Beyond the Bridge

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Leerstunden

Werner Herzog soll ja seine erste Kamera in München aus der HFF geklaut haben, lautet bis heute eine der Legenden um den nicht gerade an Legenden armen Regisseur. Mittlerweile predigt er selbst persönlich ausgewählten und zahlungskräftigen Youngstern innerhalb seiner Art von Lehrunterricht dieselben Schurken-Methoden im Rahmen der so genannten „Rogue Film School“. Nur nicht zu jung und nur nicht zu unerfahren sollten die Teilnehmer sein, erklärte Herzog kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung seine eigenen Aufnahmekriterien. Den Rest werde er ihnen schon selbst beibringen — zum Beispiel wie man Autos knackt oder als Filmemacher in Sex-Clubs an den Türstehern vorbeikommt.
Ob nun der junge Schweizer Filmemacher Daniel Peter Schenk, Jahrgang 1984, unter Herzogs Gnaden aufgenommen werden würde, ist soweit nicht bekannt. Obwohl er sich – wie der mittlerweile übergroße deutsche Regiealtstar – als Autodidakt und Überzeugungstäter in Sachen Film versteht. Nach seinen ersten beiden komödiantischen Fingerübungen A Gamer’s Day und The Cheat Report für die internationale Netzgemeinde – beide aus dem Jahre 2006 –, legt er nun via erfolgreicher Kickstarterkampagne seinen Erstling vor: Also nichts weniger als das eminent wichtige Langfilmdebüt in beinahe jeder Karriere eines ambitionierten Filmemachers, ob nun als größenwahnsinniger Hochschulabsolvent oder aufgeheizte Learning-By-Doing-Ein-Mann-Fabrik. Immerhin gut 10.000 Euro Startkapital hat er für Beyond the Bridge zusammengetrommelt, unterstützt unter anderem durch eine starke Facebook-Präsenz und überzeugendes Eigenmarketing.

Filmemachen anno 2012, als er begann jenes Film-Projekt konkreter anzugehen, geht eben heutzutage durchaus auch mal anders: Vorbei an klassischen Fördergremien, Sendern und Produktionsfirmen. Außerhalb des Radars sozusagen, fernab des immensen Outputs weiter wuchernder Medien- und Filmhochschulen. Ein Axel Ranisch hatte beispielsweise 2011 mit gerade einmal 517 Euro für Sprit und Catering begonnen, Dicke Mädchen zu drehen: einen überdrehten German-Mumblecore-Streifen , voller Kreativitätsfunken. Und – naturgemäß bei Ranisch – mit mindestens 517 weiteren Drehbuchideen und Szenenskizzen für ein und dasselbe Filmprojekt.

Geist schlägt also stets den schnöden Mammon? Ja, das ist durchaus möglich, wenn man denn so viele Ideen wie Ranisch hat. Davon kann wiederum im fiktionalen Kosmos des David P. Schenk keine Rede sein. Es reicht eben nicht, eine junge Frau namens Marla Singer – gespielt von Schenks Schwester Maya – einfach nur in das imposante Haus ihrer verstorbenen Eltern zurückkehren zu lassen: Dieses will sie nämlich rasch in eben jenen Mammon umwandeln – und dann? Ja, was passiert hier eigentlich? Eine (betont schweizerische?) brave Partycrowd schlittert in das Anwesen der neuen Eigentümerin, um mit ihr gemeinsam zu feiern – und ein wenig auch den Verlust ihrer Eltern wettzumachen. Schnell kursieren die ersten Drogen, vertickert vom Dorfdealer Jean (gespenstisch blass: Jean-Noël Molinier). Es kommt, was scheinbar kommen muss (warum eigentlich?): Das Mädchen kotzt, die Party ist aus.

Der Albtraum beginnt… Doch nicht einmal der beginnt hier richtig… Überhaupt beginnt in diesem wüsten Indie-Film nie wirklich etwas. Nach einem durchaus passablen, aber schließlich lediglich einminütigen Nicolas-Winding-Refn-Gedächtnis-Auftakt, zerfranst Daniel P. Schenks wüster „Generation What?“-Film ungewöhnlich flott in unzählige Irrwege: wohl unfreiwillig, dies aber sehr konsequent. Ein bisschen Blair-Witch-Project-Hokus-Pokus hier, ein wenig, aber wirklich nur ein wenig surrealer David-Lynch-Grusel da: Aus die Maus. Doch Schenks Film ist da noch lange nicht aus — oh, Schreck!

Als der Jungregisseur dann auch noch versucht, möglichst jugendsprachliche Dialog-Sequenzen mit Marlas Exfreund Eric in prickelnde emotion pictures – schließlich spricht man durchgehend Englisch im Film – umzusetzen, bleibt dem Betrachter die Spucke weg und er wird selbst ohnmächtig angesichts jenes kruden Dilettantismus. Gerade auch weil Thomas Koch jenen boyfriend mit genau einem Gesichtsausdruck in knapp zwei Stunden spielt: No more words, please.

Im Vergleich zum beispielsweise mit deutlich mehr Geld (100.000 Euro), aber eben auch deutlich mehr Spleens realisierten, nächtlich-düsteren Techno-Schranz-Psycho-Burner von Akiz (Der Nachtmahr) mit einer ebenfalls psychosomatisch gefährdeten Protagonistin – Typ Szene-Girlie –, tun sich hier unweigerlich ganz andere filmische Welten auf. Ganze Universen, galaktisch weit voneinander entfernt, scheinen zwischen beiden Filmen zu liegen… Kurzum: Zum Wohle des Debütanten endet diese Kritik genau an dieser Stelle. Punkt.

Beyond the Bridge

Werner Herzog soll ja seine erste Kamera in München aus der HFF geklaut haben, lautet bis heute eine der Legenden um den nicht gerade an Legenden armen Regisseur. Mittlerweile predigt er selbst persönlich ausgewählten und zahlungskräftigen Youngstern innerhalb seiner Art von Lehrunterricht dieselben Schurken-Methoden im Rahmen der so genannten „Rogue Film School“.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Tobias Leveringhaus · 01.07.2016

Leider versteht der Autor dieser Kritik, welche eigentlich ja gar keine Kritik ist, weil er sich weigert, in die Tiefe zu gehen, diesen Film nicht. Oder er hat den Film ohne Untertitel (mittlerweile in englisch, deutsch, spanisch, französich und russisch erhältlich) gesehen und kann kein Englisch. Ich verstehe nicht, warum er die Genialität des Werks nicht mit einem Vergleich des allzu Offensichtlichen beginnt: Dem Namen des Hauptcharakters, Marla Singer. Die Liebe des Filmemachers zu David Finchers "Fight Club" ist, auch in der Filmsprache, unübersehbar. Die Kameraarbeit eines Robert Staffl sucht dabei seinesgleichen und ist mit der eines der Newcomer, Max Tsui (DARTH MAUL: Apprentice - A Star Wars Fan-Film), ebenbürtig. Ich weiß nicht, ob es dem Alter des Kritikers geschuldet ist, dass er altbackende Dogma95-Klischees bedient, um diesen Film zu bewerten. Eine Nähe zu Werner Herzog ist genauso unangebracht wie ein Vergleich von Fincher mit Dieter Pröttel, der immerhin mit "Die Supernasen" mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger (trotzdem Topfilm!) einen Kinoerfolg landete. Vielmehr ist der Autor ein Beleg dafür, was falsch läuft im deutschsprachigen Kino. So gut "Der Nachtmahr" auch ist, im Vergleich zu der zehnfachen (!) Finanzierungsumme ist "Beyond the Bridge" durchaus vergleichbar. Der Nachtmahr aber zielt eher auf ein Publikum mit den Sehgewohnheiten der 90er ab, "Beyond the Bridge" geht aber tiefer und fordert den Zuschauer im Jahr 2016. Deshalb habe ich auch beschlossen, ihn auf meinem Kino-on-Demand-Portal www.kinoflimmern.com auszuwerten. - Tobias Leveringhaus, Sodawasser Pictures