Als wir träumten

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Roh und fast schon wild

Als wir träumten, wussten wir gar nicht, dass wir eines Tages erwachen. Und dass sich die Bilder und Stimmungen von damals und heute erschreckend gleichen würden. Bilder wie die aus Leipzig im Jahre 2015. Menschen auf den Straßen mit Wut und Angst im Gepäck. Und dann natürlich die Erinnerungen an Leipzig 1989. Wieder diese Massen. Auch da die Wut und eine stille Angst, dass „Wir sind das Volk“-Rufe vielleicht auch nach hinten losgehen könnten. Es erscheint gar nicht zu kurz gegriffen, wenn man die friedlichen Demonstrationen der Wendezeit mit den heutigen Legida-Demonstrationen vergleicht. Weil sie eben in einer unrühmlichen Verbindung zueinander stehen. Der Schrei „Wir sind das Volk“ ließ die Mauer verschwinden, aber was wurde aus der Wut und der Angst? Verschwand sie auch oder wurde sie in der Folgezeit noch genährt? Als die Illusionen nach der Wende wichen, legten sie die Kälte und Haltlosigkeit einer neuen Zeit frei. Burhan Qurbanis Wir sind jung. Wir sind stark. spricht davon. Und auch — wenn auch wesentlich indirekter — Andreas Dresens Clemens Meyer-Verfilmung Als wir träumten.
Sie sind Freunde. Das waren Rico, Daniel, Paul und Mark schon immer. Als sie noch in die Grundschule gingen, hing hinten im Klassenzimmer ein Bild des obersten Genossen. Eine Kindheit in DDR-Farben. Weiße Hemden, dunkelblaue Hosen, Halstücher, Pionier-Emblem als Kokarde: „Allzeit bereit. Immer bereit.“ Doch jetzt ist das alles nicht mehr da. Jetzt ist eine andere Zeit angebrochen, andere Regeln, andere Kleidung, andere Logos.

Die Clique ist auch älter geworden. Teenager einer freien Welt. Ihnen gehört die Leipziger Nacht. Und dieses Leipzig nach der Wende ist gerade nachts besonders frei. Sie randalieren, klauen, trinken und träumen von ihrem eigenen Techno-Club. Alles scheint möglich, jeder Traum zumindest einen Atemzug wert. Denn diese Leipziger Nächte vergeben vieles. Aber nur so lange der eigene Traum sich einem anderen nicht in den Weg stellt. So wie dann Rico, Daniel, Paul und Mark einer anderen Gang in die Quere kommen. Eine Konkurrenz, die sich immer wieder brutal entlädt. Glatzen, Springerstiefel, böse Augen und eine verbotene Liebe bringen alle Figuren in existenzielle Not und testen die Freundschaft der Jungs immer wieder aufs Neue.

Roh und fast schon wild ist Als wir träumten geworden, vor allem für Dresen-Verhältnisse. Und diese Verhältnisse sind eben nicht ganz unwichtig. Denn Andreas Dresen dringt mit dieser Geschichte tief in ein Milieu ein, das sich eigentlich seiner Wohlfühlzone entzieht und das er zum letzten Mal in Nachtgestalten sachte streifte. Es geht um Sex, um Drogen, um ein kriminelles Nachtleben in versifften Techno-Clubs, um testosterongetränkte Machtproben und das Erwachsenwerden in Zeiten des Umbruchs. Dresen gliedert diese turbulenten Coming-of-Age-Eskapaden in Kapitel, die graphisch aufgepeppt wie Leuchtreklamen den Plot strukturieren.

Diese Episodenhaftigkeit kommt Dresens Regie sichtlich zugute, da er so einer stringenten Psychologisierung der Figuren (was er leider nicht so beherrscht) aus dem Weg gehen kann. Er reißt nur an, zeigt und erklärt nicht und genau in jenen Phasen treibt der Film uns wohltuend naiv vor sich her.

Allein die sehr ungeschickt eingesetzten Rückblenden stören dieses Treiben. Sie wirken nicht nur redundant, sie sehen auch aus, als wären sie einem fremden Film entlehnt. Die Klammer, die Dresen damit aufmacht (früher war das für die Kinder in der DDR so, jetzt ist es so) ist auch komplett unnötig und wirkt seltsam steif und unbeholfen. In einer dieser Rückblenden sitzen der kleine Rico und seine Grundschulliebe nebeneinander. Und sie sagt ihm, dass sie mit ihren Eltern ausreisen wird. Darauf sagt der neunjährige Junge: „Aber du wolltest doch den Sozialismus aufbauen.“ So spricht nun mal kein Kind. So spricht der Autor. Und was im Buch in seiner hemingwayschen Härte bis in den letzten Satz konsequent war, durchlöchert den Film und verweist vielleicht auf einen Kampf des Regisseurs mit dem Stoff, dessen herausragende Qualität sich hier aufs Neue beweist.

Aus diesem sehr offen ausgetragenen Ringen ist dann ein sehr interessanter Film geworden, der zwar keine neuen Horizonte erreicht und mit dem sich Dresen auch nicht neu erfindet — der aber sehr deutlich macht, wie filmisch unberührt die deutsch-deutsche Transformationszeit ist. Die Literatur ist da schon ganze Lichtjahre weiter. Vielleicht sollte das für das deutsche Kino ein Ansporn sein, sich von der zunehmend konventionellen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus sachte zu trennen, und den Blick häufiger auf die Umbruchszeit zu lenken. Unsere täglichen Nachrichtenbilder demonstrieren jede Woche, wie ungemein wichtig das wäre.

Als wir träumten

Als wir träumten, wussten wir gar nicht, dass wir eines Tages erwachen. Und dass sich die Bilder und Stimmungen von damals und heute erschreckend gleichen würden. Bilder wie die aus Leipzig im Jahre 2015. Menschen auf den Straßen mit Wut und Angst im Gepäck. Und dann natürlich die Erinnerungen an Leipzig 1989. Wieder diese Massen. Auch da die Wut und eine stille Angst, dass „Wir sind das Volk“-Rufe vielleicht auch nach hinten losgehen könnten. Es erscheint gar nicht zu kurz gegriffen, wenn man die friedlichen Demonstrationen der Wendezeit mit den heutigen Legida-Demonstrationen vergleicht.
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