66/67 - Fairplay war gestern

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die schönste Nebensache der Welt

Was waren das für selige Zeiten, als Eintracht Braunschweig, einer der Kultclubs der Sechziger- und Siebzigerjahre, in der Saison 1966/67 deutscher Meister wurde. Mittlerweile steht der Club, der 1973 als erster Verein die Trikotwerbung einführte und für einen Kräuterlikör warb, dessen Emblem kurzerhand in das Vereinswappen integriert wurde, in der 3. Liga. Vom einstigen Ruhm ist nur wenig übriggeblieben. Was die sechs Männer, die zum Zeitpunkt von Eintrachts Meisteritel noch gar nicht geboren waren, aber kaum stört. Zum Zeichen ihrer Verbundenheit mit dem Verein haben sie sich die magischen Zahlen des Titelgewinns in die Haut direkt über dem Herzen einbrennen lassen – und merken nicht, dass sich ihre Lebenswege längst auseinanderbewegen. Fußball ist längst nicht mehr der Kitt, der ihre Freundschaft zusammenhält, sondern viel eher die Angst vor dem Erwachsenwerden, vor den Entscheidungen, die für jeden von ihnen anstehen. Diese Beklommenheit, die alle sechs verspüren, die Verunsicherung, sie bahnt sich ihren Weg nach außen in Form von sinnloser Gewalt. Und die pubertären Prügeleien dienen auch dazu, die Augen davor zu verschließen, dass die Ultras kurz vor dem Ende sind.
Außer ihrer Leidenschaft für die Eintracht und vor allem für die dritte Halbzeit verbindet die sechs Männer Anfang Dreißig herzlich wenig miteinander: Florian (Fabian Hinrichs) stammt aus einer Unternehmerfamilie und soll nach dem Willen seines Vaters die chinesische Dependance des väterlichen Betriebs übernehmen, sein soeben bestandenes Diplom versteckt er aber unter dem Bett. Von seinen Kumpels weiß noch niemand etwas von diesen Plänen. Der Schwule Otto (Christoph Bach), der sich neben Florian besonders um den Zusammenhalt der Hooligantruppe sorgt, hat da ganz andere Probleme. Er ist arbeitslos und sucht sich seine Kicks und Ablenkungen vor seiner Bedrückenden Lage bei HIV-Ansteckungsparties, Drogen und den Gewaltexzessen mit seinen Kumpels. Mitgerissen von ihren beiden Anführern halten auch Christian (Christian Ahlers), Henning (Maxim Mehmet), Mischa (Aurel Manthei) und Tamer (Fahri Ogün Yardim) den Ultras die Treue und treffen sich jedes Wochenende zu den Spielen und der anschließenden dritten Halbzeit, in der sie gemeinsam ihre Lust an der Gewalt ausleben. Doch die Gruppe driftet immer mehr auseinander. Je mehr sich die Kumpels voneinander entfernen, desto exzessiver werden die Versuche, am Status quo festzuhalten…

Wie in Ken Loachs Film Looking for Eric geht es auch im neuen Film des Regieduos Carsten Ludwig (der stammt übrigens selbst aus Braunschweig und war jahrelang Fan der Eintracht) und Jan-Christoph Glaser nur am Rande um Fußball, sondern vielmehr darum, wie sehr die Indentifikation mit einem Verein von eigenen Schwächen und Problemen ablenken kann. Während aber ausgerechnet der Sozialrealist Loach märchenhafte Motive einwebt und seine Schilderungen prekärer Existenzen mit Milde und Wärme zeichnet, setzen Ludwig & Glaser in ihrem Film auf schonungslosen Realismus und einen reichlich ernüchternden Blick auf die Lebensumstände ihrer Protagonisten.

Mit 66/67 – Fairplay war gestern ist den beiden Regisseuren ein sehr kraftvolles, packend gefilmtes und rohes Generationenporträt mit teilweise exzellenten Darstellern gelungen, das insgesamt jedoch ein wenig darunter leidet, dass man zuviel an Ereignissen und Personen in dieses Drehbuch hineingepackt hat. Wodurch einiges, was in dem Film angedeutet wird, eher holzschnittartig auftaucht, um anschließend wieder sang- und klanglos zu verschwinden. Eine Beschränkung auf eine kleinere Clique wäre in diesem Fall sicher die bessere Lösung gewesen, die den einzelnen Figuren mehr Raum gelassen hätte.

Trotzdem ist 66/67 – Fairplay war gestern ein ansehnlicher Film geworden, der einiges zu erzählen weiß über Verdrängungsmechanismen, gescheiterte Freundschaften und Lebensentwürfe und über die Zeit, in der das Auseinanderklaffen zwischen den Erinnerungen an die Vergangenheit und den Ängsten vor der Zukunft besonders deutlich wird. Als exemplarisch für die Motive von Hooligans kann man ihn nicht begreifen. Viel eher als Porträt junger Männer um die Dreißig, die sich standhaft weigern, erwachsen zu werden. Bis das Leben sie doch erwischt und sie zu Entscheidungen zwingt. Vor diesem Hintergrund geraten sowohl der Fußball als auch das extreme Selbstverständnis der Holligans eher zu einer Nebensache.

66/67 - Fairplay war gestern

Was waren das für selige Zeiten, als Eintracht Braunschweig, einer der Kultclubs der Sechziger- und Siebzigerjahre, in der Saison 1966/67 deutscher Meister wurde. Mittlerweile steht der Club, der 1973 als erster Verein die Trikotwerbung einführte und für einen Kräuterlikör warb, dessen Emblem kurzerhand in das Vereinswappen integriert wurde, in der 3. Liga. Vom einstigen Ruhm ist nur wenig übriggeblieben.
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