Bella e perduta - Eine Reise durch Italien (2015)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Die Tränen des Büffels

Ein merkwürdiger, melancholischer Zauber entfaltet sich in Pietro Marcellos Bella e perduta. Er hängt an der Landschaft und ihrer Vergänglichkeit. Im Kern ist der Film eine wehmütige Kritik am Zerfall von Geschichte und Natur. Er beklagt die Gleichgültigkeit einer Gesellschaft und Politik gegenüber diesem Verfall. Dabei verliert der Film nie das Geheimnis, das er in sich trägt und das bis zum Ende große Faszination ausübt. Wie das so ist im besseren zeitgenössischen italienischen Kino, muss es auch ein Film über Italien und seine Politik sein. Jedoch gibt es heute nicht viele Filmemacher in diesem Land, die so gekonnt das Politische und Poetische verzahnen.

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Der Film folgt dem Büffel Sarchiapone durch die Provinz Caserta nahe Neapel. Das erinnert bisweilen an Robert Bressons Esel in Au hasard Balthazar ist aber deutlich sentimentaler und verspielter, was sich nicht zuletzt in den faszinierenden Einstellungen aus Sicht des Büffels und eines Voice Overs des Tieres — gesprochen von Elio Germano — äußert. Bereits die erste Einstellung aus Sicht eines Tieres lässt einen die Welt im wahrsten Sinne des Wortes durch andere Augen sehen. Eigentlich hatte Bella e perduta als Dokumentation über Tommaso Cestrone („L’angelo di Carditello“) begonnen, einen Hirten, der sich freiwillig dazu bestimmte, den von Staat und Leuten ignorierten Palast von Carditello vor dem Verfall zu bewahren. Ein Beschützer, so wie es viele Beschützer und Bewahrer in diesem Film gibt. Doch während des Drehs starb Cestrone an Weihnachten plötzlich und unerwartet. Marcello entschloss sich, seine sowieso schon poetische Dokumentation mit einer gehörigen Portion Fiktion anzureichern. Es entsteht ein Mosaik, das sich geschichtlich, mythologisch, dokumentarisch, politisch, poetisch und jederzeit verspielt seinen Subjekten nähert. Am ehesten kann man den Film mit einigen Arbeiten Pasolinis oder aber der Arabian-Nights-Trilogie von Miguel Gomes vergleichen. Man spricht im zeitgenössischen Kino ja gerne von Hybridformen, übersieht dabei aber oft, dass jeder Film ein Hybrid zwischen Dokumentation und Fiktion ist.

Der Büffel gehörte einst Cestrone und wird in der Folge von der Commedia dell`Arte-Figur Pulcinella (der den Toten zuhört, um mit den Lebenden zu sprechen) durch das Land geführt. Es ist ein spiritueller Trip, eine Art Roadmovie, in dem die beiden immer wieder auf Figuren treffen, die zunächst dokumentarisch eingeführt werden. Man denkt dabei fast an einen Film von Raymond Depardon. Man sieht Landwirte bei der Arbeit. Aber dann werden sie plötzlich zu fiktionalen Figuren und spielen Szenen mit Pulcinella, der über weite Teile des Films eine Maske mit Hakennase trägt. Man spürt in diesem Vorgehen eine ungeheure Freiheit, die man sonst sehr oft vermisst im Kino. Marcello gelingt es in der Folge diese nur scheinbar divergenten Elemente hin zu einer wehmütigen Klage zu verdichten. Es ist ein Film für die Geschichte und die Natur, es geht auch um die Vermischung von Natur und Geschichte. Was ist hier verloren, was ist hier schön? Ist Schönheit verloren gegangen oder ist das Verlorene schön beziehungsweise das Schöne verloren? Anhand dieser Emotionen hangelt sich der Film hin zu einem Bild, das einen tief im Herzen bewegt. Ein Büffel wird in einen Laster gezwängt, er wehrt sich, er will nicht sterben. Zuvor hat er die Frage gestellt, wann die Menschen endlich verstehen würden, dass sie nicht die einzigen sind, die eine Seele haben. Schließlich steht er verloren in seinem Schicksal im Laster. Die Kamera wartet ganz ruhig neben ihm. Der Anhänger wird verschlossen, sodass nur noch wenig Licht auf das schwarze Fell des Tieres fällt. Marcello schneidet in eine Nahaufnahme der Augen des Tieres und wir sehen tatsächlich eine Träne aus den Augen kullern. Eine Träne, die man in ihrer verlorenen Schönheit nicht ignorieren kann.

Nun kann man sagen, dass eine Botschaft wie „Tiere haben auch eine Seele“ nicht besonders neu ist. Allerdings geht es dem Film nicht um eine solche isolierte Aussage. Er stellt vielmehr fest, dass die Seele ein Teil aller Elemente ist, die in dieser Region in Ruinen liegt. Im Palast finden sich Fresken von Büffeln, die auch in anderen Sequenzen eine große Bedeutung des Tieres für die Region verraten. Die Region hat diese Schätze nicht nur lange Zeit vergessen, sondern durch Giftmüllskandale und illegale Müllverbrennungsanlagen wurde diese Schönheit sogar missbraucht.

Man muss also endlich wieder lernen, den Toten zuzuhören, um mit den Lebenden zu sprechen. Selbst wenn Bella e perduta ab und an in sentimentale, von Zeitlupen und epochaler Musik untermalte Didaktik verfällt, trägt sich ein Bewusstsein für die Welt, in der wir leben, durch den Film, das versteht, dass es das eine nicht ohne das andere geben kann. Am Ende des Films steht eine Fiktion, die eine Möglichkeitsform erzählt, und die Tränen des Büffels und all der Bewahrer trocknen lassen würde. Der noch größere Wert von Marcello liegt jedoch darin, dass er zeigt, dass es ein selbstbewusstes, ungewöhnliches Kino gibt, das sich nicht um Konventionen schert und dennoch emotional sein kann und darf.
 

Bella e perduta - Eine Reise durch Italien (2015)

Ein merkwürdiger, melancholischer Zauber entfaltet sich in Pietro Marcellos „Bella e perduta“. Er hängt an der Landschaft und ihrer Vergänglichkeit. Im Kern ist der Film eine wehmütige Kritik am Zerfall von Geschichte und Natur. Er beklagt die Gleichgültigkeit einer Gesellschaft und Politik gegenüber diesem Verfall. Dabei verliert der Film nie das Geheimnis, das er in sich trägt und das bis zum Ende große Faszination ausübt.

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Meinungen

johannes maximilian mueller · 04.03.2016

der definitive film über uns, über alles was wir nicht hören, was nicht sehen, was wir nicht spüren wollten aber : was wir unter lächeln und unter tränen und unter beugen anerkennen: ein büffelkalb und ein diener, zwei diener nehmen uns in ihre arme und sehen uns an.