Absolut Warhola

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Warholas, Wodka und Witz

Der berühmte Künstler Andy Warhol (1928-1987) war zeitlebens eine ebenso individualistische, schillernde wie undurchsichtige Figur der New Yorker Kunstszene, die sich im Grunde selbst erschaffen und inszeniert hat. Der ungeheuer humoristische und gleichzeitig anrührende Film Absolut Warhola ist aber nicht etwa eine Dokumentation über sein Leben und Werk, sondern über die Region und die Menschen des so genannten Ruthenlandes, aus dem die Eltern des Pop-Artisten, der dort von seiner zahlreichen Verwandtschaft schlicht Andrejku Warhola genannt wird, einst in die USA ausgewandert waren. Den aus Polen stammenden Regisseur Stanisław Mucha verschlug es vor langer Zeit durch eher widrige Umstände in diesen Teil der Karpaten, wo er zufällig auf erste Spuren der Familie des verstorbenen Andy Warhol stieß, die bis zu dessen Tod nicht einmal wusste, wie populär und millionenschwer dieser tatsächlich war. Zehn Jahre später reist der Filmemacher, der mittlerweile in Deutschland lebt und arbeitet, erneut in die Ostslowakei, um das Andy Warhol Museum in Medzilaborce sowie den kleinen Ort Miková aufzusuchen, wo noch einige Warholas ansässig sind. Auf diese Weise entsteht das Porträt einer rustikalen Mentalität und ihrer Protagonisten, in welches die Präsenz ihres Andrejku, der dies zwar „fest vorgehabt“ habe, aber sie letztlich doch niemals besucht hat, einem roten Faden gleich verwoben ist.
Vor der Demokratie sei er ja verboten gewesen, bemerkt ein Vetter Andy Warhols aus Miková, der behauptet, ihm sehr ähnlich zu sehen, nur seien seine eigenen Haare noch echt. Viel sagen könne er ja nicht über ihn, da er ihn nicht persönlich gekannt habe, aber umso lieber trinkt er posthum auf seinen Cousin. Getrunken wird überhaupt reichlich, selbstverständlich Wodka, und gern voller Stolz erzählt, jedoch gänzlich ohne Pathos. Die weitläufige Verwandtschaft betrachtet Andrejku schlicht als Einen der Ihren, doch über sein öffentliches Leben im fernen Amerika weiß kaum jemand Näheres als ohnehin in den internationalen Schlagzeilen Raum fand, von denen nur wenige den Weg ins Ruthenland schafften. Er habe ihr über Jahre hinweg selbst kreierte Stöckelschuhe in bunten Farben geschickt, von denen jeder einzelne ein Unikat war, berichtet eine Cousine, die diese einfach als ungleiche Paare auftrug und sie dann wegwarf, ohne sich des ungeheuren Wertes dieser Kunstobjekte bewusst zu sein. Ein weiterer Vetter zeigt dem Kamerateam einen Birnbaum, der sich noch an die Großeltern Andrejkus erinnere, und weitere mehr oder weniger banale Kuriositäten der Umgebung, die von ihrer wechselhaften Geschichte zeugen. Eine 90jährige Tante, die gern auf ihren Neffen und „alle anderen“ anstößt und mit einem geradezu abenteuerlichen Wasserkocher hantiert, philosophiert derweil über das Jenseits, und sie ist es auch, die den Film schließlich mit lakonischen Worten beendet: „Es reicht.“

Das Museum in Medzilaborce beherbergt neben einigen Bildern vor allem persönliche Gegenstände aus dem Umfeld Andy Warhols wie das Taufkleid der Familie und ein Notizbuch seiner Mutter Julia. Viele Gäste gäbe es nicht, beklagt der Direktor mit offensichtlicher Verachtung für die Landbevölkerung, die ihr karges Einkommen lieber in Alkohol investiert, der allerdings den interessierten Roma, die sich beim Kamerateam beschweren, den Zugang verwehrt, da er keine dreckigen, zerlumpten Leute hineinlassen könne, die alles kaputtmachen und klauen – welch Renommee für das einzige Museum dieser Art in Europa, durch dessen defektes Dach das Regenwasser in bunte, aufgestellte Eimer tropft und dessen kleine Band später vor der Tür einen abgefahrenen Song auf den Pop-Artisten vor einem spärlichen Publikum präsentiert, das mehrheitlich aus Kindern der Roma besteht. Doch genau derartige Bilder und Begebenheiten sind es, die den derben Charme dieser Dokumentation ausmachen, die immer wieder Aspekte des Persönlichen und Sozialpolitischen äußerst gelungen miteinander verbindet.

So wenig Konkretes die Verwandten Andy Warhols auch benennen können, in einem Punkt sind sich alle nachdrücklich einig: „So Einer“ war Andrejku ganz sicher nicht, denn einen Homosexuellen habe es in Miková noch nie gegeben, wie der Vetter bemerkt. Wohl aber gibt es einen Doppelgänger, der unspektakulär durch die Gegend und den Film geistert, Kontakt zur Bevölkerung sucht und Tomatensuppe in Dosen verteilt. Und überall gibt es mehr oder weniger spontane Live-Musik, denn das schamlose Singen und improvisierte Musizieren ist offensichtlich neben dem Trinken, Essen und nochmals Trinken die größte Leidenschaft der Menschen in Miková, die dem Kamarateam überwiegend mit erstaunlicher Offenheit begegnen. Neben den riesigen Steinpilzen, die in der Umgebung wachsen, wird den Filmern auch vom geräucherten Schwein angeboten, das selbst der Vegetarier unter ihnen probiert, nachdem der Vetter Andy Warhols großzügig bemerkte: „Einmal im Jahr darf er auch.“

Absolut Warhola ist ein grandioser Film, dessen ungemein treffender Titel und Vorgeschichte, die als Extra unter „Wie Stanisław Mucha eine Katze verlor und Andy Warhol fand“ notiert ist, bereits mächtig Spaß machen, der sich im Laufe der Dokumentation permanent verstärkt und die warme, wunderbare, witzige und doch niemals karrikierende Stimmung repräsentiert, von der dieser Film beseelt ist, der zu Recht unter anderem 2003 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde. Absolut sehenswert!

Absolut Warhola

Der berühmte Künstler Andy Warhol (1928-1987) war zeitlebens eine ebenso individualistische, schillernde wie undurchsichtige Figur der New Yorker Kunstszene, die sich im Grunde selbst erschaffen und inszeniert hat.
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