelos es Regisseur Rok Biček gelingt die Sympathien und Einstellungen der Zuschauer gegenüber den Schülern und Lehrern immer wieder zu verschieben. So vermag es Biček einen ambivalenten Blick auf die verschiedenen Personen und ihre individuellen Ziele beizubehalten. Jedweder bequemen moralischen Gewissheit aus dem Weg gehend, überlässt er die Frage nach der Schuldigkeit an den hochkochenden Emotionen letztlich dem Betrachter.

Class Enemy erweist sich als engagiertes Schuldrama, das unterschiedliche pädagogische Strategien hinterfragt und die dramatischen Folgen vorschneller moralischer Verurteilungen aufzeigt.

Class Enemy

Klassenkampf mal ganz wörtlich auf den schulischen Mikrokosmos bezogen: Eine Oberstufenklasse in Slowenien begehrt, von einem tragischen Ereignis ausgehend, gegen die Lehrerschaft und das gesamte Bildungssystem auf. „Class Enemy“ ist damit der nachdenklich stimmende Gegenentwurf zu all den ermutigenden Schulfilmen, in denen ein engagierter Lehrer in der Lage ist seine Schüler zu einer besonderen Leistung anzutreiben und ungeahnte Stärken in ihnen zu wecken.
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