Caracas, eine Liebe

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Intensives Zwei-Mann-Spiel

Der Blick auf die Straßen von Caracas ist unscharf. Die Kamera verbleibt verhältnismäßig lange in dieser unfokussierten Einstellung und zoomt dann erst langsam an das heran, was sie für wichtig hält: den Menschen, den Mann, denjenigen, der sieht. Alles um ihn herum bleibt verschwommen. Selten hat man das in dieser Deutlichkeit auf der Leinwand gesehen. Und es passt gut zur Geschichte von Caracas, eine Liebe.
Armando (Alfredo Castro, bekannt aus den Filmen von Pablo Larraín) blickt mit ähnlicher Unfokussiertheit auf seine Umgebung: Er geht in einer monotonen und fast teilnahmslosen Weise durch sein Leben und vor allem seiner Tätigkeit als Zahntechniker nach, große Highlights gibt es nicht. Wenn er ab und zu seine Schwester besucht, dann wirkt das eher wie eine lästige Pflichtübung. In den Fokus aber nimmt Armando immer wieder junge Männer aus den ärmeren Vierteln Caracas‘, die er mit Geld lockt, zu sich nach Hause nimmt, sich ausziehen und vor sich posieren lässt. Mehr nicht. Er befriedigt sich an deren Anblick, das war’s. Das ist sein Hobby, aber auch dieses Tun wird eher routiniert abgearbeitet, denn in vollen Zügen genossen.

Bis Armando eines Tages auf Elder (Luis Silva) trifft. Der junge Mann unterscheidet sich äußerlich nicht von den anderen Männern, die Armando gewöhnlich für seine Lust bezahlt: Elder ist groß, schlank, sieht gut aus, hat dunkle Haare und einen dunklen Teint. Doch Elder ist skeptisch, geht zwar mit Armando mit, traut ihm aber nicht. Als Armando auf die für ihn so selbstverständliche Abmachung besteht, übernimmt Elder das Ruder, zieht Armando mit einem Aschenbecher eins über und macht sich mit dem Geld aus dem Staub.

Fortan führen die beiden eine seltsame Beziehung: Armando ist fasziniert von dem jungen Mann, Elder sieht noch mehr Geld auf sich zukommen. Und so begegnen sie sich immer wieder und können nicht aneinander vorbeigehen, sondern wagen immer wieder das Miteinander. Als Armando Elder lange nicht antrifft, sucht er nach ihm und findet ihn halb bewusstlos in einer Wohnung liegen. Er nimmt ihn mit und pflegt ihn gesund. Von da an ändert sich ihr Verhältnis noch einmal.

Das Zwei-Mann-Spiel von Lorenzo Vigas ist ein originelles Stück Kino: Man weiß nie, was man von den Figuren und der Geschichte erwarten soll, zu außergewöhnlich ist das Sujet, zu unberechenbar der Plot-Verlauf: Da wird aus einer gewaltvollen Begegnung eine Liebesgeschichte, die dann doch keine ist. Armando verführt Elder durch die Normalität des Alltags; aus Abscheu wird Liebe, aus Verliebtheit Abscheu. Dabei resultiert die Unberechenbarkeit auch aus der Perspektivierung, die alternierend organisiert ist – mal liegt die Perspektive auf Armando, mal auf Elder, und immer dann weiß man vom jeweils anderen nicht, was er plant. Darüber hinaus bleiben die Figuren in ihrer jeweiligen Lebenswelt recht unklar, sind eher skizziert, denn ausgemalt. Die Beziehung von Armando zu seinem Vater ist eine bloße Aneinanderreihung von Andeutungen, das Verhältnis zur Schwester ebenso. Elder scheint eine Familie zu haben, aber auch das wird nicht weiter ausgeführt. Und doch ist alles entscheidend für den Verlauf der Geschichte.

Caracas, eine Liebe konzentriert sich auf die Begegnung der beiden ungleichen Männer und spielt sie aus. Das intensive Zusammenspiel der beiden Darsteller funktioniert, es knistert und brodelt immer wieder, wenn der Teenager auf den älteren Mann trifft, der einfache Automechaniker auf den gut situierten Zahntechniker. Dies wurde auf den Filmfestspielen in Venedig mit dem Goldenen Löwen belohnt (dem ersten übrigens für Venezuela), wobei Vigas mit seinem Debütfilm nicht nur Pablo Traperos, einen wichtigen Regisseur des Neuen Argentinischen Kinos, El Clan (der mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet wurde) ausgestochen hat, sondern auch andere Autorenfilmer wie Charlie Kaufmann oder Aleksandr Sokurov. Ob der Preis angesichts der starken Konkurrenz gerechtfertigt war oder nicht, sei dahingestellt. Gut ist es auf jeden Fall, dass das außergewöhnliche Drama jetzt bei uns in den Kinos zu sehen ist.

Caracas, eine Liebe

Der Blick auf die Straßen von Caracas ist unscharf. Die Kamera verbleibt verhältnismäßig lange in dieser unfokussierten Einstellung und zoomt dann erst langsam an das heran, was sie für wichtig hält: den Menschen, den Mann, denjenigen, der sieht. Alles um ihn herum bleibt verschwommen. Selten hat man das in dieser Deutlichkeit auf der Leinwand gesehen. Und es passt gut zur Geschichte von „Caracas, eine Liebe“.
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