This Ain't California (2012)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Bretter, die die Welt bedeuten

Eine Dokumentation über „Rollbrettfahrer“ in der DDR. Das kann doch nur etwas für eingefleischte Skater oder Doktoranden in Ethnologie sein. Könnte man denken. Aber dann verpasst man einen großartigen Film, der viel mehr ist als historische Bestandsaufnahme. This Ain’t California kommt nicht nur ungeheuer rasant, lustig und unterhaltsam daher. Marten Persiels erster abendfüllender Dokumentarfilm vereint so ziemlich alles, was Kino ausmacht: Leidenschaft, Spannung, Betroffenheit. Sein Film ist informativ und gefühlvoll, politisch und privat, lebensfroh und nachdenklich.

Das Herzblut, das hier zu spüren ist, hängt natürlich damit zusammen, dass der im Westen aufgewachsene Regisseur mit seinen Protagonisten die Liebe zum Skaten teilt. Aber der Film geht auch deshalb unter die Haut, weil er mit einer Beerdigung beginnt. Dennis „Panik“ Panicek wird zu Grabe getragen, einst eine Legende der Ostberliner Szene, später in der Nachwendezeit irgendwie gescheitert und bei der Bundeswehr gelandet, wo er 2011 bei einem Afghanistan-Einsatz getötet wird. Nach der Trauerfeier treffen sich die ehemaligen Weggefährten, die Dennis seit 15 Jahren aus den Augen verloren haben, und tun das, was in Dennis‘ Sinne gewesen wäre. Sie feiern eine Party — keine rauschende, aber eine, in der all die guten Erinnerungen wieder aufsteigen, die sich mit dem befreienden Lebensgefühl der wilden 1980er Jahre verbinden.

Hinzu kommt, dass einer von Dennis‘ engsten Freunden als Jugendlicher eine Kamera hatte und munter drauflos filmte. So mischt sich der aktuelle Dreh mit altem Super-8-Material, historischen TV-Aufnahmen und einer ganzen Serie von dokumentarischen Fundstücken. Zusammen entzünden sie ein wahres Feuerwerk von kuriosen Sprüngen, Handständen auf dem Brett und eleganten Slalomfahrten – rasant geschnitten und vom pulsierenden Soundtrack vorangetrieben.

Marten Persiel schlägt viele Töne an und vereint sie zu einem Rhythmus, der sich immer wieder auch Verschnaufpausen und nachdenkliche Momente gönnt. In der Ich-Form zeichnen zwei der damaligen Protagonisten ein subjektives und dadurch höchst lebendiges Bild von Dennis Persönlichkeit, von der Aufbruchsstimmung einer Gegenkultur, von den Vereinnahmungsversuchen des Staates und von den Treffen einer Art „Internationale“ der Rollbrett-Verrückten aus aller Welt, in der die „Staatsgefangenen“ der DDR noch mehr Freiheitsluft schnupperten, ironischerweise unterstützt von der eigenen Regierung. Bei alledem leistet This Ain’t California auch noch das, was die Szene im engeren Sinne interessieren dürfte: eine Geschichtsschreibung der Gegenkultur, die trotz zahlreicher Stasi-Akten in Vergessenheit zu geraten drohte. Denn die Skater sind ja zum Glück kein bürokratischer Verein, der sich viel um Papierkram kümmern würde. Da ist es nicht schlecht, wenn manche von ihnen im späteren Leben zur Kamera greifen.

(Festivalkritik Berlinale 2012 von Peter Gutting)

Editorische Bemerkung: Schon kurz nach der Premiere des Filmes im Rahmen der Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ bei der Berlinale 2012 gab es immer wieder Zweifel an der Authentizität des gezeigten dokumentarischen Materials — zu perfekt wirkten die angeblich unter schwierigen Umständen entstandenen Aufnahmen, die den Eindruck erweckten, als seien sie in dieser Zeit entstanden. Dass die offensichtlich erst später entstandenen Szenen nicht als solche ausgewiesen werden, ist zumindest bedauerlich. Deshalb erscheint es uns geboten, auf die Unstimmigkeiten hinzuweisen. Gleichwohl ändert dies nichts an den ästhetischen Qualitäten dieses Films, es wäre nur schön gewesen, wenn er seine Mittel und Strategien offener zu erkennen gegeben hätte.

This Ain't California (2012)

Eine Dokumentation über „Rollbrettfahrer“ in der DDR. Das kann doch nur etwas für eingefleischte Skater oder Doktoranden in Ethnologie sein. Könnte man denken. Aber dann verpasst man einen großartigen Film, der viel mehr ist als historische Bestandsaufnahme.

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