The Prodigies

Eine Filmkritik von Lida Bach

Tödliche Gedankenspiele

Er selbst habe das schreckliche Szenario geschaffen, beharrt der junge Jimbo (Jeffrey Evan Thomas), den die Polizei vor den Leichen seiner labilen Mutter und des gewalttätigen Vaters findet. Den Selbstmord der Eltern des verschlossenen Jungen erkennt nur Dr. Charles Killian (Dominic Gould) als Tat eines Geistesriesen. Der reiche Anthropologe wird Jimbos Mentor im Umgang mit den verheerenden Kräften, die sie teilen. Dem vorgezeichneten Pfad folgt Jimbo in die Fußstapfen Killians, an dessen Universität er Jahre später lektoriert. Sein eigentliches Engagement jedoch gilt dem Aufspüren anderer Wunderkinder mit seiner Gabe: Telekinese.
The Prodigies nennen Bernard Lenterics Bestseller und dessen computerisierte Kinoadaption von Antoine Cherreyron die fünf Jugendlichen, die Jimbo mittels eines Online-Spiels ausfindig macht. Aus ihren desolaten Familien holt er sie an die Universität, der nach Killians Tod von dessen Tochter Melanie (Dailly Monira) die Mittel gestrichen werden. Als eines der Wunderkinder einem bestialischen Sexualverbrechen zum Opfer fällt, wird Jimbo entlassen. Seine Schüler machen auf ihrem Rachefeldzug nicht bei den Tätern halt. Sie vereinen auf mörderische Weise die Kraft ihrer Geister, die nur Jimbo begreifen und aufhalten kann. Bereits in der Prämisse des hochfliegenden Fantasy-Thrillers, der stilistisch blind zwischen dem überragenden Akira, Richard Linklaters A Scanner Darkly und dem dystopischen Sci-Fi-Sequel Children of the Damned im Nichts tastet, zeichnet sich dessen autoritäre Doppelmoral ab. Ohne staatliche Kontrolle und Formung werde jugendliche Begabung zur Gefahr für die Allgemeinheit. Dabei ist die institutionelle Geistesprägung Dr. Killians und Jimbos lediglich eine formalisierte Form der Manipulation der „Prodigies“.

Ein ausgefeiltes Computerspiel entwirft Jimbo, um die effektivsten Instrumente für seine Zwecke zu finden. Die Auswahlphase entpuppt sich als Testphase für ein größeres Spiel auf anderer Realitätsebene,deren Komplexität er unterschätzt. Seine irritierende Erkenntnis ähnelt einem Spiegel der inszenatorischen Erfahrung Charreyons. Jede der bisherigen Inszenierungen des französischen Regisseurs war ein Videospiel, ausgerichtet auf Action und kalkulierte Zerstörung wie das, was sich unter der kalten Oberfläche von The Prodigies versteckt. Mit Höhen und Tiefen spielende Kameraschwenks und individualisierte Wendungen des Fokus bezeugen ein Gefühl für räumliche Dynamik, nicht aber für filmische Atmosphäre. Der Reiz der Novität nutzt sich indes so schnell ab wie die erwartungsvolle Anspannung, welche die mutwillige Desorientierung des Publikums durch schwindelerregende Einstellungen bewirken soll.

Die Gewalt, ob intendiert als exzessiver Schockeffekt a la Gaspard Noé oder im Stil der Brüder Wachowski in Zeitlupe zelebriert, schmeckt nicht bitter. Die Rache, sei sie als vermeintlich gerechte Vergeltung sanktioniert oder als sadistischer Amoklauf dämonisiert, schmeckt nicht süß. Den einzigen Eindruck, den der apathische Animationsthriller hinterlässt, ist Schalheit. Die Biografien der Figuren sind Schemen, ihre Psyche ein tönernes Konstrukt aus Willkürhandlungen. Das Motiv, welches der Plot ihnen mit der Vergewaltigung der 14-jährigen Liza (Jessica Monceau) in die Hände spielt, scheint auf abgeschmackte Art geradezu willkommen. Emotionale Anteilnahme weckt der ausgedehnte Akt der Brutalität bei Lizas Gefährten kaum, nur zügellose Zerstörungswut. Deren mögliche tiefere Ursachen von Größenwahn bis hin zu Gefühlen gottgleicher Allmacht pervertiertem Sozialdarwinismus werden nicht angerissen, um die Handelnden individueller zu machen, sondern verabscheuenswerter erscheinen zu lassen.

Tatsächlich sind die Titelfiguren keine Charaktere, sondern bloße Statisten, die unter ihrer dreidimensionalen Hülle hohl wirken wie der Plot. Das seelisch Amorphe wirkt umso befremdlicher, da es nicht Mangel, sondern Abwesenheit von Persönlichkeit bezeichnet. Die Leerstelle, die bei einem Computerspiel dem Spieler die Projektion des eigenen Egos in die animierte Gestalt ermöglicht, soll augenscheinlich den gleichen Effekt auf den Zuschauer haben. Stattdessen verstärkt sie den Überdruss, den die dissonante CGI-Symphonie provoziert. Ein Regie-Wunderkind mag Charreyon bei Computerspielen sein, im Kino ist er es nicht.

The Prodigies

Er selbst habe das schreckliche Szenario geschaffen, beharrt der junge Jimbo (Jeffrey Evan Thomas), den die Polizei vor den Leichen seiner labilen Mutter und des gewalttätigen Vaters findet. Den Selbstmord der Eltern des verschlossenen Jungen erkennt nur Dr. Charles Killian (Dominic Gould) als Tat eines Geistesriesen.
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