Abschied von den Eltern (2017)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Gefühlsbilder eines literarischen Abschieds

Peter Weiss und seine autobiographische Erzählung Abschied von den Eltern durchdringen den gleichnamigen ersten Langfilm von Astrid Johanna Ofner mit der Kraft und Zerbrechlichkeit einer Sprache, die sich auf einer beständigen Suche nach dem Werden und Sein befindet. Der Film tut es dieser Sprache mit assoziativen, eher gefühlten als gemachten Bildströmen gleich, die mal mehr und mal weniger konkret einen Dialog zwischen der Geschichtlichkeit des Texts und einer Begegnung mit ihm heute öffnet.

Der Text, der nach dem Tod der Eltern des Autors entstanden ist, arbeitet in einem Modus des Zurückblickens auf die eigene Jugend und handelt von der Beziehung oder Entfremdung gegenüber den Eltern, ist aber gleichzeitig, vor allem in der Montage von Ofner, eine Suche nach Identität zwischen Erinnerung an Persönliches, Politisches (der Nationalsozialismus, der mit dem überzeugenden Bild eines unscharfen Adolf Hitlers in seiner Unausprechbarkeit greifbar gemacht wird) und bisweilen Philosophisches.

In der Tradition von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, für deren Antigone Ofner die Titelrolle verkörperte, legt die Filmemacherin viel Wert auf die Materialität der Sprache des Autors. Dabei helfen ihr der Burgtheaterschauspieler Sven Dolinski und kurz sogar der große deutsche Dokumentarfilmer Peter Nestler, um die minimalsten Stimmungen der textlichen Vorlage hin zu einer geschlossenen Fragilität der Stimmen zu verdichten. Auf der Bildebene werden die Orte der Erzählung in der Gegenwart aufgesucht, Dolinski wandelt als eine Art Schatten von Weiss durch die Welt, Found Footage wird genutzt und einige abstrakte Bilder dienen lediglich der Stimmung. Selbst wenn letztere an für Weiss wichtigen Orten gemacht wurden, wird das vom Film nicht angezeigt. Insgesamt spürt man aber jederzeit, dass eine enorme Präsenz von den gewählten Motiven ausgeht.

Dennoch drohen diese Gefühlsbilder, etwa ein Schwenk in das Sonnenlicht hinter im Wind wehender Baumwipfel, etwas willkürlich zu sein. Gerade im Vergleich zu ähnlichen filmischen Ansätzen etwa von Marguerite Duras, mit der sich Ofner in ihrem ersten Kurzfilm befasst hat, fehlt dem Film häufig die notwendige Strenge und Präzision in der Bildsprache. Damit ist nicht nur die schwer nachvollziehbare technische Unsauberkeit gemeint, die zwar schöne Bruchstellen öffnet, aber manchmal dem Bemühen um Gefühle im Weg steht, weil die anvisierte Direktheit der Bildsprache hinter eine Spiegelung der Gemachtheit zurücktritt, sondern auch tatsächlich die Kadrierung und Bildauswahl. So wirken etwa die Bilder aus London nicht immer so, als hätte Ofner die Orte wirklich durchdrungen. Die Unschärfe als Effekt der Unberührbarkeit der Vergangenheit oder schlicht als Erfahrung des Lesens dieser Worte? Immer wieder droht Abschied von den Eltern in schwache visuelle Klischees zu fallen. Der fließende Stil von Weiss erlaubt womöglich kein anderes Vorgehen. Ofner zeigt sich in ihren Bildern mehr als Leserin denn als Schreiberin. Darin liegt eine bewundernswerte Bescheidenheit und Behutsamkeit.

Die Frage, die sich trotz der immensen emotionalen Wirkung von Abschied von den Eltern stellt, ist: Warum dieser Film? Im Gegensatz etwa zu Ruth Beckermann, die im vergangenen Jahr mit ihrem grandiosen Die Geträumten einen dringlichen Ansatz für die Vergegenwärtigung literarischer und intimer Texte gefunden hat, bleibt bei Ofner das Gefühl, dass der Film dem Buch nicht viel hinzufügen kann. Vielleicht ein persönliches Element, das eben durch die Suche der Filmemacherin in der Suche des Autors gebrochen und geboren wird. Bestärkt wird dieses Gefühl, auch wenn es einen ein wenig sträubt darüber zu schreiben, vom plötzlichen Ableben von Ofners Lebensgefährten, dem Direktor der Viennale, Hans Hurch, der an Drehbuch und Montage mitgearbeitet hat. In Locarno erschien nach dem Film eine Titelkarte mit einem persönlichen Abschied der Filmemacherin von ihrem „Geliebtesten“.
 

Abschied von den Eltern (2017)

Peter Weiss und seine autobiographische Erzählung „Abschied von den Eltern“ durchdringen den gleichnamigen ersten Langfilm von Astrid Johanna Ofner mit der Kraft und Zerbrechlichkeit einer Sprache, die sich auf einer beständigen Suche nach dem Werden und Sein befindet.

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