Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft

Eine Filmkritik von Claire Horst

Die Hoffnung stirbt zuletzt – und wenn es 30 Jahre dauert

Ein Film, der zu Herzen geht – bei der Premiere auf dem kalifornischen Sundance-Festival sollen sich zahlreiche Zuschauer die Augen gewischt haben. Das scheint zunächst kaum nachvollziehbar, schließlich ist es die Geschichte einer erfolglosen kanadischen Metalband, die hier erzählt wird. Ein Randgruppenfilm also, ein Film für Metalfans? Auf gar keinen Fall! Anvil! ist ein Film über eine tiefe Freundschaft und über das Festhalten an der Hoffnung gegen alle Widerstände. Das berührt auch, wenn man mit Musik gar nichts am Hut hat.
Steve „Lips“ Kudlow, 51, arbeitet als Fahrer für eine Firma, die Kindergärten mit Essen beliefert. Doch eigentlich ist er Musiker. Seit 1973 spielt der Gitarrist und Sänger mit seinem besten Freund Robb Reiner, einem Schlagzeuger, in der Metalband Anvil, die in den achtziger Jahren eine kurze Phase des Ruhmes erleben durfte. Mit Bands wie Whitesnake, Bon Jovi und den Scorpions traten sie damals auf großen Festivals auf – und verschwanden völlig unbemerkt in der Versenkung, während ihre Kollegen immer erfolgreicher wurden.

Archivmaterial zeigt die Band auf dem Superrockfestival 1984 in Japan vor tobenden Fans, und in der nächsten Einstellung fährt Lips im heimatlichen Toronto Essen aus. Das weckt Erinnerungen an einen anderen Dokumentarfilm: Auch This is Spinal Tap, die berühmte Mockumentary über eine fiktive Rockband, erzählte eine ähnliche Geschichte. Der Name des Regisseurs: Rob Reiner. Ist Anvil! also ein weiterer Fake?

Weit gefehlt: Nur zu bekannte Persönlichkeiten aus der Metalwelt sprechen verehrende Worte in die Kamera von Regisseur Sacha Gervasi. Keine Geringeren als Scott Ian von Anthrax, Lemmy Kilmore von Motörhead, Lars Ulrich von Metallica und Slash von Guns’n Roses erklären ihre Bewunderung für Anvil, die sie als Vorbild bezeichnen. Warum die so einflussreiche Gruppe plötzlich vergessen wurde, kann sich keiner von ihnen erklären. Schlechtes Management, zu wenig Ego, vermuten sie.

Und tatsächlich: Besonders Lips erscheint als begeisterungsfähiger und aufbrausender Naivling, zu gut für diese Welt und jede Art von Karriere. Dass er die Schule abgebrochen hat, um Rockstar zu werden, versteht niemand in seiner Familie. Und doch halten sie alle zu ihm. Oft unter Tränen erzählen seine Ehefrau, seine Mutter und Schwester von den Schwierigkeiten, die das Leben mit ihm bringt. „Irgendjemand muss ja auch Geld verdienen und sich um das Kind kümmern“, sagt seine Frau. Trotzdem unterstützen sie ihn, auch wenn sie kaum noch glauben, dass sein Traum jemals Wirklichkeit wird.

Sacha Gervasi, erklärter Fan und ehemaliger Roadie von Anvil, hat die Band über Jahre begleitet und auch ihre nach Jahrzehnten erste Europatour gefilmt. Die Freude ist groß: Endlich soll die Weltkarriere beginnen, endlich werden die Musiker die Anerkennung erhalten, die sie längst verdient hätten. Doch in Europa zeichnet sich eine Enttäuschung nach der anderen ab. Tiziana Arrigoni ist als Managerin heillos überfordert, Anvil verpasst Züge, findet Konzerträume nicht, wird von Barbesitzern geprellt. Ihre Gigs finden entweder in winzigen Kellerräumen statt oder im Vormittagsprogramm großer Festivals.

Bald darauf heißt es wieder Essen ausfahren. Doch, und das macht die Faszination des Films aus, Lips und Robb geben nicht auf. Irgendwann werden wir es schaffen, davon sind sie fest überzeugt. Ihre Liebe zueinander und zur Musik, an die sie glauben, lässt sie seit unglaublichen 26 Jahren immer weitermachen. Tragisch erscheint dieses Beharren manchmal, man ertappt sich dabei, ihnen die Daumen zu drücken und Stoßgebete zum Himmel zu senden: Bitte, lass auf dem nächsten Konzert mehr als 15 Gäste erscheinen! Urkomisch und tieftraurig, spannend und berührend, absurd und todernst sind die Anstrengungen von Lips und Robb. Es bleibt keine andere Wahl, als die beiden Musiker ins Herz zu schließen, selbst wenn man ihrem eher mittelmäßigen Metal nichts abgewinnen kann.

Und so kann auch Lips‘ Schwester nicht anders, als ihnen Geld für ihr nun schon 13. Album zu leihen. Damit engagieren sie den legendären britischen Produzenten Chris Tsangarides, der mit Bands wie Black Sabbath, Ozzy Osbourne, Judas Priest und New Model Army gearbeitet hat. Und wieder keimt die Hoffnung auf: Jetzt muss es einfach klappen.

Die Streitereien zwischen den beiden Köpfen der Band sind streckenweise kaum zu ertragen. Bis aufs Blut wird gestritten – bis der eine dem anderen mit tränenerstickter Stimme eine Entschuldigung anbietet. „An wessen Schulter soll ich mich denn ausweinen, wenn nicht an deiner? Ich liebe dich, du bist mein bester Freund.“ Tränen fließen nicht zu wenige – sowohl auf als vor der Leinwand.

Allein dafür, für diese Emotionalität, für ihr unglaubliches Durchhaltevermögen und die unzerstörbare Hoffnung, die sie ausstrahlen, gönnt man der Band die größte Weltkarriere seit Metallica. Und das gilt auch dann, wenn man ihre Musik nicht mag – die zugegebenermaßen nicht einmal jeden Metalfan überzeugen wird.

Umso schöner, dass der Film schon erste Erfolge nach sich gezogen hat. Nachdem er auf dem Sundance-Filmfestival 2008 mit großem Lob überschüttet wurde und zahlreiche Auszeichnungen erhielt (unter anderem wurde er von der International Documentary Association als bester Dokumentarfilm 2009 ausgezeichnet), tourt die Band nun in den USA, Australien und Europa – im Vorprogramm von AC/DC.

Und die Parallelen zu This is Spinal Tap? Sacha Gervasi sagt dazu: „Mein Gedanke war, das Stereotype stark zu machen, der Anfang erinnert deshalb an This is Spinal Tap, und dann die Zuschauer zu überrumpeln und alles auf eine komplett andere Ebene zu bringen… Der Film würde so oder so mit Spinal Tap verglichen werden… So beschlossen wir, offensiv damit umzugehen.“ Eine reale Band, die genug Selbstironie besitzt, um eine fiktive zu kopieren – das hat Stil!

Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft ist die Entdeckung des Jahres, ein grandioser Film über Freundschaft und eine Hoffnung, die niemals stirbt, ein Film, der Mut macht, niemals aufzugeben.

Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft

Ein Film, der zu Herzen geht – bei der Premiere auf dem kalifornischen Sundance-Festival sollen sich zahlreiche Zuschauer die Augen gewischt haben. Das scheint zunächst kaum nachvollziehbar, schließlich ist es die Geschichte einer erfolglosen kanadischen Metalband, die hier erzählt wird. Ein Randgruppenfilm also, ein Film für Metalfans? Auf gar keinen Fall! „Anvil“ ist ein Film über eine tiefe Freundschaft und über das Festhalten an der Hoffnung gegen alle Widerstände. Das berührt auch, wenn man mit Musik gar nichts am Hut hat.
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