BErliN (Ben Berlin) - Aus diesem Trallala kommst du nicht raus

Eine Filmkritik von Olga Galicka

Dieses Trallala haben wir gebraucht

Ben Wagin ist ein Berliner Original, gewissermaßen eine besondere Spezies, die vom Aussterben bedroht ist. Ben Wagin ist 85 Jahre alt und bestimmt bis heute mit vielerlei Projekten und Initiativen das politisch-kulturelle Leben Berlins. Hier entfaltet sich jedoch auch die Tragik von Wagins Situation, denn im modernen Berlin wissen immer weniger Menschen, wer er überhaupt ist. Dabei könnte man viele wichtige Projekte aufzählen, für die Wagin höchstpersönlich verantwortlich ist. Trotz seines fortgeschrittenen Alters plant und organisiert Wagin stets weitere Projekte und Initiativen. In Pantea Lachins und Sobo Swobodniks Film BErliN (Ben Berlin) — Aus diesem Trallala kommst du nicht raus kommt er selten zur Ruhe, meist nur, um etwas zu erzählen, aus seinem Leben oder über die Welt, wie sie ist, und was ihm sonst noch in den Sinn kommt.
Zu Wagins Arbeiten gehören unter anderem diverse Ginko-Bepflanzungen in Berlin sowie das Anbringen von Gedenksteinen gegen den Nationalsozialismus. Seine Projekte sind immer politisch motiviert und sollen die Umgebung zum Denken und Reflektieren anregen. Ebenso setzt er sich für den Erhalt der Natur ein. Diese beiden Leidenschaften verbinden sich in Wagins Herzensprojekt – dem Parlament der Bäume. Es ist ein Gedenkort entlang des ehemaligen Todesstreifens, direkt gegenüber dem Reichstagsgebäude. Dort werden Gedenksteine, Bilder und Plakate angebracht und Aktionen durchgeführt, außerdem kann man Teile der Grenzsicherungsanlagen besichtigen. Das Areal selbst ist mit Bäumen und Blumen bepflanzt. Das Parlament der Bäume wird von Schulklassen besucht. Kinder können sich bei der Bepflanzung des Areals engagieren. Die Bildungsfunktion des Areals ist ein wichtiger Teil seiner Existenz.

Wagin duzt beim Erzählen kategorisch seine Ansprechpartner, egal um wen es sich handelt. Er ist ein ungewöhnlicher Charakter. Mal ist er berlinerisch rau, mal nachdenklich und verletzlich. Es steht für ihn jedoch immer der Freiheitsgedanke im Vordergrund. Dass man durch sein eigenes Schaffen und seine Ideen Dinge verändern kann, ist ihm ein Anliegen. Doch wenn er irgendwann seine Arbeit nicht mehr machen kann, ist nicht klar, wer an seine Stelle tritt. Man braucht jemanden, „den das Ganze wirklich interessiert, der das Ganze auch ernsthaft will“. Solche Kandidaten sind im modernen, hektischen Berlin eher schwer zu finden.

Es sind die Orte, die sich um Wagins Leben kreisen, auf die die Filmemacher Lachin und Swobodnik besonderen Wert legen. Gewissermaßen wird hier ein Bild von Wagins Verwurzelung mit der Stadt gezeichnet, die er 1955 als seine Wahlheimat ausgesucht hat. Auch er ist eine Art Gewächs, das sich in Berlin ausgebreitet und seine Spuren hinterlassen hat. Das Parlament der Bäume ist so eine Spur, die jedoch zunehmend in seiner Existenz bedroht ist. Immer stärker stellt sich im Verlaufe des Films die Frage, wie es um die Zukunft des Areals steht. Um sein Zuhause an der S-Bahn-Station Am Tiergarten, ein eigentlich recht lauter und turbulenter Ort, herrschen noch Ruhe und Ausgewogenheit, die jedoch immer mehr zu schwinden scheinen. Diese bedrohliche Stimmung nebst stillen Momenten, in denen Ben Wagin sich und seinen Gedanken überlassen scheint, vermögen Swobodnik und Lachin recht gut mit Handkameras und Alltagsbeobachtungen, einzufangen. Es sind stimmungsvolle Bilder, die die beiden Filmemacher mit nur wenigen technischen und musikalischen Hilfsmitteln kreieren.

Umso befremdlicher wirkt deswegen der komplett in sterilem Schwarz-Weiß gehaltene Talking-Heads-Teil des Filmes. Hier kommen viele Prominente zu Wort, die Wagins Weg in Teilen mit ihm bestritten haben. So zum Beispiel die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Gütters oder der ehemaliger Bundesumweltminister Klaus Töpfer. Die prominenten Beiträge sollen sicherlich die Wichtigkeit von Wagins Tun ein weiteres Mal unterstreichen. Doch diese hätte man nach all den persönlichen Eindrücken aus Wagins Leben und Arbeit überhaupt nicht mehr gebraucht. Sie entkräften den künstlerischen Anspruch des Films und damit auch den künstlerischen Anspruch Wagins an das ganze Leben. Er hat versucht, überall da Kunst zu schaffen, wo andere Menschen sie nicht zu sehen vermögen. Diesen Antrieb Wagins in kühlen Interviewaufnahmen zu verdeutlichen, ist eine recht zweifelhafte Strategie. Wenn es die Talking Heads überhaupt geben muss, dann vielleicht doch vor einem natürlichen Hintergrund. So wirken sie vielmehr als gekünstelter Störfaktor.

BErliN (Ben Berlin) — Aus diesem Trallala kommst du nicht raus ist dennoch ein wichtiger Film. Denn es geht hier – wie zuletzt schon in Hans Steinbichlers Eine unerhörte Frau, nun jedoch auf dokumentarischer Ebene – darum, was ein einzelnes Individuum innerhalb der Gesellschaft bewirken kann. Wenn der insbesondere zum Ende klein und beinahe gebrechlich wirkende Wagin es immer noch schafft, Ausstellungen zu eröffnen und Menschen für Projekte in Bewegung zu setzten, dann muss man sich fragen, was man als Individuum neben seinem privaten Trott noch schaffen könnte. Anstatt die nächste Initiative resigniert zu ignorieren, weil es ja doch nichts bringt, könnte man sich auch engagieren, für etwas einstehen. Doch in der immer schneller werdenden Welt ist das natürlich schwierig. Man müsste die eigene wertvolle Zeit dafür aufgeben. Und man müsste sich immer wieder gegenüber Abgeordneten und Behörden behaupten. Dann würde man auch merken, dass Menschen wie Wagin nicht etwa bewundert, sondern immer noch zumeist belächelt werden.  

BErliN (Ben Berlin) - Aus diesem Trallala kommst du nicht raus

Ben Wagin ist ein Berliner Original, gewissermaßen eine besondere Spezies, die vom Aussterben bedroht ist. Ben Wagin ist 85 Jahre alt und bestimmt bis heute mit vielerlei Projekten und Initiativen das politisch-kulturelle Leben Berlins. Hier entfaltet sich jedoch auch die Tragik von Wagins Situation, denn im modernen Berlin wissen immer weniger Menschen, wer er überhaupt ist..
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