An Education

Eine Filmkritik von Tomasz Kurianowicz

Der wandernde Jude

Nach dem Film An Education muss sich wohl jeder, der bei Verstand ist, kräftig die Augen reiben und sogleich die Frage in den Raum werfen (oder in den Kinosaal schreien), ob man geträumt oder wirklich gesehen hat, was hier über die Filmleinwand flimmerte. Hat Nick Horny, der Schriftsteller von Erfolgsbüchern wie High Fidelity und About a Boy, tatsächlich das Drehbuch zu einem pseudo-moralischen und klischierten Film verfasst, der wie ein opulentes Lexikon abgeschmackter Feindbilder daherkommt? Oder ist da irgendwo die Ironie, der doppelte Boden, vielleicht sogar der geschmacklose, aber sicher nicht bös gemeinte Witz verloren gegangen? Nein, nein. An Education ist das, was es ist: ein mit verstörenden Stereotypen jonglierender Film, der in gutbürgerlicher Absicht gegen einen fiesen, archetypischen Sündenbock der abendländischen Geschichte zu Felde zieht: den Juden, den umtriebigen, rastlosen Juden.
Aber der Reihe nach: Was ist schon Schlimmes daran, wenn man für einen Film über Musik, Liebe, ein Mädchen, das den falschen Kerl trifft, Eltern, die in ihren drakonischen Erziehungsmethoden das rechte Maß überschreiten, dem eigenen Sprössling aber nur das Beste auf den Weg geben wollen, einen Juden als Anti-Helden wählt? Ein kapitalistisches Schlitzohr, das eine moralisch unbefleckte und jungfräuliche Schülerin vom rechten Weg abzubringen versucht? Ist es nicht Heuchelei, wenn man sofort die Antisemitismus-Keule schwingt, so als ob man innerlich vor Freude platzen würde, da! da! da! schon wieder einen dieser unterbewusst mitschwingenden Ethno-Klischees aufgespürt zu haben? Ist man selbst denn besser, „politisch korrekter“ und vorsichtiger im Umgang mit Schablonen? Hoffen wir’s mal.

Denn der Vorwurf der Abgeschmacktheit ist nur dann zu vertreten, wenn sich zeigt, dass das, was als Klischee daherkommt, – in diesem Fall: die Dekadenz und Charakterlosigkeit eines jüdischen Lebemanns — , eben nicht wahllos, sondern dezidiert als Schlüssel angeboten wird, um einen Schurken in seinen unmoralischen Motiven darzustellen, der aufgrund seiner charakterlichen und soziokulturellen Struktur nicht anders kann, als dem guten, reinen Mädchen den vergifteten Apfel anzubieten. (Metaphorisch gesprochen. In einer äußerst verstörenden Szene bietet David, der vorerst noch sympathisch gezeichnete Anti-Held und jüdische Bonvivant, seiner 17-jährigen, viel jüngeren Geliebten Jenny eine Banane an — mit dem Hinweis, er wolle ihr mit dem Obst die Jungfräulichkeit rauben.)

Jenny (Carey Mulligan) ist ein aufbrausendes, intelligentes Mädchen, das sich vom Londoner Nachkriegs-Puritanismus der 60er Jahre befreien will; flüchten vor einer stockkonservativen Familie und einem Vater, der alles verbietet, was Spaß macht: französische Musik, unkonventionelle Literatur, dieses ganze freigeistige Zeug. Stattdessen soll ihr nur eine Sache schlaflose Nächte bereiten: der Studienplatz in Oxford, auf den sich Jenny vorbereitet, damit sie es mal besser hat als der schwer arbeitende Vater. Doch bevor die 17-Jährige überhaupt in die Nähe einer universitären Aufnahmeprüfung kommt, lernt sie David (Peter Sarsgaard) kennen, einen gut aussehenden Mann Mitte 30, der ihr nach einer Orchesterprobe an einem kalten Londoner Regentag eine Spazierfahrt in seinem luxuriösen Sportwagen anbietet. David hat gute Manieren, präsentiert sich weltmännisch und hat ein Talent dafür, Menschen zu begeistern. Wie ein Narkotikum breiten sich seine Worte in den Köpfen seiner Zuhörer aus. Selbst der Vater erlaubt ihm das, was er sonst keinem Mann gestattet: nämlich Zeit mit seiner einzigen, fleißig lernenden Tochter zu verbringen. Diese wiederum beginnt das dekadente Leben, das ihr David präsentiert, unverblümt zu genießen: Sie geht auf Pferderennen, lässt sich auf eine Spritztour nach Paris ein, hört französische Musik, Jazz und partizipiert am gesellschaftlichen Leben Londons. Und was Mitschüler und Lehrer am meisten erschüttert: Jenny beginnt, die Schule zu vernachlässigen. Vielmehr hofft sie auf und ein gemeinsames Leben mit David, als Hausfrau und Mutter, mit Musik, Partys und einer bislang unbekannten Zügellosigkeit. Erst im Laufe der Handlung beginnt auch der Zuschauer zu ahnen, dass irgendetwas nicht stimmt mit diesem allzu perfekt gekleideten Gentleman, der dubiose Geschäfte mit Schwarzen macht (was einem ehrenvollen britischen Geschäftsmann niemals in den Sinn käme) und selbst vor kriminellen Handlungen nicht zurückschreckt: Etwa dann, wenn er mit Jenny und seinen Freunden nach Oxford fährt und einer alten Dame eine wertvolle Karte aus ihrem Landhaus stiehlt.

Die wie in einem Bildungsroman strukturierte Spannungskurve hat hier ihren Höhepunkt – die Fassade des jovialen Kultur- und Geistesmenschen beginnt zu bröckeln. Nun haftet Davids Worten etwas Fahles, Ruchloses und Scheinheiliges an, auch dann, wenn er sich für seine Taten rechtfertigt, indem er die bourgeoise Selbstgefälligkeit der englischen Oberschicht geißelt und seinem Leben eine zutiefst rebellische Haltung zudichtet. Im Leben, so Davids überzeichneter Offenbarungseid, gehe es schließlich um mehr als um Fleiß und Etikette; nämlich vor allem um Spaß. Das ist das Mantra des jüdisch-rebellischen Intellektuellen. Schlimm ist, dass die Motive des Bösen und Hinterhältigen in Davids jüdischer Biographik gesucht werden und auf Erklärungsmuster zurückgreifen, die exakt übereinstimmen mit jenen, die im letzten Jahrhundert von Autoren unterschiedlicher coleur zu Propagandazwecken instrumentalisiert worden sind: David hört Ravel (den Anti-Nationalisten) und spottet über Elgar (den Staatskomponist des British Empire), er beschäftigt sich mit Kultur, nicht um sie zu genießen, sondern um sie zu konsumieren (oder wie am Beispiel einer Gemälde-Versteigerung gezeigt wird: um sie zu verkaufen). Er ist der Wolf im Schafspelz, der wandernde Jude, ohne Heimat, ohne Charakter, gesellschaftlich nicht integrierbar.

Zum Schluss des Filmes, wo die Machenschaften des Heuchlers vollends an die Oberfläche gelangen, weiß man noch nicht mal mehr, ob sich in Nick Hornbys ungewöhnlicher Hetzjagd gegen Dekadenz und Freiheitsgeist ein unbewusster Angriff auf das Jüdische als Symbol des Kapitalistischen verbirgt, oder ob er, indem er dem Film jene spießbürgerliche Note verlieh, mit der sich abzeichnenden 68er-Bewergung abrechnen wollte, die nicht nur in England von Sittenwächtern als Keim für den Verfall bürgerlicher Ideale angeprangert wird. Man kann nur hoffen, dass kein Zuschauer den hier erhobenen Zeigefinger allzu ernst nimmt. Keine Angst, Jazz verdirbt nicht den Charakter, Reisen schadet auch einer 17-Jährigen nicht; und bitte: Spaß ist nichts, wofür man sich schämen muss. Auch nicht, wenn man sich auf einen Studienplatz in Oxford bewirbt.

An Education

Nach dem Film „An Education“ muss sich wohl jeder, der bei Verstand ist, kräftig die Augen reiben und sogleich die Frage in den Raum werfen (oder in den Kinosaal schreien), ob man geträumt oder wirklich gesehen hat, was hier über die Filmleinwand flimmerte. Hat Nick Horny, der Schriftsteller von Erfolgsbüchern wie „High Fidelity“ und „About a Boy“, tatsächlich das Drehbuch zu einem pseudo-moralischen und klischierten Film verfasst, der wie ein opulentes Lexikon abgeschmackter Feindbilder daherkommt?
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Jennifer · 15.03.2010

Ich habe so das Gefühl, dass Kritik von einigen, die diese ausüben, nur als Lizenz zum Niedermachen verstanden wird.
Wann hat man das letzte mal eine gute Kritik gelesen?
Deswegen sollte man diese hier nicht wirklich ernst nehmen.
Der Film war wirklich sehr gut gemacht und die Zeit war schön veranschaulicht!

franzien · 19.02.2010

Ich kann der Kritik nicht zu stimmen. Dem Kritiker ist offensichtlich der Sinn für Ironie abhanden gekommen. Denn der Film zielt meiner Meinung nach ganz bewußt auf die Klischees und spielt damit leichtfüßig und äußerst amüsant. Zu dem scheint allen Figuren nur zu sehr bewußt, wie tief sie selbst in ihren eigenen Klischees verwurzelt sind und wie schwer es ist, dem zu entfliehen. Ich kann diesen kleinen, aber feinen Film nur jedem ans Herz legen.

Charles · 18.02.2010

Also das Drehbuch stammt zwar von Nick Hornby, aber er hat sich die Geschichte (inkl. der Hauptpersonen) nicht ganz selbst aus den Fingern gesogen, sondern die Erinnerungen von Lynn Barber (Link siehe mein Nick) umgesetzt. Ist natürlich schade, wenn das Leben selbst Klischees bestätigt. Wobei ich mir durchaus immernoch Zuschauer vorstellen könnte, die jüdische Herkunft und individuelle Charakterausbildung nicht so stark assoziieren müssen...

Beate · 18.02.2010

Was für eine absurde Interpretation des Kommentators! Geht völlig an der Geschichte vorbei.Die ist einfach sehr klug, fein und leicht umgesetzt. Ein Genuss. Vor allem
auch die Schauspieler. Es stimmt alles. Ganz gewiss ist: der Kommentator kennt die
60er Jahre nicht.

Mike · 08.02.2010

Jetzt würde mich natürlich schon interessieren, wie es anonyme Kommentatoren "richtig" interpretieren würden ...

Anonymous · 08.02.2010

Völlig am Thema vorbei interpretiert. Will gar nicht wissen, was Sie aus "A Serious Man" alles rauslesen würden...