Art War

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Kunst als Waffe

Ägypten ist aufgrund der Vorkommnisse in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Davon zeugt auch das enorme Interesse des Dokumentarfilms an der Situation im Land. Vor kurzem erst hatte sich Freedom Bus von Fatima Geza Abdollahyan mit dem schwierigen Prozess der Demokratisierung im Land am Nil befasst. Marco Wilms schreibt nun mit Art War eine andere Geschichte der jüngsten Ereignisse, indem er den Zeitraum der letzten zwei Jahre aus der Sicht junger Künstler schildert, die sich mit ihren Mitteln und unter großen Gefahren die Straße und den öffentlichen Raum mühsam zurückerobern.
Schon immer, seit dem Zeitalter der Pharaonen, so setzt der Film mittels eines Erzählers ein, habe es in Ägypten die Eigenart gegeben, dass die Menschen ihr Leben in Bildern auf die Wände bannen, dass Mauern dazu benutzt werden, Auskunft zu geben über das eigene Befinden und die Zeit, in der man lebe. Diese uralte Kultur sei aber während des Regimes Husni Mubaraks weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden; erst mit der Revolution, die den früheren Präsidenten aus dem Amt fegte, hätten sich junge Künstler wieder nach draußen gewagt, um mittels Street Art und Graffitis ihre neue Freiheit auszudrücken und zu bewahren — als künstlerischen Akt der Freiheit und des Aufbegehrens gegen die alten und neuen autoritären Kräfte im Lande.

Art War erzählt die Geschichte der Revolution und Konterrevolution seit 2011 vor allem als künstlerische Emanzipationsgeschichte und zeichnet dabei ein ebenso faszinierendes wie schlüssiges Bild der ägyptischen Jugend. Dabei hatte Marco Wilms ursprünglich eigentlich einen ganz anderen Film geplant, in dessen Mittelpunkt der in Deutschland bekannte Hamed Abdel-Samad stehen sollte, der hierzulande vor allem als Beifahrer in Entweder Broder — Die Deutschland-Safari bekannt ist.

Zwar ist Abdel-Samad immer noch einer der Protagonisten, doch nun eben nicht mehr der alleinige Fokus. Dennoch steht er in einigen besonders eindrücklichen Szenen im Mittelpunkt. So etwa, wenn er anscheinend gedankenlos ein Hoodie mit einem stilisierten Teufelskopf und der Aufschrift „God is busy. Can I help you?“ auf der Straße trägt und daraufhin von mutmaßlichen Mitgliedern der Muslimbruderschaft beinahe gelyncht wird. Später wird sich die Situation für den kritischen Geist weiter zuspitzen, wie der Film zeigt und wie es auch in Deutschland in den Medien zu lesen war. Aus Verärgerung über Abdel-Samads Äußerungen über die Muslimbruderschaft, der er bei einem Vortrag „islamischen Faschismus“ vorwarf, rief Assem Abdel Meguid, ein treuer Gefolgsmann Mohammed Mursis, via Internet und Fernsehen zum Mord an dem Publizisten auf. Die Fatwa ist kein Einzelfall, immer wieder zeigt der Regisseur nicht nur die Künstler, sondern auch die vom Hass verzerrten Gesichter religiöser Fanatiker, die häufig so übertrieben in ihrer Wut und ihrem Sendungsbewusstsein wirken, dass man in manchen Momenten beinahe schon die Performance eines subkulturellen Künstlerkollektivs hinter den bizarren Auftritten vermutet.

Bei den Recherchen vor Ort in Kairo begegnete Wilms dann dem Künstler Ganzeer und taucht über ihn in die sich entwickelnde Subkultur Kairos ein. Sprayer, HipHopper, Rockmusiker mit revolutionären Texten und Graffiti-Künstler, eine provokative Sängerin mit sexuell expliziten Lyrics — das Bild der ägyptischen Jugend, das Wilms zeichnet, könnte nicht unterschiedlicher von dem sein, was wir heute von den Medien über das Land vermittelt bekommen.

Es sind vor allem fünf junge Menschen, auf die sich Marco Wilms konzentriert: Neben Hamed Abdel-Samad und den Künstlern Ganzeer und Ammar sind es der Musiker Ramzy sowie die Sängerin Bosaina und ihre Band Wetrobots, die immer wieder auftauchen und deren Erlebnisse im Verlauf von zwei Jahren der Film überwiegend chronologisch begleitet. Texttafeln geben einen kurzen Überblick über die aktuelle politische Lage, so dass die zeitliche Orientierung und die Einordnung in den jeweils aktuellen Stand der politischen Lage jederzeit auch ohne intime Kenntnisse der jüngsten ägyptischen Geschichte mühelos gelingt. Trotz dieser vergleichsweise einfachen Erzählweise ist Art War aber äußerst spannend und entwickelt trotz zweier kleiner Hänger einen Sog und eine Energie, die die Leidenschaft der jungen Künstler direkt auf den Zuschauer überträgt. Prädikat: Überaus empfehlenswert!

Art War

Ägypten ist aufgrund der Vorkommnisse in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Davon zeugt auch das enorme Interesse des Dokumentarfilms an der Situation im Land. Vor kurzem erst hatte sich „Freedom Bus“ von Fatima Geza Abdollahyan mit dem schwierigen Prozess der Demokratisierung im Land am Nil befasst.
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