Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Der Krieg der Immigranten

Während die cineastische Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes langsam anrollt, ist die Kriegsthematik amerikanischer Soldaten im Irak längst auf ihrem Zenith. Sam Mendes befasste sich schon vor drei Jahren in Jarhead mit den psychologischen Stresssituationen US-amerikanischer Soldaten im ersten Golfkrieg in Kuwait. Nun sind es Starregisseure wie Robert Redford (Von Löwen und Lämmern, 2007) oder Paul Haggis mit seinem erst kürzlich angelaufenen Drama Im Tal von Elah, die sich kritisch und intelligent mit dem Krieg auseinandersetzen. Nur das Publikum goutiert ihre Anstrengungen nicht mehr. Kinokriegsmüdigkeit, zumal in den USA, scheint sich auszubreiten. Oder ist es nur die Abstumpfung angesichts über 3000 real getöteter Soldaten im Irak-Krieg?
Doch verdrängte Traumata ticken wie eine Zeitbombe weiter. Der geringste Anlass genügt, und der seelische Müllstau bricht mit Gewalt aus. Diese Wut positiv in eine friedensstiftende Mission zu transformieren, das ist Peter Lilienthals Anliegen mit seinem Filmporträt Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam. Neben dem titelgebenden Camilo Mejia, einem aus Nicaragua stammenden US-Soldaten, der nach einem halben Jahr im Irak desertierte, widmet sich der Film auch dem Mexikaner Fernando Suarez del Solar, Vater eines der ersten toten US-Soldaten im Irak. Beide Männer sind heute aktive Kriegsgegner.

Mit Bedacht wählte Lilienthal seine Protagonisten mit „Migrationshintergrund“ aus. Denn an ihrem Beispiel demonstriert er gleichzeitig ein Immigranten-Dilemma. Lilienthal selbst wanderte 1939 mit seinen Eltern nach Uruguay aus. Erst Mitte der 50er Jahre kehrte er nach Berlin zurück. In den Siebzigern befasste er sich in seinen Filmen mit Südamerika (Es herrscht Ruhe im Land, 1976). Lilienthal selbst scheint den Wunsch eines Immigranten, fern aller aktuellen Debatten, zu kennen. Man möchte sich seiner neuen Heimat anpassen. Man möchte seiner politischen und/oder wirtschaftlich desolaten Situation entfliehen. Das nutzen die US-amerikanischen Rekrutierungsbüros: Aggressiv werben sie für „einen coolen“ Job mit Waffen, Reisen in exotische Länder und einem bezahltes Studium. Und weil der amerikanische Bedarf an Soldaten immer weiter steigt, ziehen die Anwerber selbst bis nach Lateinamerika und bieten den Kids und ihren Eltern eine Soldatenlaufbahn inklusive Greencard-Studium in den Vereinigten Staaten an.

Fernando erzählt, dass sein Sohn Jesus gerade 13 Jahre alt war, als sich die Anwerber zum ersten Mal an ihn wendeten. Natürlich wollte Jesus in die USA, natürlich wollte er dort seinen Highschool-Abschluss machen und studieren. Doch sein Traum endete im Irak, im Sarg. Getötet von einem Kopfschuss. Lilienthal begleitet Fernando an den Ort, wo sein Sohn starb. Der Vater ist auf Spurensuche, will begreifen, was passiert ist, als sein Sohn starb, will ihm noch einmal nahe sein. Fernandos Schmerz ist ergreifend und gleichzeitig heroisch, denn er geht auf die Iraker zu, hört sich ihr Leiden an, ist ergriffen von den Worten der kleinen Kinder in einer Schule, die tagtäglich dem Krieg, der Angst, der Unsicherheit in ihrem Land ausgesetzt sind.

Auch Camilo berichtet vom Zwiespalt zwischen dem eigenen Anliegen im Krieg und dem tatsächlichen Tun. Er kam in den Irak, um zu helfen. Er liebt die Kultur, das Land und hatte sogar ein wenig arabisch gelernt, zum Beispiel: „Wir sind hier, um euch zu helfen“. Ungläubig erinnert er sich in einer Selbsthilfegruppe an diese Ironie, wenn er mitten in der Nacht mit den anderen Soldaten schwerbewaffnet in die Wohnungen der Iraker drang und dabei auf arabisch auf sie einschrie: Wir sind hier, um euch zu helfen. Erschreckend klingt auch Camilos Einsicht, sich noch immer nicht ganz von der Gewalt getrennt zu haben. Noch immer spürt er sie. „Creepy“, findet das ein anderer Teilnehmer.

Lilienthal gelingt ein bewegendes Essay über zwei Männer und deren Versuch, mit ihrem ganz persönlichen Kriegstrauma umzugehen. Doch statt sich ganz auf diese Thematik zu konzentrieren, verknüpft er seinen Film mit politischen Bezügen zu den Herkunftsländern der Protagonisten.

Da ist einmal die Mauer, aufgezogen von den Vereinigten Staaten, um ihre Grenze zu Mexiko dicht zu machen. Doch weder die Mauer und Migranten-Jäger schrecken die Menschen ab. Die desolate Situation Lateinamerikas ist schlimmer als der mögliche Tod an der Mauer. Und Tote gibt es dort genug zu beklagen. Über 10.000 werden vermutet. Die gefundenen Leichen wurden in der Nähe der Grenze auf einem kleinen Friedhof begraben. Auf Holzkreuzen liest man „John Doe“ oder „Jane Doe“. Das Pseudonym nicht-identifzierter Menschen. Eine ähnliche Geschichte erzählt auch der schweizerische Dokumentarfilm von Heidi Specogna Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez(2007). Der Mexikaner Gutierrez hatte zig-Mal vergeblich versucht, in die USA zu flüchten, bevor es ihm endlich glückte, er in die Armee eintrat und als erster toter amerikanischer Soldat im Irak starb.

Der zweite Bezug ist der Krieg in Nicaragua in den siebziger Jahren. Die Frente Sandinista, die nicaraguanische Befreiungsfront, zu der auch Camilos Eltern gehörten, kämpfte gegen den Diktator Somoza, der wiederum von den USA und ihren, in Honduras aufgebauten militärische Einheiten, den Contras, unterstützt wurde. Lilienthal sucht alte Veteranen auf, die heute unter unmenschlichen Bedingungen leben.

Lilienthal zeigt die zynischen Verbindungen der Kriegsmaschinerie. Er erzählt von Latinos, die nur dann in den USA willkommen sind, wenn man sie als Kanonenfutter auf die Schlachtfelder der Welt schicken kann. Ein klassische erzählter, ergreifender Dokumentarfilm, der leider etwas darunter leider, dass Lilienthal zu viel erzählen wollte.

Camilo – Der lange Weg zum Ungehorsam

Während die cineastische Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes langsam anrollt, ist die Kriegsthematik amerikanischer Soldaten im Irak längst auf ihrem Zenith.
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