Albert Nobbs

Eine Filmkritik von Carolyn Höfchen

Such a kind little man

„You’re the strangest man I’ve ever met“ – „Sie sind der seltsamste Mann, den ich je getroffen habe“. Kaum ein Satz könnte Albert Nobbs besser beschreiben als dieser. Nobbs arbeitet als Kellner in einem Luxushotel im Dublin des späten 19. Jahrhunderts und ist in der Tat vor allem eines: seltsam. Er redet wenig, ist akribisch, geht wie ein Stock und gibt nichts von sich preis. Kein Wunder, denn Albert Nobbs (Glenn Close) ist in Wahrheit eine Frau. Sie geht als Mann durchs Leben, um in der damaligen von Männern dominierten irischen Gesellschaft zu überleben.
Nichts fürchtet sie mehr, als dass ihr Geheimnis entdeckt werden könnte. Als eines Nachts der Maler Hubert Page (Janet McTeer) in ihrem Zimmer einquartiert wird, droht alles aufzufliegen. Doch auch Hubert hat seinerseits ein Geheimnis: Er ist ebenfalls eine Frau. Und noch dazu ist er verheiratet. Für Nobbs ändert diese Begegnung alles, denn plötzlich scheint der Traum von einem eigenen Tabakladen, für den er seit Jahren jeden einzelnen Penny spart und ein enthaltsames Leben führt, in erreichbare Nähe zu rücken. Und noch dazu scheint es möglich zu sein, das Leben mit jemandem zu teilen.

Da Nobbs das Zimmermädchen Helen (Mia Wasikowska) gefällt, beginnt er langsam, sie zu umwerben. Nobbs macht das ganz auf seine Art – für ihn scheint die Wahl der Partnerin eher Businessangelegenheit als romantisches Liebesgeplänkel zu sein. So stellt er sich ganz rationale Fragen wie etwa, ob man vor oder nach der Hochzeit sagen sollte, dass man eine Frau ist? Jeder Cent, den er für Helen ausgibt, notiert er fein säuberlich in einem Heftchen und überschlägt, wie viel es ihn wohl kosten wird, bis sie einer Heirat zustimmt. Helen ihrerseits hat jedoch nur Augen für Joe Mackins (Aaron Johnson), mit dem sie nach Amerika auswandern will…

Die Geschichte spielt hauptsächlich im Innern des Hotels. Unten die üppig dekorierten Räume für die betuchten Gäste, unter dem Dach die spärlich eingerichteten Zimmer für die Bediensteten, bildet doch allein dieses Haus schon eine Sozialstudie für sich. Lange Einstellungen, kaum Musik und wenig beleuchtete Räume schaffen eine bedrückende und beklemmende Atmosphäre.

Insbesondere aber die Person Nobbs, schüchtern und still, eingezwängt in seinen bis oben zugeknöpften Butler-Anzug, drückt merklich die Stimmung, oft hört man nur sein ruhiges Atmen und sieht nichts als sein ernstes Gesicht. Nobbs ist gefangen in seinem Körper und in den Konventionen der Zeit, an die er sich zu halten hat. Er hat nie als Frau gelebt, sein „richtiger“ Teil wurde immer unterdrückt. Anders als Hubert lässt Nobbs die Verkleidung über sein Leben bestimmen, er ist immerzu damit beschäftigt, sich niemandem zu offenbaren. So unähnlich die beiden zu sein scheinen, so ähnlich sind sie sich in Wahrheit doch. Für Nobbs bedeutet die sich sehr langsam entwickelnde Freundschaft zu Hubert, endlich jemanden gefunden zu haben, der ihn versteht.

Glenn Close spielt Albert Nobbs so authentisch, dass man beinahe vergisst, dass Nobbs kein Mann, sondern eine Frau ist. Unglaublich ist etwa eine Szene, in der Nobbs und Hubert in Frauenkleidern durch die Straße spazieren. Die Beiden wirken in diesem Moment mit ihrer steifen Gangart so wenig fraulich und doch so männlich.

Den Geschlechter-Rollentausch kennt man im Kino sonst eher aus Hollywood-Komödien wie Manche mögen’s heiß / Some Like It Hot oder Mrs. Doubtfire. Und zu allseitigem Amüsement sind es Männer in Frauenkleidern, legendär etwa Jack Lemmons Daphne. Bei Frauen in Anzug oder Frack ist dagegen normalerweise Schluss mit lustig und es geht in Richtung Drama, wie etwa Barbra Streisands Yentl oder auch Die Päpstin von Sönke Wortmann zeigten.

Glenn Close schlüpfte schon in den 1980er Jahren in einem New Yorker Theater regelmäßig in die Rolle des Albert Nobbs. Die Hauptfigur der 1918 erschienenen gleichnamigen Kurzgeschichte des irisch-englischen Schriftstellers George Moore faszinierte sie. Seitdem wollte sie den Stoff vor die Kamera bringen. Ein Vorhaben, das immer wieder scheiterte, unter anderem an der Finanzierung. Nachdem sie als Produzentin und Drehbuchautorin den kolumbianischen Regisseur und Sohn des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez, Rodrigo García, ins Boot geholt hatte, hat Close ihr Vorhaben nun doch noch realisiert. Dass Albert Nobbs fast nur im Hotel selbst spielt, macht den Film einem Theaterstück gar nicht unähnlich.

Man fühlt sich fast wie in einer von Émile Zolas Sozialgeschichten, nur in Irland statt in Frankreich. Wenn man bedenkt, dass Moore mit Zola befreundet war und stark von ihm beeinflusst wurde, erstaunt das wenig. Die sozialen Unterschiede zwischen der Arbeiterschicht und der Bourgeoisie, die zwar alle unter einem Dach wohnen, aber doch in völlig verschiedenen Welten, prangert der Film unaufhörlich an.

So ist Albert Nobbs in erster Linie ein sozialkritischer Film über eine Zeit, in der das Aufrechterhalten des sozialen Status weit über allem anderen steht. Einer Zeit, in der unzählige Europäer nach Amerika auswandern, in der Hoffnung, auf der anderen Seite des Ozeans ihren eigenen „american dream“ zu leben und aus der Misere im Heimatland fliehen zu können. Feinfühlig inszeniert Regisseur García das Versteckspiel im Leben der „Frau“ Albert Nobbs und ihre vorsichtigen und langsamen Versuche, der Einsamkeit zu entrinnen. Für die Interpretation dieser Rolle hätte Glenn Close den Oscar eindeutig verdient gehabt.

(Carolyn Höfchen)

Anm. d. Red.: Zusätzlich zum DVD-Release am 17.10.13 wird Albert Nobbs 2 Wochen vorher, am 26.09.13, über Pandastorm/Salzgeber in die deutschen Kinos kommen.

Albert Nobbs

„You’re the strangest man I’ve ever met“ – „Sie sind der seltsamste Mann, den ich je getroffen habe“. Kaum ein Satz könnte Albert Nobbs besser beschreiben als dieser. Nobbs arbeitet als Kellner in einem Luxushotel im Dublin des späten 19. Jahrhunderts und ist in der Tat vor allem eines: seltsam.
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