Blick in den Abgrund

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Das Böse verbirgt sich hinter Normalität

Barbara Eder hat mit sechs Profilern und forensischen Psychologen gesprochen. Sie hat sie begleitet und trägt mit Blick in den Abgrund dazu bei, die Kluft zwischen Realität und Fiktion zu überwinden. Dass es in den Köpfen der Menschen anders ist, zeigt ein Moment, als ein Taxifahrer die forensische Psychologin Helinä Häkkänen-Nyholm fragt, ob sie so jemand wie Jodie Foster in Das Schweigen der Lämmer sei, als er erfährt, was sie beruflich macht.
Es ist so ähnlich, aber eben auch ganz anders. Das zeigen die Fallbeispiele aus aller Herren Länder. Die Protagonisten mögen unterschiedliche sein, in Serie gemordet wird aber überall, ob in Südafrika, den USA oder auch Deutschland. In einer der eigentümlichsten Sequenzen dieses Dokumentarfilms begleitet man den Kriminalhauptkommissar Stephan Harbort im Zug. Dort spricht er den Tathergang eines Falles auf Diktaphon, ohne dass ihm bewusst wäre, wie irritierend das auf die Reisenden in seiner Umgebung wirkt.

Die Menschen, die sich für diesen Lebensweg entscheiden, sind ein ganz besonderer Schlag. Nicht jeder kann es ertragen, mit dem Bösen auf derart intensive Art und Weise in Kontakt zu kommen. Manche fühlen sich in die Gedankenwelt der Täter ein und nehmen etwas davon mit. Abzuschütteln, was man tagtäglich erlebt, ist die vielleicht größte Aufgabe, der sich Profiler stellen müssen. Ihre Arbeit verändert das Leben anderer, aber auch ihr eigenes. Es schult den Blick dafür, dass wir zwar in einer Zivilisation leben, uns dort aber nicht sicher fühlen dürfen.

Der Profiler aus Südafrika trägt dem Rechnung. Er hat in und um das Haus Sicherheitsanlagen und trägt immer eine 9mm bei sich, der Amerikaner, ein mittlerweile pensionierter FBI-Profiler, hat indes Tipps parat, wie man sich schützen kann. Hundegebell aufnehmen und es abspielen, wenn man den Anrufbeantworter bespricht, ist einer. Weil manche Täter bei ihren künftigen Opfern anrufen, um herauszufinden, wann sie zuhause sind. In Tiefgaragen niemals neben Kleinbussen parken, ein anderer. Weil es das bevorzugte Transportmittel von Entführern ist.

Nicht umsonst ist Blick in den Abgrund das wohl berühmteste Nietzsche-Zitat vorangestellt. Es hat in zweierlei Hinsicht Gültigkeit. In Hinblick auf die Profiler, die in ihrer tagtäglichen Arbeit in diesen Abgrund blicken und verhindern müssen, sich darin zu verlieren, aber auch für den Zuschauer selbst, dem mit diesem Film ein Stückweit die Augen geöffnet werden, was sich in den Schattenseiten dieser Welt wirklich tut. Wir leben alle nur in einem Dschungel, aber die Raubtiere sind als solche nur selten zu erkennen. Gerade das macht sie so gefährlich.

Blick in den Abgrund

Barbara Eder hat mit sechs Profilern und forensischen Psychologen gesprochen. Sie hat sie begleitet und trägt mit „Blick in den Abgrund“ dazu bei, die Kluft zwischen Realität und Fiktion zu überwinden.
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