A Simple Life

Eine Filmkritik von Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski

Leben!

Manchmal ist das Leben doch hart und ungerecht: Da weiß man, dass eine Rezension zu A Simple Life von Ann Hui geschrieben werden muss, auch wenn man nach dem erfüllenden Erlebnis, das der Film zweifelsohne darstellt, ahnt, dass jedes noch so schöne Wort, jede noch so schöne Wendung oder Formulierung ihm nie gerecht werden können.
Ann Hui erzählt in ihrem neuesten Film vom letzten Lebensabschnitt der Dienerin Ah Tao (genial: Deannie Yip), die 60 Jahre lang das Hausmädchen der Leung-Familie war. Sie hat fünf Generationen verpflegt, hat die Kinder großgezogen, war Ersatzmutter, beste Freundin und die gute Seele des Hauses. Der Film beginnt, als schon fast alle Familienmitglieder in die USA ausgewandert sind. Nur noch Roger, ein Filmproduzent, ist in Hongkong geblieben. Er stand Ah Tao immer besonders nah. Noch heute kocht sie regelmäßig für ihn. Doch ein Schlaganfall führt dazu, dass Ah Tao im Altenheim landet.

Das Altenheim wird ihr neues Zuhause. Und wie schon ihr ganzes Leben lang, so muss Ah Tao auch hier die Organisation des Alltags übernehmen. Gezeichnet vom Alter und von Krankheit kann sie zwar nicht mehr allzu aktiv eingreifen, aber sie hat immer noch genügend Lebenswillen, um ihre Vorstellungen von Höflichkeit, Kochen und (gutem) Benehmen durchzusetzen.

Ann Hui macht Filme, die an die Atmosphäre der besten Arbeiten eines Edward Yang oder sogar eines Ozu Yasujirō erinnern. Zwar interessiert sich Hui nicht ganz so stark für die formale Strenge wie der japanischen Meister, aber sie will vor allem vom Alltag ganz gewöhnlicher Menschen erzählen. Unaufgeregt und zurückhaltend arbeitet sie äußerst feinfühlig die vielen Beziehungen zwischen ihren Figuren heraus und will so eine möglichst hohe Glaubwürdigkeit erzielen. Tatsächlich weiß man gar nicht, wann genau einen das Schicksal dieser Frau zu faszinieren beginnt. Was man als Zuschauer mitbekommt ist, dass Ah Tao uns während des Films so vertraut wird, dass sie auch unser Kindermädchen hätte sein können.

In A Simple Life gönnt sich Hui ganz vergnüglich den Luxus auch ein paar ihrer Filmfreunde einzuladen. So treten ganz beiläufig die Größen des asiatischen Kinos auf. Unter anderem sieht man Tsui Hark, Sammo Hung und auch Johnny To, die hier einfach sich selbst spielen. Diese Cameos sind nicht nur dem geschuldet, dass Ann Hui die Biographie ihrer Heldin an wahren Begebenheiten orientiert. Sie können auch als ironischer Kommentar auf die Welt des Kinos gelesen werden. Denn die großen, aufgemotzten Geschichten im Kinosaal entfalten für Hui nicht jene Kraft, die ihrer simplen Lebensschilderung innewohnt. Nicht ohne Grund schläft Ah Tao bei der Premiere eines Films, den Roger produziert hat, einfach ein. Das Leben, ihr Leben ist schon aufregend genug.

Und es ließe sich noch so viel erzählen und beschreiben, was einen in diesem zurückhaltenden Film bewegt und gerührt hat. Szenen und Momente stiller Komik, wenn z.B. ein immer gut gelaunter Altenheimbewohner sich ständig Geld leiht. Lange bleibt die Quelle seines Glücks verborgen, bis sich herausstellt, dass er es für Prostituierte ausgibt. Roger verweigert ihm daraufhin jede weitere finanzielle Gefälligkeit. Aber Ah Tao rückt trotzdem bereitwillig die 300 Dollar raus. Sie kommentiert dies mit einem entwaffnend weisen Spruch: „Lass ihn doch. So lange er noch kann und es ihn glücklich macht.“

Wie schafft es das asiatische Kino so regelmäßig Filme zu drehen, die das Leben nicht einfach nur abbilden, sondern es mit all seiner Magie, Widersprüchlichkeit, Freude und Schmerz in sehnsüchtige Bilder bannen? Warum kann so etwas das deutsche oder europäische Kino nicht? Hier wird nichts vorgegeben, nachgespielt oder durch dokumentarische Mittel künstlich intensiviert. Die schlichte Kraft der Erzählung steht über allen dramatischen Tricks und demonstriert eindrücklich, welchen beflügelnden Sog formale und inhaltliche Bescheidenheit entwickeln können.

(Festivalkritik Venedig 2011 von Patrick Wellinski)

A Simple Life

Manchmal ist das Leben doch hart und ungerecht: Da weiß man, dass eine Rezension zu „A Simple Life“ von Ann Hui geschrieben werden muss, auch wenn man nach dem erfüllenden Erlebnis, das der Film zweifelsohne darstellt, ahnt, dass jedes noch so schöne Wort, jede noch so schöne Wendung oder Formulierung ihm nie gerecht werden können.
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Meinungen

katzendata · 16.07.2014

Ein wunderbarer feiner Film.

Frank · 18.11.2012

Und wann kommt der Film auf deutsch raus??? Weiss das jemand???