The Wanted 18

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Intifada-Milch oder: der Aufstand im Kuhstall

Diese Geschichte, die mit der ersten Intifada Ende der 1980er Jahre ihren Lauf nahm, hätte man sich nicht ausdenken können. Zu absurd ist das politische Geschehen, das rund um 18 unschuldige Kühe eskaliert, die ein Palästinenser einem israelischen Bauern abkauft, um im Westjordanland Milch produzieren zu können. Dem Dokumentarfilm The Wanted 18 gelingt es auf äußerst unterhaltsame Weise, diese Absurdität mit allen Mitteln der Filmkunst auf die Leinwand zu bringen: von Comic-Animationen über nachgestellte Szenen, Archivmaterial und einige ins rechte Licht gerückte Talking Heads. Und mittendrin tummeln sich 18 Knetkühe in bester Stopmotion-Animation wie bei Shaun das Schaf – doch diese Kühe können sogar sprechen.
Außer den sprechenden Knet-Kühen kommen auch ganz klassisch immer wieder menschliche Zeitzeugen zu Wort, wobei sich die Talking Heads der rebellischen Palästinenser von einst düster aus schwarzem Studio-Schatten schälen. Die Antagonisten aus Israel heben sich dagegen vor blendendem Weiß ab. Klare Schwarz-weiß-Zeichnung also. Kein Manko des Films, sondern ästhetisch stilisiert, eine Regie-Entscheidung, die ins Konzept passt: hier wird kein ausgewogener Report eines historischen Ereignisses abgeliefert, sondern eine spritzige filmische Bearbeitung einer Farce, die das Leben schrieb, aus der palästinensischen Ecke abgefeuert.

Dass der Film klar auf einer Seite steht, und einen persönlichen Ausgangspunkt hat, macht gleich von Anfang an der Off-Kommentar von Amer Shomali deutlich. Zusammen mit dem kanadischen Filmemacher Paul Cowan zeichnet er für die Regie bei The Wanted 18 verantwortlich. Mehr als 30 Jahre später kann man ja mal einen lachenden Blick zurückwerfen, mögen sich die beiden im Vorfeld der Produktion gedacht haben, auf eine Situation, die zwar im Fall der 18 Milchkühe an Absurdität kaum zu überbieten, aber insgesamt alles andere als komisch war. Das Westjordanland in beständiger, zermürbender Abhängigkeit von israelischen Waren, israelischem Wasser, israelischem Essen. Oder, wie es ein Palästinenser im Film auf den springenden Punkt bringt: „We are Palestinian. We deserve to have our land, we deserve to have our freedom, we deserve to have cows!“

Und so nimmt die unglaubliche Kuh-Geschichte seinen Lauf: In Bait Sahur hat man, als die 18 Kühe aus Israel ihre Hufe ins Westjordanland setzen, keinerlei Erfahrung mit der Haltung von Milchkühen – und diese melken sich deutlich anders als Schafe und Ziegen. Doch die Emanzipation von israelischer Milch soll daran nicht scheitern: Also wird prompt ein Student zur Fortbildung in die USA geschickt, damit die eigene Milch professionell zum Fließen kommt und während der Intifada die Nachbarschaft versorgen kann.

Die Bewohner im Städtchen Bait Sahur begegnen auch ansonsten den alltäglichen Machtspielchen des übermächtigen Gegenübers clever wie die Gallier. Aus den willkürlichen Verhaftungen, die sie regelmäßig treffen, machen sie das Beste: ein geselliges Beisammensein. Backgammon, Picknick und Plaudern mit den Bekannten im Arrest. Business as usual zu Zeiten der Intifada im Westjordanland. Doch dann bekommt der Staat Israel plötzlich ausgerechnet vor den 18 Kühen Angst: diese Geschichte könnte ja Schule machen unter den Palästinensern. Die Kuh-Farm gerät als ein konspirativer Ort in den Fokus. Eine Frist von 24 Stunden wird gesetzt, um die Farm zu schließen. Aber die Bewohner des kleinen palästinensischen Städtchens haben einen Plan…

Formal dominieren in The Wanted 18 eine verkantete Kamera und schräge Blickwinkel. Konzeptionell durchgehalten sowohl bei Animations-Sequenzen als auch bei Interviewpassagen. Genau die richtige, an Comic-Panels angelehnte Ästhetik und Einstellung gegenüber einer aus den Angeln geratenen Realität: Wenn 18 palästinensische Kühe plötzlich vom Staat Israel als Sicherheitsrisiko eingestuft werden und hunderte schwerbewaffnete Soldaten geschickt werden, um die Kühe unschädlich zu machen – aber dazu müssen sie diese erst einmal finden und sich nicht so ungeschickt wie die Römer anstellen.

Seit einigen Jahren kommen ja Dokumentarfilme immer öfter im Materialmix, angereichert mit animierten Sequenzen daher. In The Wanted 18 ist daraus ein äußerst unterhaltsamer Film wie aus einem Guss entstanden. Und sogar den in Dokumentarfilmen ja allzuoft unvermeidlichen Einstellungen mit sitzenden und sprechenden Zeitzeugen gewinnen die Filmemacher einiges ab: Wenn z.B. ein Flugblatt von einst, von dem gerade die Rede ist, prompt als Papierflieger von einem Talking Head durchs Bild zum nächsten flattert – und dies nicht wie ein plumpes Gimmick wirkt, sondern sich nahtlos in einen von Anfang bis Ende stimmigen, handwerklich exzellent gemachten, sehr unterhaltsamen und dabei die tragischen Aspekte nicht ignorierenden Film einfügt, dann ist ein solcher kreativer Umgang mit den dokumentarischen Gegebenheiten ein echter Lichtblick auf der Leinwand. Von Palästina offiziell für den Auslands-Oscar 2016 eingereicht, ist dies ein Kandidat, dem man nur allzu gerne die Daumen drückt für einen Sprung unter die Nominierten.

The Wanted 18

Diese Geschichte, die mit der ersten Intifada Ende der 1980er Jahre ihren Lauf nahm, hätte man sich nicht ausdenken können. Zu absurd ist das politische Geschehen, das rund um 18 unschuldige Kühe eskaliert, die ein Palästinenser einem israelischen Bauern abkauft, um im Westjordanland Milch produzieren zu können.
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