A Quiet Passion (2016)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Ein besonderer Niemand

Ich bin Niemand! Wer bist Du? / Zum — Niemand — auch ernannt? / Dann paßt Du gut zu Mir dazu! / Sag‘ nichts! — sonst wird’s — bekannt! (Emily Dickinson)

A Quiet Passion stellt einen als Kritikerin vor eine schwierige Aufgabe. Wie schreiben über einen Film, der von einer Frau erzählt, die schreibt – jedoch ohne dass der Film sie dabei zeigt. Wie ihre Worte fassen, die eloquent und spitz ihre Situation beschreiben, doch gleichzeitig so flüchtig sind und so schnell verblassen wie die Autorin? Beginnen wir also beim Greifbaren, bei den Fakten.

Sie, das junge, blasse Mädchen, wird einst die berühmteste Dichterin der USA sein. Doch davon weiß Emily Dickinson (in jungen Jahren: Emma Bell, in späteren Jahren: Cynthia Nixon) nichts. Sie wird sogar sterben, ohne es zu wissen. Was sie aber weiß, von Kindesbeinen an, ist, dass sie anders ist. Stur, würden die einen sagen, non-konform und sich selbst stets treu, die anderen. Terrence Davies‘ A Quiet Passion portraitiert nun diese außergewöhnliche Frau.

In der Schule gehänselt, im College der Häme ausgesetzt, kehrt Emily Dickinson alsbald in den Schoß ihrer Familie nach Massachusetts zurück. Hier wird sie Zeit ihres Lebens bleiben, eng an die Familie angeschlossen: Vater, Mutter, Schwester Vinnie (Jennifer Ehle) und ihr Bruder Austen sind ihr Universum. Nirgendwo anders will sie sein – und so verbringt sie dort ihr Leben. In der Nacht, immer ab drei Uhr, schreibt Emily Gedichte. Ihr Vater hat es erlaubt, solange sie niemanden dabei stört. Jede Nacht ein Gedicht – Emilys Œuvre nimmt beträchtliche Ausmaße an. Ein paar ihrer Werke werden in der Zeitung veröffentlicht. Abgeändert und stets ohne Namen, denn es schickt sich nicht für eine Frau zu schreiben. Vor allem nicht für solch eine fragile und unverheiratete wie sie. Als hässlich empfindet sie sich und manchmal auch als nicht liebenswürdig, vor allem nach dem Ausbruch ihrer Nierenkrankkheit, an der sie im Alter von 56 Jahren auch sterben wird.

Das Schreiben, den Akt selbst, fängt Davies‘ Film niemals so recht ein. Immer bricht sie ab, ist fertig, wird von anderen gestört. Der Akt selbst bleibt das große Geheimnis des Filmes, der jedoch immer wieder ihre geschriebenen und nun berühmten Worte von ihr sprechen lässt. Sie kommentieren das Innenleben der komplexen Frau, das sich ohne diese Worte gar nicht fassen lassen würde. Der Rest dieser Emily Dickinson ist streng. Streng gescheitelt, in strengen Kleidern und mit einem strengen Intellekt, der sie selbst kasteit und auch andere (mal zu Recht, mal nicht) stets an den höchsten moralischen Maßstäben misst. Aber A Quiet Passion ist kein strenger und vor allem kein stiller Film, wie der Titel vielleicht vermuten lässt. Vielmehr ist er ein Gefecht, ein Krieg – und Worte sind die Waffen. Wie mit Maschinengewehren werfen die ProtagonistInnen Aphorismen hin und her, diskutieren, definieren, referieren über Liebe, Moral und Tod. Und das macht Spaß, es fordert den Zuschauer dazu auf, mitzuhalten bei diesen verbalen Keilereien, die stets auf höchstem Niveau stattfinden.

Ansonsten ist der Film ein klassischer Kostümfilm. Mit einer Ausnahme: Auch wenn die Welt und ihre Figuren streng kadriert sind, die Kamera dieses Filmes ist es nicht. Sie hat die Freiheit, die sich Dickinson selbst zeitlebens versagte. Sie fährt von oben herab, von der Seite heran, schwenkt hin und her, dreht sich im Kreis, fast so als suchte sie die Enge des Dickinsonschen Hauses durch Bewegung zu kompensieren oder die stetig oszillierenden Gedanken seiner Protagonistin zu imitieren. Wie auch immer, der Film macht viel im Kleinen, im Subkutanen. Es brodelt im Kopf und unter der Oberfläche und gibt dem Werk stets das Gefühl von unendlicher Lebenssehnsucht. Leben! Denken! Fühlen! Ohne Kompromisse und stets auf höchstem energetischen Niveau.

Was A Quiet Passion in klassischer Darstellung vernachlässigt, das fängt er in der Essenz wieder ein. Ein Fest für die Sinne und das Verlangen nach dichterischer Passion. Kurzum: wie ein Emily-Dickinson-Poem.
 

A Quiet Passion (2016)

Ich bin Niemand! Wer bist Du? / Zum — Niemand — auch ernannt? / Dann paßt Du gut zu Mir dazu! / Sag‘ nichts! — sonst wird’s — bekannt! (Emily Dickinson)

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