Allein die Wüste

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Klein werden im Schatten der Akazie

Wie wäre es, in der Wüste Marokkos sein Zelt aufzuschlagen und ein paar Wochen lang in die Einsamkeit des Ortes einzutauchen? Das fragte sich der deutsche Filmemacher Dietrich Schubert und startete im September 2010, im Alter von 70 Jahren, dieses Selbstexperiment, das er mit der Kamera festhielt. An dessen Ende wird er es als das wahrscheinlich größte Abenteuer seines Lebens bezeichnen. Was zunächst recht unspektakulär wie eine Übung in Ruhe und Kontemplation erscheint, entwickelt sich stellenweise zur Grenzerfahrung, vor allem wenn es um das Größenverhältnis Mensch und Natur geht.
Schubert kennt die Wüsten Nordafrikas, in den vergangenen 20 Jahren hat er dort oft gedreht, etwa die Dokumentationen Spuren in der Sahara – Die Abenteurerin Alexandrine Tinne von 2005 und Die Seele aber wird allein in der Wüste gewaschen von 2008. Aber dabei hatte er nie Zeit, länger an einem Ort zu bleiben und sich auf die Stille der Umgebung einzulassen. Etwa 50 Kilometer von Zagora im Süden Marokkos entfernt, findet er den idealen Zeltplatz für sein Experiment, neben einer einsamen Akazie, deren Schatten ihm in der Hitze der Tage rettende Zuflucht bieten wird. Er hat 90 große Flaschen Mineralwasser, 80 Liter Brauchwasser und Verpflegung für rund zwei Monate dabei. Von den Karawanen, die früher aus Zagora als dem Tor zur Wüste in Richtung des 52 Tage entfernten Timbuktu aufbrachen, ist längst nichts mehr zu sehen. Nur zweimal bekommt Schubert in den fünf Wochen seines Aufenthalts Besuch von einzelnen Kameltreibern, die mit ihren wenigen Tieren am Zelt vorbeilaufen.

Die Bühne gehört der grandiosen Wüste, dem Spiel von Licht und Schatten, wie es von Wetter und Tageszeit bestimmt wird. Der rötliche Sand, die großen dunklen Steine, die Grasbüschel und Sträucher, die Bergkette am Horizont setzen sich immer wieder neu in Beziehung, wenn sich die Farben verändern von golden bis dunkelblau, Maserungen und Konturen mal scharf hervortreten, dann wieder verwischt werden vom Wind, von der Dämmerung. Schubert lässt seine Kamera langsame Kreisbewegungen ausführen, den Wolken am Himmel folgen, dem Vollmond und immer wieder der Sonne, wie sie auf- und untergeht und die Stimmung über der Landschaft dabei quasi im Minutentakt verändert.

Die Stille der Aufnahmen wird nur vom Summen der offenbar allgegenwärtigen Fliegen gestört oder vom Wind, der sich eine Zeitlang sogar zum Sturm auswächst. Schon ziemlich am Anfang seines Aufenthalts versetzt er Schubert in Angst um sein Zelt. Mal im Off, mal frontal zur Kamera, berichtet der Eremit auf Zeit von seinen Bedenken und Nöten, etwa als sich einmal ein Unwetter ankündigt. Dann wiederum wird es so still, dass er Scheu hat, mit dem Geschirr zu klappern. Musik erklingt im ganzen Film keine und sie würde auch nur stören, wie auch Schubert selbst im Schatten der Akazie stundenlang nur die Gegend betrachten kann, ohne Radio hören oder lesen zu wollen. Eine Maus und ein elsterähnlicher Vogel werden seine Zuhörer und lassen sich gerne von ihm füttern. Die Schutzlosigkeit vor der allumfassenden Natur bringt Schuberts innere Ordnung durcheinander, die Ruhe des Tages entlädt sich paradoxerweise in nächtlichen Albträumen.

Erinnerungen an die Kindheit wechseln ab mit Gedanken über den Tod. Manchmal drückt sich in Schuberts Blick, seinen Pausen zwischen den Worten, dem langsamen Abwägen, was sich mitzuteilen lohnt, Verletzlichkeit und Demut aus. Als drängten sich ihm Fragen nach der eigenen Bedeutung auf, an dieser Stelle, wo der Mensch so klein wirkt und nicht wirklich dazugehört. Die Wüste, so scheint es, weist die Fantasien und Sehnsüchte des Zivilisationsmenschen zurück, lässt sich von ihm im Grunde nicht erfassen.

Allein die Wüste

Wie wäre es, in der Wüste Marokkos sein Zelt aufzuschlagen und ein paar Wochen lang in die Einsamkeit des Ortes einzutauchen? Das fragte sich der deutsche Filmemacher Dietrich Schubert und startete im September 2010, im Alter von 70 Jahren, dieses Selbstexperiment, das er mit der Kamera festhielt. An dessen Ende wird er es als das wahrscheinlich größte Abenteuer seines Lebens bezeichnen.
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