Cinema Jenin

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Kino statt Waffen?

„In Jenin ein Kino? Baut doch ein Krankenhaus!“ das bekam Marcus Vetter zu hören, als er seine Initiative für das „Cinema Jenin“ startete. Die palästinensische Stadt Jenin im israelisch besetzten Westjordanland galt als Terroristenhochburg. Krieg ist in der Stadt und dem angrenzenden Flüchtlingslager eher Alltag als Kultur. Das Kino wurde während der ersten Intifada 1987 zerstört und dem Verfall überlassen.
Am 5. August 2010 konnte es feierlich wieder eröffnet werden – durch das Engagement des deutschen Filmemachers und vieler unermüdlicher Mitstreiter. Den Stein ins Rollen brachte Vetters vorheriger Film Das Herz von Jenin (2008): Nachdem sein 12jähriger Sohn von israelischen Soldaten erschossen wurde, entschloss sich der Palästinenser Ismael Khatib, die Organe seines Sohnes israelischen Kindern zu spenden. Der Dokumentarfilm über diese große Friedensgeste wurde mit dem Deutschen Filmpreis 2010 als Bester Dokumentarfilm und mit dem „Cinema for Peace Award“ ausgezeichnet. Doch Marcus Vetter wollte mehr: „Filme entwickeln zwar eine Kraft fürs Kino und für die Zuschauer, aber sie verändern wenig.“

Zusammen mit Ismael Khatib und seinem Dolmetscher Fakhri Hamad beschloss er, das alte Kino in Jenin wieder aufzubauen, um damit ein integratives Kulturzentrum und einen Ort der Völkerverständigung zu schaffen. Dass dieses Vorhaben kein einfaches ist, zeigt nun eindrücklich Vetters Dokumentarfilm Cinema Jenin, der das Ringen um den Wiederaufbau dokumentiert. Das Projekt stellte alle Beteiligten vor ungeahnte Herausforderungen, das Filmemachen wurde fast zur Nebensache: „Irgendwann habe ich das Regieführen ‚vergessen‘ und habe nur noch das Projekt gemacht. Die Kamera war einfach da, Alex Bakri, der Kameramann, hat immer gedreht.“

Gemeinsam mit der Editorin Saskia Metten hat Marcus Vetter dann in der Montage die Unmittelbarkeit des Materials und die Tatsache, dass er Regisseur und zugleich Protagonist des Films ist, dramaturgisch geschickt genutzt: Cinema Jenin kommt in Form eines persönlichen Tagebuchs daher, in dem Vetter seine Unternehmung als das erzählt, was sie in gewisser Weise auch ist: das nervenaufreibende Abenteuer eines Deutschen im Ausland – mit ungewissem Ausgang. Und abenteuerlich mutet tatsächlich an, wie sich z.B. die drei Projekt-Initiatoren anfangs auf die Suche nach Geldgebern machen: Mal eben im Telefonbuch nach reichen arabischen Prinzen suchen. Wenn dann unter der Nummer eines – allerdings verstorbenen – Prinzen plötzlich jemand antwortet, dann versprüht das den Charme orientalischer Fabulierkunst.

Mit einer gehörigen Portion Naivität und noch mehr Energie ziehen die drei los, ihr Projekt zu verwirklichen. Der Film bringt den Zuschauer mit einer gelungenen Mischung aus Drive, Herzblut und kritischen Momenten zum Mitfiebern, dass ihnen das gelingen möge, auch wenn es zunächst schlimm aussieht: Das alte Kino ist eine völlige Bruchbude, von Tauben bevölkert und nur mit Atem-Maske zu betreten. Viele Helfer packen unentgeltlich beim Wiederaufbau mit an – und müssen untergebracht werden. Die Dimensionen des Projektes wachsen: Neben dem Kino entsteht noch ein Gästehaus. Die Anwohner sind ob der vielen internationalen Freiwilligen, die sich dort tummeln, ein wenig misstrauisch, doch die Behörden sind unverhofft kooperativ. So erweist sich z.B. der palästinensische Ministerpräsident Salam Fayyad als erstaunlich einfacher Verhandlungspartner. Ganz im Gegensatz zu den Alteigentümern des Kinos, die schon den Taubendreck in ihrer alten Bruchbude zu Gold werden sehen und davon profitieren wollen. Während der x-ten Mietvertrags-Verhandlung geht Marcus Vetter da schon mal die Hutschnur hoch, weil sie das „warum“ hinter seinem Herzensprojekt weniger interessiert als das „wieviel“: Schließlich sind ja Fördergelder im Spiel. Das deutsche Auswärtige Amt unterstützt die Idee für das Kino-, Kultur- und Ausbildungszentrum von Anfang an, später reist auch mal Pink-Floyd-Legende Roger Waters an und pumpt Geld in das Projekt.

Die feierliche Eröffnung erfährt schließlich große internationale Aufmerksamkeit, das „Cinema Jenin“ wird als Zeichen der Hoffnung begrüßt. Doch noch während der Film Cinema Jenin geschnitten wird, wird in Jenin der israelisch-palästinensische Theatermacher Juliano Mer-Khamis am 4. April 2011 vor seinem „Freedom Theatre“ ermordet. Die Initiative verliert einen wichtigen Freund und Mitstreiter. Der Film lässt auch diese Ereignisse nicht aus, denn letztendlich ist neben der Frage, wie sich das Kulturzentrum langfristig finanzieren kann, die entscheidende Frage, ob es tatsächlich zur Völkerverständigung beitragen kann – ganz konkret, im Alltag, vor Ort. Dort, wo zur Eröffnung erst mal solche Fragen diskutiert werden müssen, wie: Sind Israelis als Gäste willkommen? Dürfen Waffen mit ins Kino?

Ein Film kann die Welt nicht verändern. Ob ein Kino dazu beitragen kann, das Zusammenleben an einem Ort zu verbessern, das wird sich in Jenin zeigen.

Cinema Jenin

„In Jenin ein Kino? Baut doch ein Krankenhaus!“ das bekam Marcus Vetter zu hören, als er seine Initiative für das „Cinema Jenin“ startete. Die palästinensische Stadt Jenin im israelisch besetzten Westjordanland galt als Terroristenhochburg. Krieg ist in der Stadt und dem angrenzenden Flüchtlingslager eher Alltag als Kultur. Das Kino wurde während der ersten Intifada 1987 zerstört und dem Verfall überlassen.
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