Agora - Die Säulen des Himmels (2009)

Eine Filmkritik von Florian Koch

Der ewige Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft

Mit Sex und Gewalt kann ein Künstler in der heutigen Zeit kaum noch provozieren. Befasst sich ein Filmemacher aber mit einer religiösen Problematik, begibt er sich zwangsläufig in unruhige Fahrgewässer. Seit dem verheerenden Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde der Kampf gegen islamistische Terrornetzwerke zum Credo der US-Außenpolitik. Die gewalttätigen Antworten auf die Angriffe auf Afghanistan und den Irak ließen nicht lange auf sich warten. Vor dem Hintergrund dieser heiklen Konflikte inszeniert der chilenisch-spanische Regisseur Alejandro Amenábar mit dem opulenten Historiendrama Agora — Die Säulen des Himmels ein radikales Pamphlet gegen religiösen Fundamentalismus.

Amenábar lässt den Zuschauer in das pulsierende Leben der minutiös rekonstruierten ägyptischen Hafenstadt Alexandria im Jahre 391 nach Christus eintauchen. Das kulturelle Zentrum der spätantiken Metropole bildet die weltberühmte Bibliothek. Dort lehrt Hypatia (Rachel Weisz), die hochgebildete Tochter des Philosophen Theon (Michael Lonsdale) Mathematik und Astronomie. Bei ihren Schülern ist die aparte Wissenschaftlerin hoch angesehen, von ihren männlichen Kollegen werden ihre Thesen, die das ptolemäische Weltbild in Frage stellen kritisch betrachtet. Auf der Agora, dem großen Versammlungsplatz von Alexandria finden derweil hitzige Auseinandersetzungen statt. Die immer größer werdende Gruppierung der Christen strebt nach mehr Macht und fordert die Ablösung der traditionell-polytheistischen Glaubensrichtungen. Bald werden die Konflikte auch in die streng geschützten Räume der Bibliothek hineingetragen. Hypatias treu ergebener Sklave Davus (Oscar Isaac) konvertiert auch aus persönlicher Frustration – er wird von Hypatia abgewiesen – zum Christentum, während ihr aufgeweckter Schüler Orestes (Max Minghella) in der Hierarchie aufsteigt und sich ebenfalls in die schöne Dozentin verliebt. Währenddessen versucht Hypatia dem politischen und emotionalen Druck standzuhalten und die Fahne der Wissenschaft hoch zu halten.

Im letzten Jahr musste Alejandro Amenábar auf dem Filmfestival in Cannes eine herbe Schlappe einstecken. Kaum ein Filmvertrieb wollte sich die Rechte an seiner 50 Millionen Euro teuren Produktion sichern. Zu heiß schien vielen potentiellen Käufern die Thematik, auch das kommerzielle Potential schätzten Brancheninsider als eher dürftig ein. Wenigstens konnte Agora in seinem Entstehungsland reüssieren. In Spanien besuchten nach einem rekordverdächtigen Start bald mehr als drei Millionen Besucher das Historienepos. Bei den Goya Awards erhielt Agora sieben Auszeichnungen (bis auf das glänzend recherchierte Drehbuch zumeist in den technischen Kategorien). Trotz dieser Erfolge griff in den USA erst die kleine Produktions- und Verleihfirma Newmarket Films zu, um Agora in den Staaten herauszubringen. Bezeichnenderweise vertrieb das gleiche Unternehmen das Darwin-Biopic Creation.

Beide Filme haben gemeinsam, dass sie Themen aufgreifen, die in weiten Teilen der USA immer noch ein Tabu sind. Während Creation sich klar zu Darwins Evolutionstheorien bekennt stellt Amenábar in Agora Analogien her, die radikale Evangelikale auf die Palme bringen werden. Die Aggressoren in seinem komplexen Film sind die Parabolanos, eine aus Mönchen bestehende religiöse Splittergruppe, die sich bald zum brutalen militärischen Arm der Christen entwickelt. Ähnlichkeiten zu den brutalen Vorgehensweisen der Taliban sind durchaus beabsichtigt. Niemand, weder Juden noch Heiden werden von den blindwütigen, im Namen Gottes kämpfenden Parabolanos verschont. Amenábar bedient in diesen gewalttätigen Sequenzen zweifelsfrei atheistische Vorurteile: Religion sei letztlich schuld am Untergang der spätantiken Hochkultur und steht in letzter Konsequenz auch dem wissenschaftlichen Fortschritt entgegen. Diese radikale Aussage untermauert der oscarprämierte, renommierte Filmemacher (Das Meer in mir, The Others) mit der Tatsache, dass die Zerstörung der Bibliothek die Menschheit kulturell um Hunderte von Jahren zurückwarf. Um diese These filmisch zu illustrieren, benötigt der mutige Regisseur nur eine brillante Sequenz. Während die Horden im Namen Christi die Bibliothek stürmen und Schriften gedankenlos zerstören vollführt die Kamera einen genialen 180 Grad-Schwenk – auf dem Kopf. Damit symbolisiert Amenábar mit einem einzigen großartigen Einfall den Wandel der Zeit und die Verkehrung aller Werte. Allerdings hat der Regisseur neben diesem formalen Coup mit Hypatia ein weiteres – menschliches – Ass im Ärmel, um seine scharfe Religionskritik zu formulieren.

Hypatia, deren Leben und Werk historisch belegt sind, wird durch die Präsenz der sensiblen und anmutigen Rachel Weisz zur absoluten Identifikationsfigur von Agora. Ihre ruhig vorgetragenen Ansichten, ihr klares Bekenntnis zur Wissenschaft und auch ihre Verweigerung, sich wie andere Frauen von Gefühlen überwältigen zu lassen, zeichnet Amenábar klischeefrei und absolut glaubwürdig nach. Selten sah man in einem Historienfilm eine derart starke Frauenfigur, die den Männern in Punkto Scharfsinn und Weitblick deutlich überlegen ist. Dennoch gelingt es den Jungschauspielern Oscar Isaac und Max Minghella (der Sohn des kürzlich verstorbenen Regisseurs Anthony Minghella) ihre Charaktere durch intensives Schauspiel mit Leben zu füllen. Gegen die rational nachvollziehbaren Argumente der brillanten Wissenschaftlerin ziehen sie mit ihren emotionalen Ausbrüchen allerdings stets den Kürzeren. Beeindruckend ist auch, wie lange sich Minghella Zeit nimmt, die astronomischen Gedankenmodelle von Hypathia zu vergegenwärtigen. Hier hebt sich Agora von den pathetischen und extrem simplifizierten Dialogen gängiger Hollywood-Sandalenfilme wie Gladiator deutlich ab. Auch in der Bildsprache kann das Drama mit den Hollywood-Vorbildern mithalten. Die ausgefeilten Fahrten durch die Hallen der Bibliothek und durch den Schmelztiegel von Alexandria sind dynamisch und facettenreich. Sogar vom Weltraum aus werden faszinierende Bilder aus der Vogelperspektive gezeigt, die die handelnden Figuren auf Ameisengröße schrumpfen lassen. Auch die Ausstattung – in Malta entstanden gewaltige Kulissen – überzeugt, trotz der ein oder anderen mäßigen Computeranimation mit großen Detailreichtum und Authentizität.

Was man Agora vorhalten muss, ist die etwas konstruiert wirkende Dreiecksgeschichte und Amenábars Anspruch, eine wahre Informationsflut in seinen Film packen zu wollen. Streckenweise droht das anspruchsvolle, hochambitionierte Werk fast unter dem Ballast der Gedankenspiele und Interpretationsmöglichkeiten zu versinken. Dramaturgisch fragwürdig ist auch der harte zeitliche Bruch in der Mitte von Agora, als die Handlung zu Gunsten von Texttafeln als Erklärungshilfen einfach innehält. Trotz dieser kleinen Defizite muss man Amenábar das große Kompliment machen, das verstaubte Historienfilmgenre endlich von seinem Zwang zur Historizität befreit zu haben. Selten wirkte ein in diesen längst vergangenen Zeiten spielendes Werk so aktuell und brisant wie Agora. Es bleibt nur zu hoffen, dass Amenábars mutige Religionskritik nicht nur in Spanien Gehör findet.
 

Agora - Die Säulen des Himmels (2009)

Mit Sex und Gewalt kann ein Künstler in der heutigen Zeit kaum noch provozieren. Befasst sich ein Filmemacher aber mit einer religiösen Problematik, begibt er sich zwangsläufig in unruhige Fahrgewässer. Seit dem verheerenden Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde der Kampf gegen islamistische Terrornetzwerke zum Credo der US-Außenpolitik.

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Meinungen

Gisela Schneider · 16.07.2010

Der Fanatismus zwischen den Religionen hat an Aktualität nchts verloren. Der Mensch ist blind in der Beurteilung seiner eigenen Berufung. Er hat nichts gelernt und folglich nichts erkannt. Schade.

++ · 14.03.2010

Der Film weicht etwas von der unten angegebenen Erzählung ab, ist aber dennoch ziemlich interesseant produziert worden und vermittelt doch etwas mehr Verständnis für die damalige Zeit. Sehenswert.

Nagy Malek · 11.03.2010

Der Film hat leider nichts mit der wahren Geschichte zu tun.
Hypatia gilt als die erste Mathematikerin der Geschichte. Die Ägypterin wurde im Jahre 364 n. Chr. in Alexandria geboren. Ihr Vater war Theon, der berühmte Mathematiker und Astronom am Museion in Alexandria. Ihr Bruder war der Mathematiker Epiphanios. Hypatia lebte in einer Zeit, in der über 70% der Bevölkerung Ägyptens Christen (Kopten) waren, und die Christenverfolgung ein hohes Maß annahm. Die Kopten waren mit Leib und Seele echte Pazifisten. (Vergleiche die Biographie des Heiligen Mauritius bzw. der Thebäischen Legion, um 300 n. Chr.). Hypatia übernahm den Lehrstuhl Ihres Vaters an der Universität (Museion) von Alexandria und lehrte dort Mathematik, Geometrie, Astronomie, Astrologie, Philosophie und Rhetorik. Hypatia war keine Vertreterin des Pazifismus: Sie vertrat die Philosophie des s.g. „gerechten Krieges“. Hypatia wurde zur Gegnerin des absoluten Pazifismus und damit auch der damaligen Kirchenlehre . Hypatia sah es als selbstverständlich an, sich in einer nicht gewaltlosen Welt mit Gewalt verteidigen zu müssen. Hypatias Schüler und Verehrer Synesius war ein überzeugter Christ und Pazifist. Eines Tages begleitete Synesius seine Lehrerin Hypatia auf dem Heimweg in einer unruhigen Nacht durch die Straßen von Alexandria. Zwischen Hypatia und Synesius entfachte sich eine kräftige Diskussion über die Notwendigkeit der Selbstver-teidigung. Hypatia zog ihr Messer und griff Synesius an, um ihn zur Selbstverteidigung zu zwingen und ihn in Ihrer Theorie zu bestätigen. Synesius, wie erwartet, wehrte sich aus Furcht und tötete im Affekt seine Lehrerin Hypatia. Synesius verlor danach den Verstand und kehrte er in seine Heimat Cyrenaika im heutigen Lybien zurück. Dort verbrachte er bis zu seiner Heilung mehrere Jahre und wurde zum Botschafter der Pentapolis (griech. Fünf Städte) beim Kaiserhof berufen. Im Jahre 403 heiratete er in Alexandria. 410 wurde er durch Akklamation in Ptolemais zum Bischof berufen und musste von Amts wegen auf die Ehe verzichten. In seiner Funktion als Bischof geriet er in Konflikt mit dem Praeses Andronikus, den er schließlich bannte. Weiterhin musste er sich auch als Kriegsherr bewähren, da in seiner Amtszeit die Provinz von südlichen Stämmen angegriffen wurde und der Bischof Synesius sich mit dem Schwert verteidigen musste.. Der heilige Augustinus (354 – 430 n. Chr.) sprach in seinem Werk „De civitate“ diejenigen von der Verletzung des fünften Gebotes frei, die einen Gott geschuldeten Krieg (gerechten Krieg) führen und verbreitete damit die Philosophie Hypatias in der ganzen Welt. Leider gingen viele wertvolle Informationen über die hervorragende Hypatia verloren, als die Araber (642 n.Chr.) die Bibliothek von Alexandria mit mehr als 500.000 Schriftrollen nieder brannten.