Blue Jasmine

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Endstation Parkbank

Die letzte Schönheit des Südens hieß beim Dramatiker Tennessee Williams Blanche DuBois. Um ihren Untergang ging es in seinem Stück Endstation Sehnsucht. Darin sagt sie einmal: „Ich lebe nicht in dieser Welt; ich lebe in einer Welt, wie sie sein sollte.“ Denn darum ging es auch. Williams zeigte das Ausbleichen des alten, aristokratischen Wertesystems des Südens und den Aufstieg einer neuen, vor allem aus Migranten bestehende Schicht, die sich in den Städten etablierte. Um den Abgesang einer modernen Form der Aristokratie geht es auch Woody Allen in seinem neusten Film Blue Jasmine, der nichts anderes als eine zeitgenössische Variation des Williams Dramas ist. Auch wenn Woody dies bislang nur sehr zögerlich zugibt.
Cate Blanchett spielt Jasmine. Und bevor wir Jasmine sehen, hören wir sie. Im Flieger nach Los Angels quatscht sie eine ältere Dame neben sich im Flieger voll: Dass mit ihrem Mann Hal (Alec Baldwin) war schrecklich! Alles so schrecklich! Und überhaupt wurden beide belogen und betrogen! Und jetzt muss sie, die Fifth-Avenue-Prinzessin, erstmal eine Pause einlegen. Deshalb fliegt sie zu ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins), um zur Ruhe zu kommen …

Doch schon da, am Anfang des Films, etabliert Woody Allen einen Irritationsmoment, den er nun nach und nach offenlegen wird. Denn in Jasmines passiv-aggressiven Wortkaskaden voller bitterer Vorwürfe mischen sich Widersprüche. Jasmine nimmt ihre Umwelt gar nicht wahr. Warum sollte sie eine Welt beachten, die sich gegen sie verschworen hat? Dabei strömt ihre Noblesse und ihr perfektes Äußeres etwas beunruhigendes und unkontrolliertes aus. Spätestens als sie im heruntergekommen Appartement ihrer Schwester beherzt zur Whiskyfalsche greift, als wäre es Mineralwasser, erkennen wir, mit wem wir es zu tun haben: Einer Frau unter Einfluss.

Blue Jasmine ist — wie fast alle Woody Allen Filme — ein reiner Schauspielerfilm. Und in diesem ganz besonderen Fall, ist es ein Cate-Blanchett-Film. Sie ist in fast jeder Szene zu sehen. Die Kamera liebt es gerade zu die Weiten ihres elfenhaften Gesichtes abzumessen. Die Leinwand gehört ihr allein — und wenn es tatsächlich noch jemanden gegeben haben sollte, der an den unbegrenzten Fähigkeiten dieser Ausnahmedarstellerin gezweifelt hat, der wird an dieser Stelle ein für alle mal bekehrt.

Blanchetts Jasmine ist ein Wrack. Eine Alkoholikerin und Depressive, die aus der schicken Welt der Apartments und Luxusgüter stammt. Ihr Mann Hal, ein Broker, handelte mit zwielichtigen Derivaten, bis der ganze Schwindel aufflog und beide aus dem Paradies vertrieben wurden. Woody Allen erzählt dies in seinem Film mit mal mehr, mal weniger eleganten Rückblenden. Die Darstellung der verkommenen Broker, der Mitschuld Jasmines, die für den Reichtum gerne zwei Augen zudrückte — ist hart und verdammend. Etwas, was wir so von Woody nicht kennen. Sein Kommentar auf die verkommene Banker-Klasse kommt zwar vergleichsweise spät — und ist nicht unbedingt neu oder kreativ -, aber er trifft in jeder Szene den Nagel auf den Kopf.

Allens Skript ist dabei gewohnt komplex, was durch die entspannte und (diesmal) gar nicht manierierte Erzählhaltung gar nicht auffällt. Wie man Blue Jasmine in den Allen-Kosmos verorten kann, spielt eigentlich keine Rolle. Es ist keine klassische Neurotiker-Komödie, es ist aber auch nicht annähernd jenes filigrane Kriminalspiel, das er in Match Point demonstrierte. Auch wenn Blue Jasmine ebenfalls über eine dramaturgische Wendung verfügt, die vieles (wenn nicht alles) Gesehene in einem anderen Licht erstrahlen lässt.

Da Cate Blanchetts Performance einen großen Schatten wirft, haben es ihre Mitspieler schwer sich durchzusetzen. Schade, denn in der Affäre von Ginger und dem Tontechniker Al (Louis C.K.) schwebt etwas erstaunlich Gültiges durch. Eine recht eigenständige Geschichte von der Einsamkeit im Alter und den Gefahren, die eine zu große Vertrautheit zwischen Fremden haben kann. Aber am Ende kann sie auch diese Episode nicht vom Blanchett-Strudel befreien. Der Blick bleibt auf Jasmine gerichtet. Ihr zweckloses Aufbäumen gegen den unvermeidbaren Abstieg bringt Allen wieder zurück zu Tennessee Williams, um sich gleichzeitig auch von ihm zu distanzieren..

Denn so schrecklich sich das Ende der Heldin bei Tennessee Williams für uns Zuschauer darstellt (Blanche wird von Sanitätern ins Irrenhaus gebracht), so schwingt in ihrem letzten, berüchtigten Satz, neben ihrer so eigenen wirren Weltverklärung, eben auch ein schwachen Hauch der Hoffnung: „Wer sie auch sind“, sagt sie. „Ich habe mich immer auf die Freundlichkeit von Fremden verlassen.“ Diesen Hoffnungsschimmer suchen wir am Ende von Allens Film vergeblich: Bei ihm sitzt die verlasse Jasmine auf einer Parkbank. Sie brabbelt zusammenhangslos vor sich hin. Sie ist aus der Gesellschaft gefallen. Und Allens Urteil ist dabei derart schonungslos, dass wir etwas ungläubig zugeben müssen, eine solche Kaltschnäuzigkeit dem Regisseur bislang nicht zugetraut zu haben.

Blue Jasmine

Woody Allens neuer Film ist ein erstaunliches Biest. Auf den ersten Blick scheint die Geschichte nichts wirklich Besonderes an sich zu haben. Auf den zweiten Blick vielleicht auch nicht, wenn man von Cate Blanchetts brillanter Darstellung absieht. Aber dann gehen die Augen über, denn Allen präsentiert eine Geschichte, deren Hauptfigur man verabscheuen kann – und vielleicht auch muss.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Karajan · 25.01.2014

Genau so isses !

Robert van Leeuwen · 21.11.2013

Peter und Patrick veröffentlichen hier zwei wunderbare Beschreibungen. Sie haben meiner Meinung nach bis ins kleinste Detail Recht. Trotzdem ist dies Allens schlechtester Movie ever. Sorry. Ich habe sie allen gesehen (es sind inzwischen über 50!) In Deutschland und in USA gibt es Kritiker die den Film einfach nicht gut, gar schlecht finden. Ich bin aber ein Fan. Und ich erwarte von einen Woody Allen Film ausser künstlerische auch moralische Inspiration. Etwas Humor kann auch nicht schaden, von mir aus Ironie oder Sarkasmus. Aber es kommt nichts dergleichen! Wer möchte die (sicher Oscar verdächtige) Cate Blanchett in so eine Rolle sehen? Nun ist Herr Allen vielleicht am Ende seiner Karriere? Nach den absolut brillianten Midnight in Paris hätte ich das nicht gedacht. Beim nächsten Film muss ich wohl zuerst das FAZ Feuilleton befragen bevor ich mich zwei Stunden im Bambi ärgern muss.